30. Vorerst bleibt es Fantasie

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Pov Anouk
Jetzt

"Du hättest das damals nicht tun dürfen." stellte meine Schwester fest und ich sah sie ungläubig an.
"Als wüsste ich das heute nicht selbst! Aber passiert ist passiert - komm damit klar!"
Beschwichtigend hob sie die Hände. "Und du komm mal runter - wortwörtlich - es gibt Kuchen. Oder willst du etwa keinen?"
Auf diese Frage gab ich ihr keine Antwort sondern stand von meinem Stuhl auf und lief genervt stöhnend in die Küche.

Gemeinsam räumten wir den vollen Einkaufskorb aus, schwiegen dabei aber. Es war immer noch nicht leicht das zu machen, was sonst immer nur eine von uns mit Mama gemacht hatte. Sie hatte aus den unerträglichsten Sachen noch etwas lustiges machen können - immer.
Als wir dann fertig waren und nur noch das Verpackte vom Bäcker da stand, hellte sich die Laune von Anissa und mir wieder auf.

"Gibt es eigentlich etwas neues von diesem einen Typen?" fragte sie neugierig zwischen einem Bissen. Sofort verschluckte ich mich und sie fing an zu lachen. "Was habt ihr bitte getrieben -beziehungsweise - habt ihr es etwa getrieben?"
"Anissa!" meinte ich nur empört und schüttelte mit dem Kopf.
"Also ja!"
"Nein! Ich habe bei ihm geschlafen, aber nicht mit ihm. Selbst das nur einmal. Warum versteht das niemand? Man muss nicht immer gleich bis zur Besinnungslosigkeit ficken!"
"Warte mal - du hast dich wieder mit ihm getroffen? Wo? Wann? Ich kenne dich - irgendwas ist zwischen euch passiert!" Aufgedreht und bis über beide Ohren grinsend, wie ein Teenager, rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und trippelte auf dem Boden herum.
"Er ist ein Freund und Arbeitskollege von Basti wie sich herausgestellt hat. Wir haben uns zufällig auf der Party vorgestern getroffen. Naja ... und ... wir haben uns wieder geküsst."
Anissa quietschte auf und wurde nur noch aufgedrehter. Irgendwie brachte mich dieser Anblick zum Lachen.
"Zwischen euch ist wirklich das perfekte Drama - ich sehe es vor mir." Mit der rechten Hand fuchtelte sie theatralisch in der Luft herum und sprach dann weiter. "Lukas hin und hergerissen zwischen dir und seiner Freundin. Du kämpfst mit deinem Gewissen, während dein bester Freund sich immer noch falsche Hoffnung macht." Als hätte all' dies ihre sämtliche Energie geraubt,  erschlafften all ihr Glieder und es war nur noch ihr Grinsen, was übrig blieb.

"Deswegen will ich hier weg." Ich wusste nicht, wann ein besserer Zeitpunkt kommen würde sie auf meinen Plan zu verreisen hinzuweisen.
"Wie jetzt? Schon wieder? Du bist doch gerade erst wiedergekommen."
"Mit dir. Zur Seenplatte. Weißt du noch - wie damals?"
Sie nickte und versteckte ihr Gesicht daraufhin hinter ihrer großen Kaffeetasse.
"Was hältst du von der Idee?" Dieses ewig erscheinende Schweigen, das immer wieder zwischen uns aufkam kotzte mich an. Bisher hatte ich es genossen, doch die Männer ließen mein altes Ich wieder aufbrausen, welches Stille selten schätzte.

Anissa seufzte. "Ich finde die Idee so gut, doch ..." Die ersten Tränen liefen ihr die Wange herunter. "...uns fehlt einfach das Geld. Es reicht nur für ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch und selten mal für's weggehen oder shoppen. Es wäre leichter, wenn sie dich nicht rausgeschmissen hätten."
Ich ging um den Tisch herum, setzte mich neben sie, rückte so nahe wie es ging an meine Schwester heran und schloss sie dann so in die Arme, wie sie es mit mir immer getan hatte.
"Leider. Und ich kann es verstehen - wer will schon einen Psycho in einer Konditorei haben? Ich hätte ja mit meinen Tränen den Teig versauen und mit meinen Narben die Kunden verscheuchen zu können. Es ist nicht schlimm, dass wir nicht hinfahren, die Erinnerungen daran sind auch gut genug."
"Ist es wirklich okay? Oder sagst du das nur so?" schniefte Anissa.
"Es ist wirklich okay. Wie Lukas gesagt hat - es war nicht okay, aber es würde so werden. Und so ist es nun."
"Er scheint ein ziemlich schlauer Kerl zu sein, du solltest ihn mal her bringen." scherzte Anissa. Lächelnd verdrehte ich die Augen.
"Irgendwann mache ich das mal." Wenn alles besser ist. Wenn Holly nicht mehr da ist. Wenn wir uns für das Richtige entschieden haben.

"Du hast dich wirklich in den Kerl verliebt oder?" Wir räumten gemeinsam den Tisch ab und setzten uns vor den Fernseher. Auf Pro7 lief irgendein Film, dem ich wenig Beachtung schenkte, da ich nachdachte.
"Leider. Aber es tut nur weh. Mal zieht er mich zu sich, dann stößt er mich wieder weg. Dann tue ich das gleiche mit ihm."
"Liebe tut doch immer weh. Trotzdem solltet ihr beiden euch langsam mal klar über das werden, was ihr wollt. Sonst seid ihr in zehn Jahren noch nicht zusammen."
"Es liegt nicht an mir! Es liegt an Holly und ihm! Er könnte es einfach haben ... sie betrügt ihn und er sie, wenn er doch nur einfach..." Durch den ungläubigen Blick von meiner Schwester, der mich durchbohrte, hörte ich auf zu reden.
"Denkst du ernsthaft, dass er es einfach hat? Wenn er seine Freundin bis jetzt noch nicht verlassen hat, dann liebt er sie wirklich, aber dich scheint er trotzdem zu mögen. Und denkt doch mal daran wie unsicher er wegen deiner Vergangenheit und Narben sein muss. Gib ihm Zeit. Du brauchst sie auch."

Save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt