67. Damit du mir endlich glaubst, wie wertvoll du für mich bist

270 29 14
                                    

Pov Lukas

Mein Herz machte einen riesigen Freudensprung, als sie meine Hand ergriff und sogar kurz lächelte. Schweigend, aber grinsend, hielt ich sie bis zu meinem Auto an der Hand und hielt ihr dann - wie ein echter Gentleman - die Autotür auf. So langsam könnte ich ja wirklich mal anfangen für sie der perfekte Mann zu sein, wenn ich sie nicht noch einmal verlieren wollte.
Der Motor startete und sofort schaltete ich das Radio an und ließ es leise die Stille unterdrücken, die wir beide nun vermutlich nicht ausgehalten hätten.

Verträumt schaute sie während der Fahrt aus dem Fenster und schien nun nicht mehr so glücklich. Sie weinte nicht, aber trotzdem merkte ich, dass etwas nicht stimmte und dass es nicht nur an dem heutigen Ereignis lag. Ich beschloss sie erst im Restaurant anzusprechen und sie jetzt noch träumen und nachdenken zu lassen. So konnte ich das Gleiche vielleicht auch tun, nur in einer vermutlich glücklicheren Art und Weise. Ich stellte mir vor, wie es wohl sein würde mit ihr mein restliches Leben zu verbringen und mit ihr sogar mal eine eigene Familie zu gründen, wenn sie das wollte - irgendwann. Mit einem Sohn und einer Tochter würden wir uns bestimmt gut machen. Ich könnte unserem Sohn mein "Handwerk" beibringen und ihn zu meinem Nachfolger oder so etwas in der Art machen und Anouk könnte unsere Tochter vor all' den schlimmen Dingen bewahren und sie zu einer wundervollen, kleineren Version von ihr machen. Natürlich würde ich unsere Tochter genauso fördern wie unseren Sohn und .... WAS?!
Ich schüttelte mit dem Kopf. Sicher dachte ich viel zu weit voraus und sollte erstmal den Abend überstehen, bevor ich eine Zukunft plante, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einmal so eintreffen würde. Immerhin konnte es ja gut sein, dass sie weder Kinder, noch mich wollte. "Die Ampel wird rot, Lukas." riss sie mich aus meinen jugendlichen Schwärmereien und banalen Gedanken und holte mich zurück zu dem im Moment wichtigsten, nämlich dem Straßenverkehr. Ich kam mich ziemlich ertappt vor und war froh, dass sie meine Gedanken nicht lesen konnte. "Danke." sagte ich und musste mich räuspern, da sich ein Klumpen in meinem Hals festgesetzt und somit das Danke halb verschluckt hatte.

