103. Viel Tränen und Freude

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Pov Anouk

Ich hatte Lukas tatsächlich mit einem Regenschirm K.O. geschlagen. Natürlich war mir erst viel zu spät aufgefallen, dass es Lukas war und nicht irgendein fremder Verfolger. Was hatte ich da nur wieder angestellt? Vor allem: Was sollte ich jetzt tun? Ich konnte ihn auf keinen Fall draußen liegen lassen und ihn in die Wohnung ziehen würde ein Akt der Unmöglichkeit sein, nachdem ich meine letzte Kraft für den Schlag aufgebraucht hatte.
Das einzige was blieb, war ,ihn irgendwie wachzurütteln. Ich kniete mich neben ihm und begann recht unsanft ihn hin und her zu schütteln. "Hey! Lukas! Wach auf!" schrie ich dabei immer wieder und nach und nach zeigte meine Methode Wirkung.
Lukas begann zu blinzeln und sein Bewusstsein zurückzuerlangen.
Schließlich richtete er sich stöhnend auf und schaute mich leicht belustigt an. "Hallo Anouk."
Erleichtert lachte ich ebenfalls kurz auf, dann halfen wir uns gegenseitig hoch.
Daraufhin fand ich meine immer noch brodelnde Wut wieder und wies ihn erstmal zurecht: "Du Idiot, ich dachte du bist ein Vergewaltiger oder Einbrecher oder sowas. Komm rein und setz dich ins Wohnzimmer. Ich mache uns einen Tee." Stumm folgte er meinem Befehl.

Da saßen wir nun, schlürften unsere Tees und schwiegen uns an. Langsam hatte ich das Gefühl, dass wir nur drei Dinge gemeinsam teilten - Schweigen, Streiten, Sex. Das vernünftige miteinander Reden hatten wir über die Monate verlernt und nur selten wieder versucht zurück zu holen. In dem Moment setzte dieses altbekannte Vermissen ein, obwohl er mir gegenüber saß. Vermutlich vermisste ich einfach nur die alte Zeit und nicht ihn direkt. Ja, das musste es sein. Doch dann sah ich ihn an und mir war klar, dass es vollkommener Schwachsinn war - natürlich vermisste ich auch ihn direkt! 
Während ich ihn anguckte, starrte Lukas verstohlen ins Nichts und auf eine gewisse Weise tat er mir leid. Er gehörte zu seiner Familie, zu seinen Freunden, aber nicht hierher. Nicht zu mir. Denn ich war nichts. Ich war nur die Frau, die sein Kind in sich trug, von dem er nichts wusste. Das war's. Wenn er ein glückliches Leben führen wollte, sollte er nicht bleiben - beziehungsweise sollte er so schnell es ging wieder verschwinden. Von mir aus konnte er auch noch eine Nacht bleiben, aber nur auf dem Sofa und dann konnte er gleich morgen früh wieder fahren.
Was machte er überhaupt hier? Die Neugierde begann mich innerlich anzunagen, fast schon mit einem Mal gänzlich aufzufressen.
Es war wirklich erstaunlich wie sehr ich mich immer in meinen Gedanken verlor, wenn er bei mir war, wie lange ich ihn ansehen konnte und dabei jegliche Zeit außer acht ließ.
Etwas unangenehm wurde es, als er auf einmal seinen Kopf zu mir drehte und mir einen Blick zuwarf, als könne er nun direkt in meine Seele blicken. Vor meinem inneren Auge setzte ein Flashback von unserem ersten Aufeinandertreffen ein - damals vor dieser Umkleidekabine. Genau diesen Blick hatte er auch drauf gehabt und damit veranlasst, dass er mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf verschwand. Als nächstes kam mir der Abend im Pub in dem Kopf, in dem ich auch zum ersten mal Berkan, Tim und diese verdammte Holly gesehen hatte. Ich lächelte in mich hinein, als mir Lukas' tapsige Art nach der Frage nach einem Date einfiel und wie Anissa danach um mich herumgetänzelt war, als hätte er mir soeben einen Antrag gemacht. Aber den hatte er ja seiner Freundin gemacht und das so kurz nachdem wir das erste mal miteinander geschlafen hatten. Die Freude in mir starb. Doch was hatte er mir angetan, dass ich ihn nicht vergessen konnte, was er auch für Mist tat? Und was hatte ich ihm angetan, dass er immer wieder versuchte auf mich zuzukommen?
Der Blickkontakt war bis jetzt immer noch nicht abgebrochen und so langsam wurde es Zeit, dass ich etwas sagte um das Schweigen zu brechen.

