78. "Einfach" wäre zu einfach

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Pov Anouk

Große Nervosität machte sich in meinem ganzen Körper breit und steigerte sich von Schritt zu Schritt. Ob er wohl genauso nervös war wie ich? Zumindest schlief er heute nicht, sondern beobachtete mich schon aus der Ferne, knetete dabei seine Hände und wischte sie immer mal wieder an seiner Hose ab. Also war er wohl ebenfalls aufgeregt.

Kurz bevor ich vor ihm stand, erhob er sich und schloss mich daraufhin fest in seine Arme. "Ich hätte nie gehen dürfen. Nicht gestern. Nicht als deine Schwester es mir sagte. Niemals."
Ich schubste ihn regelrecht von mir weg. "Doch. Es war richtig so, denn sonst würde mir dein Auszug nicht so leicht fallen. Ich bin es ja gewohnt, wenn du verschwindest. Wann gehst du eigentlich nochmal genau? Morgen?"
"Übermorgen." korrigierte er mich verletzt.
"Aha. Und wo warst du gestern?" fauchte ich bissig.
"Gehen wir erstmal rein? Deine Nachbarn beobachten uns."
Grummelnd folgte ich seiner Bitte und schloss die Haustür auf.

In der Küche setzten wir uns einander gegenüber an den Tisch und schwiegen, bis ich wieder auf meine Frage zurückkam.
"Also: Wo warst du gestern? Hoffentlich hast du nicht im Auto schlafen müssen." Im letzten Satz brach meine bissige Stimme und klang besorgter, als gewollt.
"Nein, ich habe nicht im Auto geschlafen."
"Basti?"
"Nein."
"Hotel?"
Er schüttelte mit dem Kopf.
"Wirst du es mir verraten?"
"Wirst du mir verraten was das zwischen und ist?"
"Wir sind gute Freunde, die eben ein paar Mal Sex hatten und geküsst haben und sich mögen, die keine Geheimnisse voreinander haben zu brauchen und sich blind vertrauen können. Oder?"
"Ja, denke ich auch."
"Gut, dann muss ich dir was sagen."
"Ich dir auch."
"Du zuerst. Ich trau mich nicht." Gab ich zu.
"Okay. Ich war bei Holly."
"WAS?!"
"Ich wusste nicht wohin ich sollte und ihr ging es so schlecht..."
"Und da hast du dir gedacht: Ach gehe ich doch mal zu meiner Exfreundin und schlafe bei ihr obwohl SIE MICH BETROGEN HAT!"
"VERDAMMT NOCHMAL! Anouk! Sie ist schwanger und braucht mich jetzt! Verstehst du das denn nicht? Es ist mir egal was sie getan hat - es ist mein Kind, für das ich die Verantwortung tragen muss! Scheiß Vergangenheit hin oder her!"
"Liebst du sie noch?"
"Wenn du fragen willst, ob ich mir mit ihr eine gemeinsame Zukunft vorstelle, mit einer festen Beziehung und Heiraten und so etwas, lautet meine Antwort nein. Ich werde ihr in dieser schweren Zeit helfen und sie nicht allein mit unserem Kind lassen. Und jetzt reicht es mit dem Thema - was ist mit dir los? Was verheimlichst du mir?"

Ich versuchte es ihm zu sagen, doch die Worte wollten nicht aus meinem Mund kommen. Nur komisches, undeutliches Gekrächze kam anstelle von Worten. Vielleicht war es besser so, denn eventuell wusste ich auch nicht was ich genau sagen sollte.
Ihm endlich mitzuteilen, dass ich ebenfalls schwanger war, kam nun gar nicht mehr in Frage. Das war jetzt endgültig vorbei.
Also versuchte ich mir schnell eine Ausrede zu überlegen, doch auch da versagte mein Körper kläglich. Die Gedanken liefen Amok in meinem Schädel und ordneten sich kein bisschen, so sehr ich es auch versuchte.
Dann legte er auch noch seine Hand auf meine Schulter, was meine Atmung dann auch noch durchdrehen ließ und ich hyperventilierte. Hätte ich nicht schon gesessen, wäre ich in diesem Moment garantiert umgekippt.

"Beruhig dich, Anouk. Du musst es mir auch nicht unbedingt sagen, wenn es dir so schwer fällt und offensichtlich zu schaffen macht. Ich hätte auch eben nicht so falsch reagieren dürfen."
"Dieses hin und her ... zwischen uns ... das ist einfach ... nur ... so anstrengend ... und tut ... tut so, so weh."
"War es das, was du mir sagen wolltest?"
"Nein..."
"Okay. Aber ich finde es auch nicht weniger anstrengend. Glaube es tut ganz gut, wenn ich wieder ausgezogen bin."
"Wieso sagst du so etwas? Ich liebe es dich hier zu haben."

Stille.

"Und..." Er schloss seine Augen und atmete tief durch. "Ich ... liebe ... dich, Anouk." Er hatte es gesagt. Er hatte es tatsächlich gesagt. Er liebte mich. Mich, nicht sie. Aber trotzdem wollte er ausziehen. Ich verstand die Welt nicht mehr - und am wenigsten ihn.

Erneut sagte keiner etwas, wir schauten uns nur in die Augen. Ich probierte auch erst gar nicht etwas zu sagen.
Dass ich ihn genauso liebte, wusste er sicherlich, aber dennoch schien es mir ihm gegenüber verletzend, wenn ich nichts tat. Deswegen legte ich meine zitternde Hand auf seine Wange und fühlte seinen leicht kitzelnden Bart an meiner Handfläche. Langsam, sehr langsam kamen sich unsere Lippen näher und das gewohnte Knistern begann sich zwischen uns breit zu machen. Mein Puls, der sich gerade erst beruhigt hatte, schoss wieder in die Höhe und Arme und Beine bekamen eine Gänsehaut.

Kurz bevor sich unsere Lippen berührten, ja - als sie nur noch wenige Millimeter auseinander waren, zuckte er jedoch zurück und nahm meine Hand aus seinem Gesicht und behielt sie in seiner. " 'Einfach' ist nicht so unser Ding, was?"
Aus irgendeinem Grund kicherte ich verlegen. "Nein." Lukas musste ebenfalls grinsen und ich wusste, dass wir jetzt beide eine Ablenkung brauchten. "Und was jetzt?"
"Dann ... ähm ... Habe ich dir eigentlich schon mal meine Musik gezeigt?"

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