Im Restaurant angekommen setzten wir uns an einen sehr abgelegenen Tisch, damit wir beide auch sicher sein konnten, dass wir in Ruhe gelassen wurden. Es war leicht abgedunkelt und unsere Ecke wurde fast nur von ein paar wenigen Kerzen beleuchtet. Anouk sah so wunderschön aus in diesem flackernden Licht. Ihre Haare glänzten in verschiedenen Goldtönen und ihre Augen schimmerten im Schein der einen Kerze auf dem Tisch. Immer wieder lächelten wir uns verlegen an, brachten aber kein vernünftiges Gespräch zustande.
Das ganze, unangenehme Schweigen wurde tatsächlich erst durch eine noch unangenehmere Situation gebrochen. Das Essen kam. Ich hatte uns eine Platte mit Nudeln für zwei Personen bestellt, die Anouk nun angsterfüllt anstarrte.
"Ist es wirklich so schlimm?"
In Zeitlupe nickte sie und ließ das Essen dabei nicht aus den Augen. "Wie lange hast du jetzt nichts mehr essen können?"
"Etwa eine Woche."
Ich nahm ihre Hand, die auf dem Tisch neben ihrem Teller lag und versuchte irgendwelche passenden Worte zu finden. "Probier es ... also zu essen ... wenn es nicht klappt ... ich meine, wenn es nicht ... wenn es dir nicht bekommt ..." seufzend gab ich auf und fand mich damit ab keinen klaren Satz heraus zu bekommen, solange ich ihre Hand heute hielt. Mitleidig lächelte sie mich an, machte sich eine kleine Portion auf ihren Teller und nahm eine Gabel voll Nudeln in den Mund. Sie fing an zu kauen und schloss ihre Augen. Ich merkte, wie ihre Hand zitterte und drückte sie deswegen noch ein wenig fester. Schwer schluckte sie das Essen herunter und behielt weiterhin ihre Augen fest zu. "Und?" fragte ich vorsichtig. Ihr Magen knurrte laut und schlagartig schlug sie wieder ihr Augen auf, grinste sehr verlegen und nahm noch eine Gabel voll. Ebenfalls grinsend ließ ich ihre Hand los und begann zu essen. Es war vorzüglich und mit ihr mir gegenüber, schmeckte es gleich noch viel besser.
Eine halbe Stunde später waren wir beide dann wohl gesättigt und den Umständen entsprechend zufrieden.
"Fühlst du dich nun besser, Anouk?"
"Etwas, danke."
"Schön. Du siehst auch gleich etwas besser aus."
"Nochmal ... danke." Verlegenheit spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. In meinem vermutlich nicht weniger und dennoch fing ich nun mit dem Thema an, was schon die ganze Zeit unangenehm im Raum stand. "Wie soll es mit uns weiter gehen?"
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es ist alles so verwirrend und kompliziert. Ich kann dich nicht vergessen, aber irgendwie ist es auch schwer dich bei mir zu haben. Vermutlich habe ich das, was im Mauerpark passiert ist, noch nicht ganz überwunden." antwortete Anouk definitiv wahrheitsgemäß. Bevor ich etwas erwidern konnte, sprach sie jedoch weiter. "Zudem habe ich noch ein paar Probleme mit dazu bekommen, genauer gesagt ein Problem, mit dem ich nicht umzugehen weiß. Die einfachste Lösung wäre zudem die schlechteste und ich würde mir meine Feigheit niemals verzeihen können. Ich weiß auch nicht ob es leichter würde, wenn ich dir davon erzähle oder dich an meiner Seite habe. Verstehst du mich ein wenig, Lukas?"
"Ein wenig. Aber denkst du nicht, dass es leichter werden würde, wenn ich dir helfe das Problem zu beheben?"
"Das Problem lässt sich nicht so schnell beheben." Beheben setzte sie dabei in Anführungszeichen.
"Warum?" Bohrte ich vorsichtig weiter nach.
"Weil ... ich ... oh man ... ich glaub ich bräuchte einen Mutmacher. Aber nichts allzu hochprozentiges ... bitte."
"Klar." Es passte gut, denn der Kellner lief gerade an unserem Tisch vorbei. "Könnten Sie uns bitte zwei Gläser Sekt bringen?"
"Natürlich. Kommt sofort." Mit einem Zwinkern verschwand er und kam ungewöhnlich zügig mit meiner Bestellung wieder. Zwischen den zwei Sektgläsern lag eine große, rote Rose und schneller als ich und der Kellner gucken konnten, kippte Anouk eines der Gläser auf ex herunter. In just diesem Moment kam ein Geigenspieler um die Ecke und begann "I will always love you" zu spielen.
Dann begann Anouk heftig zu husten. Ihr steckte anscheinend irgendetwas im Hals fest. Unter dem entsetzten und hilflosen Blick des Kellners sprang ich auf und wendete bei ihr den Heimlich-Griff an, bis etwas kleines, goldenes aus ihrem Mund schoss und über den Tisch hüpfte. Zitternd nahm sie das goldene Ding, was sich als Ring mit einem Diamanten darauf entpuppte, hoch und starrte mich entgeistert an, nachdem ich mich wieder auf meinen Stuhl hatte fallen lassen. Immer wieder starrten wir abwechselnd den Ring in ihrer Hand, dann uns gegenseitig und dann den Kellner an, während der Geigenspieler weiter fröhlich und sehr von sich selbst überzeugt sein Lied spielte. Anouk ergriff zuerst das Wort. "Ähm ... Lukas?"
Was sollte ich jetzt bitte sagen? Außer: "Der ist nicht von mir ... wirklich."
Dann kam plötzlich ein weiterer Mann um die Ecke gestapft und sah extrem wütend aus. "Das ist Meiner." meinte er schnippisch und schnappte den Ring Anouk aus der Hand, ließ ihn in das andere, noch volle Glas Sekt fallen und strafte uns ein letztes Mal mit bösen Blicken.
Der Kellner erwachte dann auch endlich aus seiner Starre und begann unendlich viele Entschuldigungen runter zu rattern. Mal zu uns, mal zu dem vermutlich nun sehr empörten Pärchen.
Der Geigenspieler folgte dem Kellner, der sich nun endlich von uns entfernte, wortlos und wie ein Hündchen. Anouk und ich starrten uns weiter an, bis sie auf einmal anfing laut loszulachen. Ich stimmte mit ein. Wir lachten ein wenig später dann so heftig, dass wir anfingen zu weinen. "Und ... ich ... und ich dachte wirklich ..." Sie schaffte es nicht zu reden, ohne dazwischen zu lachen. " ... dass du jetzt ... auf einmal heiraten willst ... und ... und vollkommen übergeschnappt bist."
Lachend nickte ich. "Das wäre es gewesen. Nicht mal zusammen ... also lass uns die lästigen vorhergehenden Jahre Beziehung überspringen und gleich heiraten!"
Nun nickte sie. Langsam beruhigten wir uns wieder.

"Dieses Missverständnis tut uns außerordentlich leid und als Wiedergutmachung haben wir hier eine Flasche Champagner für das junge Paar und natürlich geht der Abend komplett auf's Haus." sagte der Kellner von eben entschuldigend und stellte uns eine große Flasche von besagtem Champagner auf den Tisch. Zu meinem Verwundern kicherte Anouk verlegen.
"Wir sind aber kein ... ach egal. Dankeschön." bedankte ich mich und erlöste somit den Mann sichtlich von seinem schlechten Gewissen.

