53. Zehn Tage

307 24 2
                                    

Pov Anouk

"Hast du alles gepackt?" fragte mich meine Schwester, nachdem sie in mein Zimmer gekommen war. Ich nickte und starrte auf den vollgepackten Koffer, der mich morgen für 10 Tage hier weg begleiten würde. Aus irgendeinem Grund hatte sie es geschafft noch drei Tage dazu zu buchen. Woher sie das Geld hatte, wollte sie mir aber nicht sagen.
"Kann ich mich noch von Sebastian verabschieden heute?"
Anissa lachte. "Das sind doch nur zehn Tage, die du weg bist, nicht für immer. Aber klar, geh."
"Zehn Tage - für immer. Wo ist da der Unterschied ohne ... ?" Ich schaffte es nicht seinen Namen auszusprechen.
"Lass los. Er ist nicht der Richtige und hat dich nur benutzt."
"ICH WEISS!" platzte es aus mir heraus, gefolgt von warmen, salzigen Tränen, die sich ihren Weg mein Gesicht hinab bahnten. "Scheiße."
"Es wird dir gut tun von hier weg zu kommen. Geh jetzt nochmal zu Sebastian und dann sehen wir uns heute Abend wieder, okay?" Sanft schob sie mich nach vorne und lächelte mich an. "Der Autoschlüssel liegt auf der Kommode. Du musst kein' Bus fahren."
"Danke." brachte ich heraus und ließ meine Schwester allein.

Schnell kam ich bei ihm an und wurde sofort mit nervösem Blick empfangen. Er war komisch geworden, seitdem er bei Lukas gewesen war, als würde er etwas wissen und es vor mir verheimlichen wollen. Zudem machte er sich nun ziemlich breit in der Eingangstür, sodass ich nicht herein kam. „Was machst du denn hier? Ich dachte ihr seid gestern gefahren. Es ist eigentlich nicht so passend, kannst du dann nicht morgen wiederkommen?"
„Nein, wir fahren morgen. Wollte eigentlich nur tschüss sagen, hast du etwa Damenbesuch?"
„Ach so. Nee ich hab Herrenbesuch. Dann tschüss, ne?"
„Was ist denn mit dir los? Bist du schwul oder warum willst du mich loswerden? Kann ich wenigstens nur mal auf's Klo gehen? Es ist wirklich dringend."Ungeduldig tippelte ich auf der gleichen Stelle herum.
„Natürlich bin ich nicht schwul! Es ist doch nicht 'so' ein Herrenbesuch. Nein,es ist nur ... ach egal, geh schnell." Basti machte mir Platz und schnell huschte ich an ihm vorbei.
Ich konnte vom Flur aus nicht nur eine, sondern gleich mehrere Männerstimmen hören, wie viele es aber genau waren, konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen.

„Nicht lauschen. Du weißt wo das Bad ist, jetzt geh auch. Ich bin solange noch im Wohnzimmer. Sobald du wieder im Flur bist, komm nicht rein, sondern ruf nach mir– ich komme dann und sage dir vernünftig auf Wiedersehen. Okay?" Er schob mich, während er redete, immer weiter Richtung Badezimmer und nahm mir somit jegliche Möglichkeit herauszufinden, wer sein Besuch war.

Vorerst. Denn anstatt mich an Bastis Worte zu halten, schlich ich mich zurück in den Flur und grinste etwas zu hinterhältig, als ich merkte, dass die Wohnzimmertür einen Spalt geöffnet war. Ich lauschte. „Wann geht sie?" Ich erkannte die Stimme von der Party, es war Stevens.
„Morgen. Ich hätte ihre Schwäche ausnutzen sollen, als sie bei mir war und der Hass auf unser Kroko noch frisch war."
„Und dann? Guck dir unser Küken doch mal an, redet schon den ganzen Tag nicht, sitzt nur in der Küche. Sie würde mit dir nicht glücklich werden vor allem nicht, wenn er mit dir arbeiten muss und ihr euch so oft seht. Vergiss es Junge." Dies war definitiv dieser Tim. Aber hatte ich richtig gehört? Lukas war auch hier? In der Küche? Ich spürte einen heftigen Stich in der Brust und das Verlangen mich wieder selbst zu verletzen.
„Ach scheiß drauf, die kriegen sich auch wieder ein. Das Problem ist nur ihre Schwester." Bitte was redete Basti da?! Mir reichte was ich gehört hatte. Ich drehte mich um und lief zur Küche, deren Tür ebenfalls nur ein Stück offen war.

Er saß direkt in meinem kleinen Blickfeld und ich konnte ihn perfekt beobachten - Lukas - wie er mies zugerichtet über ein paar Blättern Papier hing und grübelte. So sehr ich ihn auch hasste, so sehr liebte ich ihn auch. Leider.
Jetzt, wo ich ihn so ansah, merkte ich wie sehr ich mich geirrt hatte. Die zehn Tage Urlaub würden auf keinen Fall ausreichen um ihn zu vergessen.Vermutlich würden nicht mal zehn Monate ausreichen. Ich wollte irgendwas sagen, doch bekam nichts heraus. Vermutlich war es auch besser so. Vielleicht saß Holly ja neben ihm und ich konnte sie nur nicht sehen.

Ich machte ein paar Schritte zurück in den Flur und rief:„Ich gehe dann jetzt mal." Sofort kam Basti und nahm mich in den Arm.
„Sobald irgendetwas passiert, rufst du mich SOFORT an. Das ist ein Befehl, keine Bitte."
Etwas verwirrt stimmte ich zu und gab ihm einen Wangenkuss.
Einen letzten Blick durch die Küchentür werfend, löste ich mich aus der Umarmung. Lukas schien meine Stimme gehört zu haben,denn nun trafen sich unsere Blicke. Ich zwang mich zu einem winzigen Lächeln und beobachtete das, was er nun tat. Er stand mit kühlem Blick von seinem Stuhl auf, verschwand hinter der Wand, kam jedoch hörbar auf den Flur zu. Meine Hände wurden schwitzig. Was hatte er vor? Wollte er mit mir reden und sagen, dass er sich doch für mich entschieden hatte und dass es ihm alles Leid tat?

Laut knallte die Tür ins Schloss. Leise zerbrach der letzte Rest meines Herzens. Er hatte nicht reden wollen, er hatte mich nur nicht mehr sehen wollen.
Der Kloß in meinem Hals schnürte meine Kehle zu. „Mach's gut. Bis in zehn Tagen." Bevor ich anfing vor Bastis Augen zu heulen, floh ich schon regelrecht aus dem großen Haus und in das Auto meiner Schwester. Wütend und am Boden zerstört schlug ich auf das Lenkrad.
Vielleicht würden die zehn Tage doch reichen.

Save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt