Save me

35. Eine schnelle Entscheidung

Pov Anouk
Nächster Morgen

Alles ist hell. Die Sonne scheint. Ich schaue mich um und bemerke, dass ich auf einer wunderschönen Blumenwiese sitze und Schmetterlinge und Bienen um mich herum fliegen und die Vögel in den Bäumen zwitschern.

Ich blicke an mir herunter und sehe, dass ich den Rock trage, mit dem alles mit Lukas angefangen hat. Ich muss lächeln.
Dann bemerkte ich meine schönen Beine und Arme, an denen keinerlei Narben sind - es ist nur glatte, leicht sonnengebräunte, normale Haut.

Als ich mich weiter umsehe, entdecke ich, dass ich nicht alleine auf der Wiese bin.
Jemand anderes liegt im hohen Gras, nicht weit entfernt von mir.

Ich stehe auf und gehe zu der anderen Person.
Es ist Lukas, der auf einer Decke liegt.
Nun muss ich noch mehr lächeln.
Oh ich liebe ihn so sehr.
Als er mich sieht, muss er ebenfalls lächeln.

"Hallo hübsches Mädchen." begrüßt er mich und macht neben sich für mich Platz.
Glücklich lege ich mich neben ihn und schaue ihm in die Augen. Die, die wie ein Spiegelbild meiner eigenen sind, weswegen es stinkendes Eigenlob wäre, wenn ich sagen würde, dass sie wunderschön sind.
"Du musst nicht so weit weg liegen, schönes Mädchen." Höre ich ihn dann sagen. Sofort rücke ich näher an ihn heran und werde in seine Arme geschlossen.

"Was machst du hier?" Frage ich und schließe meine Augen.
"Auf dich warten. Du hast mich sehr gekränkt, aber trotzdem warte ich und höre dabei unser Lied."
Erst jetzt sehe ich die Kopfhörer in seinen Ohren.
"Unser Lied? Wir haben doch gar keins." Sage ich verwundert.
"Ach nein?" Er nimmt einen Kopfhörer und steckt ihn sanft in mein rechtes Ohr.

What you don't know
Is that your scars are beautiful
What you don't know
Is your imperfections are what make me whole
What you don't know
Is how I spiral down
Cause I can't speak whenever you're around

Dann stoppt die Musik.
Er dreht seinen Kopf zu mir und wir sehen uns tief in die Augen.
Unsere Lippen kommen sich immer näher und kurz bevor sie sich berühren, haucht er noch ein kurzes: "Ich liebe dich, Anouk."

"Was soll das?!"
Bei diesem ohrenbetäubenden Schrei fahren wir beide auseinander.
Ich reiße meine Augen auf.
Mein Herz bleibt kurz stehen.

Die Welt um mich herum hat sich verändert.
Die Wiese, auf der wir liegen, ist grau und abgebrannt. Die Schmetterlinge und Bienen liegen tot um uns herum und haben sich ebenfalls grau verfärbt. Die Vögel zwitschern nicht mehr.
Die Sonne ist völlig von Wolken bedeckt.

Holly steht vor uns.
Ich versuche Lukas festzuhalten, doch er steht auf und geht zu ihr.
Ich rufe:"Nein Lukas! Nein! Nimm ihn mir nicht weg! Ich liebe ihn!"
Verächtlich schnaubt sie.
"Wie sollte ich ihn dir wegnehmen, wenn er doch schon längst mir gehört? Sieh dich doch nur mal an, wie sollte er so etwas lieben?"
Ich tue, wie mir befohlen und erschrecke.

Meine Haut.
Grau. Voller Narben. Voller frischer Wunden. Nur das Blut hat seine Farbe behalten und es fließt in Strömen aus mir heraus.

Der Rock.
Zerrissen. Zerfetzt. Nur noch ein hässlicher Lumpen.

Ein Loch im Boden tut sich auf.
Plötzlich fange ich an zu fallen.
Ich falle. Immer tiefer. Immer weiter. Es wird schwarz um mich.
Ich höre nur noch Holly's hämisches Lachen.