So purzelten die Worte unüberlegt und viel zu grob aus meinem Mund. "Was macht du an Weihnachten hier?" Verlegen räusperte er sich und schaute weg.
"Nun ja. Reicht die Kurzfassung?"
Zustimmend nickte ich.
"Gut. Ich wollte zu meinen Eltern fahren, bin hier in der Nähe mit dem Auto liegengeblieben und bin dann zu dir gelaufen, weil der Heimweg mir falsch vorkam."
"Dein Auto ist ausgerechnet kurz vor meiner Haustür liegengeblieben und der Heimweg fühlte sich falsch an...?" wiederholte ich ungläubig.
"Ja okay, ich wollte vorher nochmal nach dir schauen. Immerhin bist du ja ganz allein über die Feiertage."
"Du konntest gar nicht wissen, dass ich alleine bin. Hätte ja genauso gut bei Familie Klug oder bei sonst irgendwem sein können."
"Ich wollte an deiner Wohnung vorbei fahren und gucken, ob dieser Idiot noch bei dir ist! Jede Zelle in meinem Körper hat gehofft, dass das Wetter mir meine alte Karre killt und ich zu dir gehen muss. Okay? Zufrieden? Außerdem bin ich dir, nachdem mein Auto dann tatsächlich nicht mehr angesprungen war, von hierher bis zum Friedhof und wieder zurück gefolgt. Und bevor du mich jetzt irgendwie beschimpfst: Ich wollte nur nicht, dass dir und deinem Kind bei der Kälte was passiert, immerhin kenne ich dich und deine Tollpatschigkeit gut. Tut mir leid, dass ich mir immer noch riesige Sorgen um dich mache!" Lukas war ziemlich laut geworden und während er sich im Sessel vorgelehnt hatte, war ich zurück in die Couch gesunken. Aber endlich hatte er die Wahrheit gesagt. Nun war ich wohl an der Reihe, vor allem jetzt wo ich endlich wusste, wer das komische Geräusch von eben verursacht hatte und dass es nur Lukas gewesen war, der auf mich aufgepasst hatte.  Dann sagte ich das erstbeste, was in meinem Kopf nach der vollen Wahrheit klang. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Und das wusste ich tatsächlich nicht, genauso wenig wie ich wusste, was ich jetzt tun sollte.
"Sag mir einfach ob du noch mit diesem widerlichen Typen was hast."
"Nein." Da war es wieder. Dieser Moment vor dem Streit und den Tränen - ich konnte es ganz genau spüren und wusste, dass das meine letzte Chance war, denn wenn wir uns jetzt stritten, würde er gehen und zwar für immer. "Ich habe nicht mehr mit ihm geredet, seit dem, was in der Bar passiert ist."
Er schnaubte wütend. "Super."
Genervt motzte ich: "Was ist denn jetzt?! Du willst nicht, dass ich mit ihm Kontakt habe, nennst ihn sogar widerlich, bist aber dennoch angepisst, wenn ich dir erzähle, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun habe."
"Ja klar! Er hat dich geschwängert! Da kann man ja wohl erwarten, dass er dir wenigstens finanziell unter die Arme greift."
Meine Kinnlade klappte hinunter. "WAS?!"
"Also, dass du schwanger bist, kannst du echt nicht leugnen."
"Wie kommst du auf die behinderte Idee, dass Costa der Vater ist?!"
Lukas begann sinnlos vor sich hin zu brabbeln. "Ja, weil ... äh ... er hat dir so über den Bauch ... und der Kuss ..."
"Na und? Basti und Timi haben das auch so in etwa gemacht - abgesehen von dem Kuss - und sind sie die Väter? Nein!"
"Wer denn dann?"
Wie bescheuert war er eigentlich? "Was denkst du bitte von mir? Glaubst du echt, dass ich mit jedem Kerl ins Bett hüpfe, der mir über den Weg läuft?"
"Dann sag doch endlich wer der Vater ist! Kenne ich ihn? Ist es Steven? Berkan? Timi?  Wer ist es?!" Er klang verdammt verzweifelt und das war der Zeitpunkt, an dem ich endlich über meinen Baby-großen Schatten springen konnte.
Etwas albern auflachend verneinte ich seine idiotischen Vermutungen. "Natürlich nicht. Aber ja, du kennst ihn."
"Doch etwa Basti? Ist er deswegen immer so weich, wenn es um dich geht?"
Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Aber wen kennen sowohl du, als auch ich denn noch?" Krampfhaft begann er nachzudenken und stützte dabei seinen Kopf in seine Hände. Vorsichtig stand ich auf, ging zu ihm herüber und setzte mich auf die Lehne des Sessels.
Wir kannten beide höchstens noch Holly, diese Schlange. Die, wie Basti mir schon mitgeteilt hatte, gar nicht schwanger war und alles nur gespielt hatte. Aber abgesehen davon kam sie ja schon rein biologisch nicht in Frage. Wie lange brauchte er denn noch?

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