65. Heut' wär' ein perfekter Tag zu sterben

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Pov Anouk
Nächster Tag

Der Wecker klingelte und nur mühsam schälte ich mich aus der verschwitzten Bettdecke, die an meiner Haut klebte. Ich verzog die Nase bei dem Geruch, der sich in diesem Raum bereitgemacht hatte. Es roch so miefig, wie in einer Gruft und so war auch ungefähr die Luftfeuchtigkeit.
Um dem Einhalt zu gebieten riss ich ein Fenster auf und machte die Jalousien hoch. Das Licht brannte in meinen Augen und schnell kniff ich sie zusammen. Nur langsam gewöhnten sie sich an die Helligkeit und an die Sonnenstrahlen, die mich und meine Familie zu verspotten schienen mit ihrer Fröhlichkeit die sie mit sich brachten. Konnte es nicht regnen, wie es sich für einen traurigen Tag gehörte? Oder wenigsten bewölkt sein? Das Leben schien mir wirklich wieder einmal mehr zu zeigen, wie sehr es mich hasste.

Ich schlurfte langsam ins Badezimmer, wo ich in aller Gemütlichkeit duschte und mich zurecht machte, um an diesem Tag noch einmal gut auszusehen. Nachdem ich mich geschminkt und meine Haare zu einem ordentlichen Zopf zusammen gebunden hatte, ging ich zu meinem Kleiderschrank um das schlichte, schwarze Kleid herauszuholen und anzuziehen, was ich vor über einem halben Jahr das letzte Mal angehabt hatte. Das Kleid war tatsächlich sehr einfach und schlicht. Es bestand aus einem Baumwollstoff, der gerade fiel und ein wenig Ausschnitt hatte, was es tauglich für jede Art von traurigem Ereignis machte. Um das Ganze noch ein wenig abzurunden, zog ich zum Amulett passende Ohrringe und einen Armreif an. Erst zum Schluss stieg ich in meine High-Heels. Mit einer kleinen Handtasche, in der ich Handy und noch weiteren Kleinkram verstaut hielt, verließ ich das Haus und stieg gleich in den Audi ein, in dem Basti und Timi auf mich geduldig warteten.
"Danke, dass ihr mich mitnehmt, aber den Rückweg laufe ich wirklich." erklärte ich ihnen und beide taten es mit einem Nicken ab.
Der Weg zum Friedhof war nicht endlos weit, aber dennoch hatte Basti darauf bestanden, dass er mich wenigstens eine Strecke mitnehmen würde.

Nun waren wir da und es waren mehr Menschen gekommen, als ich gedacht hatte. Viele meiner und Anissas ehemaliger Freunde sowie ihre immer noch bestehenden Freunde. Sie alle schienen auf mich gewartet zu haben, da sie in meine Richtung starrten und mir ihre mitleidigen Blicke zuwarfen.
Wenig später fingen jedoch einige an zu tuscheln, als sie Basti und Timi erblickten - weshalb, konnte ich mir gut denken. Zum Glück war niemand so geschmacklos zu fragen, ob sie mit wem ein Foto machen könnten. Es war ihnen über die Jahre nie aufgefallen, dass mein bester Freund ein berühmter, deutscher Rapper war. Solche Idioten. Okay, vielleicht hatte ich ihn auch vor den meisten meiner anderen Freunde verheimlicht. Jetzt zeigte sich ja auch warum.

Ich hakte mich bei Basti ein, dem der schwarze Anzug übrigens wahnsinnig gut stand, und gemeinsam schritten wir durch die Menge, bis wir direkt vor ihrem Grab standen. Es war ein normales Urnengrab, an dem ein Holzkreuz mit ihrem Namen, Geburtsjahr und Todesjahr stand. In der silbernen Urne spiegelten sich die Sonnenstrahlen und blendeten jeden, der sie ansah.
Basti hielt mich während der ganzen Zeremonie fest im Arm und vermutlich verhinderte er so, dass wir beide anfingen zu weinen.
Nicht lange und ihre Urne wurde hinabgelassen und mit Rosen bedeckt. Mit jeder Rose, die in das Loch geworfen wurde, und jedem weiteren Händedruck oder weiteren Umarmung die ich erhielt, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass es nun endgültig vorbei war. Das einzig gute an diesem Tag schien zu sein, dass Anissa so vielen Leuten am Herzen gelegen hatte. Es war mir sehr viel wert dies zu wissen.

Lukas war nicht gekommen.

Ich blieb bis zum Schluss. Das Grab war nun mit Erde gefüllt und die Sonne hatte aufgehört zu scheinen. Ich kniete auf dem warmen Gras und nahm mir vor jetzt das letzte Mal an das Geschehene zu denken - meine Erinnerungen mit ihr zu begraben.
Als es anfing zu dämmern und begann immer frischer zu werden, stand ich auf, klopfte mir ein paar Grashalme von Kleid und Beinen und machte mich auf den Heimweg.
Das Friedhofstor quietschte, als ich es schloss. Ich holte mein Handy raus und checkte, ob ich neue Nachrichten bekommen hatte. Nichts. Schwer atmete ich aus. Auch wenn ich nicht so ganz wollte, dass Lukas sich meldete, hatte doch etwas in mir gehofft, dass er mir kurz schrieb und somit zu meinem Retter wurde. Aber daraus wurde wohl nichts.

Da ich mir Zeit ließ, dauerte mein Heimweg etwa doppelt so lange, als wenn ich im normalen Schritttempo gelaufen wäre. Doch ich hatte es nicht sehr eilig. Niemand wartete auf mich und niemand ahnte etwas von meinem Vorhaben und wollte mich deswegen aufhalten. Ja, ich hatte alle Zeit der Welt. Ein kleines Lächeln huschte mir über die Lippen. Freute ich mich etwa, dass es endlich vorbei sein würde? Vielleicht. Immerhin war ich gerade auf den letzten Metern und konnte schon mein Zuhause sehen, wo...
Mein Herz blieb vor Schreck stehen. Jemand hockte auf der Treppe vor der Haustür und hielt sein Gesicht verdeckt. Niemand außer mir wohnte dort, weswegen sich die Nervosität noch vergrößerte. Wer war das bloß? Es war ein Mann - so viel konnte ich erkennen. Aber wer? Ein Fremder, der mir etwas antun wollte? Ein Betrunkener? Ein Junkie? Ein Ex-Freund von Anissa, der nun irgendwas einfordern wollte? Mit zitternden Beinen machte ich kurze Schritte auf den Mann zu, der sich immer noch nicht regte.
Erst als ich mich an ihm vorbeigeschlichen und versucht hatte die Haustür leise aufzuschließen, und bei dem Versuch gescheitert war, stand er auf und sagte meinen Namen. Da erkannte ich ihn.

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