Ich schreckte aus meinem Traum hoch. Wo bin ich? Panisch sah ich mich um. Regal. Pflanzen. Bunte Bettwäsche. Fotos. Gemütlichkeit.
In deinem Zimmer - Anouk - du bist in deinem Zimmer und alles ist gut. Sagte ich mir dann selbst und atmete durch.
Verschlafen warf ich einen Blick auf mein Handy. 11:32 Uhr. Zeit zum Aufstehen.

Die Sonne bahnte sich ihren Weg durch die einfachen Jalousien, womit sie ihren Sinn verfehlten und weswegen sie mich auch ein wenig ankotzten. Jedoch an die ganzen neuen Sachen in meinem Zimmer würde ich mich sicher gewöhnen können. Vielleicht könnte ich hierher sogar irgendwann mal, wenn die Zeit dazu gekommen war, einen Mann mit hierher bringen. So einen wie Lukas, nur ohne andere Freundin.
Wieso musste er nur ausgerechnet das Letzte sein, an das ich Abends und das Erste sein, an das ich Morgens dachte? Es tat so weh. Dieser ständige Druck auf dem Herzen, nicht nur wegen meinen Eltern. Liebeskummer war ätzend. Sogar ätzender, als ätzend. Vor allem bei diesem Traum.

Ich stand auf, zog mir etwas an und ging hinunter.
"Guten Morgen, Schlafmütze. Basti schon angerufen?"
"Wir bitte?"
"Wegen des Tattoos!"
Mir fiel es wieder ein. Es war eigentlich eine gute Idee, wenn man es als nächsten Schritt in Richtung Neuanfang sah.
"Mache ich jetzt. Gibt's eigentlich Frühstück?"
"Mittagessen."
"Dann esse ich erstmal."

Als ich in Ruhe gegessen und mich so fertig gemacht hatte, um auch für die Öffentlichkeit etwas ansehnlich zu sein, wählte ich Basti's Nummer. Um ungestört zu sein, verzog ich mich wieder in mein Zimmer.

Nachdem einige Male das Freizeichen erklungen war, nahm er endlich ab. "Moin, Anouk! Was verschafft mir die Ehre?"
"Ich wollte mal mit dir reden über eine Idee von Anissa."
"Schieß los!"
"Es geht um ein Tattoo über die Narben."
"Hmm..." Er schmunzelte. "Gute Idee eigentlich. Wann willst du das denn machen?"
"Keinen Plan, aber wenn du das auch für ein gute Idee hältst..."
"Würde es dir heute passen? Dann würde ich dich mit zu meinem Tattoowierer nehmen."
"Heute?"
"Ja, wollte nämlich ebenfalls hin. Mein Campsite Tattoo soll fertig gestellt werden."
"Oh ähm. Ja gut. Wann?"
"Ich komme dich abholen!" Dann legte er auf und ich saß mit offenem Mund auf meinem Bett.

"Basti holt mich gleich ab." verkündete ich meiner Schwester, die fast ihren Tee ausspuckte.
"So schnell schon? Du hast es wirklich eilig, hm?"
"Ja. Freu dich doch mal, dass mir mal eine Idee von dir gefällt." Ich zwinkerte ihr zu und grinste verschmitzt.
"Nicht so frech, immerhin bezahle ich dir das Ding." Sie griff in eine der Schubladen und zog einen Umschlag heraus auf dem 'Tattoo' stand und den sie mir dann in die Hand drückte. "Dürfte reichen."
Dann klingelte es auch schon an der Tür.
"Danke. Hab dich lieb." Ich gab Anissa einen Kuss auf die Wange und eilte zur Tür.

Auch wenn das alles wahnsinnig schnell ging, freute ich mich doch auf die Schmerzen, die mich von dem Alptraum von heute Nacht ablenken würden, und mit einem schönen Ergebnis enden würden.

Song aus dem Traum: Monrose - What you don't know