"Trink du mal, ich möchte auf keinen Fall mehr was." sagte Anouk, als ich ihr gerade etwas einschenken wollte. In ihrem Blick war unerklärlicher Weise Schuld zu sehen.
"Sicher?"
"Ja. Mir reicht mein Wasser."
Also stießen wir beide mit Sekt und Wasser an und unterhielten uns weiter.

Die Flasche hatte ich mittlerweile fast geleert und sprach erneut das Thema von vorhin an."Möchtest du mir jetzt erzählen was los ist?"
"Nein. Aber vielleicht bald." Ihr Lächeln war verschwunden und Kummer hatte sich in ihrem Gesicht breit gemacht. "Bitte sei nicht böse."
"Bin ich nicht. Nur besorgt. Ich habe große Angst, dass du dir etwas antust und ich dich verliere."
Ihren Blick richtete sie nun verwundert auf.
"Musst du nicht." Sie legte offen ihre Hand auf den Tisch - sofort ergriff ich sie. "Immerhin hast du ja mittlerweile ein Talent dazu mich zu retten und an dunkelsten Tagen zum Lachen zu bringen."
"Du bist so wundervoll, hübsches Mädchen."
"Und hast ziemlich einen sitzen." meinte sie neckend. Sie hatte recht und dass ich jetzt schon ziemlich betrunken war, wunderte mich sehr. Immerhin hatte ich schon oft das vielfache getrunken und nichts gespürt - Campsite sei dank. Aber jetzt? So könnte ich auf keinen Fall Auto fahren oder sonst irgendwas anderes tun. Verdammt. Dabei wollten wir doch jetzt gehen...
"Wollen wir dann langsam mal? Ich bin ziemlich erschöpft."
"Ich kann so nicht fahren."
"Entweder ich fahre oder wir müssen uns ein Taxi nehmen."
Ich überließ ihr die Entscheidung, die dann auf das Taxi fiel, da sie sich definitiv zu müde fühlte und uns nicht noch unnötig in Gefahr bringen wollte.
Im Taxi schwiegen wir uns wieder nur hauptsächlich an.

"Warten Sie einen Moment? Ich will sie noch zur Tür begleiten." fragte ich den Taxifahrer, der nickte und auf die Taxiuhr tippte. Ich zuckte nur mit den Schultern und hätte einen recht lässigen Abgang hingelegt, hätte mir der Alkohol einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein Fuß verklemmte sich zwischen Auto und Bürgersteig und die Schwerkraft gab den Rest dazu. Ich sah noch den Boden auf mich zu rasen, bevor es mir kurz schwarz vor den Augen wurde und sich heftige Kopfschmerzen breit machten. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich Anouk einen verängstigten Schrei ausrufen und sah sie dann auf mich zu rennen.
Sie hob meinen Kopf, legte ihn in ihren Schoß und begann mir durch die Haare zu streicheln und meinen Nacken zu kraulen. Ich genoss es in vollen Zügen.
"Kann ich Ihnen helfen?" fragte eine Männerstimme, die, so vermutete ich, dem Taxifahrer zu gehören schien.
"Nein geht schon, wie viel bekommen Sie denn?" So Anouk.
"22€ wären das."
Sie kramte in ihrer Hosentasche und bezahlte den Mann, der daraufhin wegfuhr. Zum Glück nicht über meine Beine oder Füße.
Das winzige Geschehen betrachtete ich mit einem offenen Auge, welches ich schnell wieder schloss, als sie sich wieder meinen Haaren widmete. Langsam döste ich vor Entspannung ein und wünschte mir, dass dieser Moment niemals enden würde. "Du bist so ein süßer Tollpatsch." flüsterte Anouk leise und trotzdem konnte man ihr Grinsen dabei genau hören. "Irgendwie hätte ich dich doch gern immer um mich." Dann spürte ich, wie plötzlich ganz unerwartet ihre Lippen auf meinen lagen. Nicht sehr lange, aber sie taten es. "Ich könnte ja, bis ich in meine neue Wohnung ziehen kann, zu dir ziehen ... so als Wiedergutmachung?" murmelte ich verträumt.
"Ernsthaft?" Anouks Stimme war nun kein Flüstern mehr.
"Warum nicht." Ich öffnete meine Augen und strich ihre Haare, die mir nicht nur die Sicht versperrten, sondern auch langsam anfingen zu kitzeln, aus meinem Gesicht und hinter ihre Ohren. "Dann ... kann ich auch besser auf dich acht geben."
Zögerlich antwortete sie. "Ja ... okay?"
Damit hatten wir beide wohl eben beschlossen, dass wir vorübergehend zusammenziehen würden. Das zum Thema "Es wird nichts passieren". Das hatten wir ja mal wieder super hinbekommen.

Save meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt