Kapitel 6: Dunkle Geheimnisse

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Ich klopfte an die Wohnungstür, an der ein Schild hing, auf dem stand: Hier wohnen Sandra, Frank und Leonie Schmiedt.
Ich hatte dummer Weise meine Schlüssel in der Wohnung vergessen. Bevor ich mich auf den Weg nach Hause gemacht hatte, habe ich noch im Park auf Lucius gewartet, da ich gehofft hatte, dass er noch auftauchen würde. Im Park konnte ich den Straßenlärm hören, der mir in dem Moment völlig Fremd klang. Als ich die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Lucius noch kommt, bin ich nach Hause gegangen.
Ich wollte gar nicht wissen, wie meine Eltern reagieren, wenn sie mich so sehen.

Ich hörte wie jemand die Tür von der anderen Seite aufschloss. Mein Vater stand im Türrahmen. Er trug seine Jacke und einen Schuh. Scheinbar wollte er gerade weg gehen. Er schob seine Brille hoch, aber sie saß immer noch an der selben Stelle wie vorher.

Mein Vater musterte mich von Kopf bis Fuß und fiel mir um den Hals. ,, O mein Gott, Leonie, wie siehst du den aus", fragte er besorgt und sah mich entsetzt an.

Ich lächelte ihn gequält an und ging an ihm vorbei in die Wohnung. Mama stand im Flur und balancierte gerade zwei Teller und ebenso viele Tassen auf einer Hand in die Küche, die andere Hand benutzte sie zum Tür öffnen. Als sie mich sah, ließ sie das Geschirr fallen und es zerbrach auf dem Boden. Sie schien es nicht zu stören das einige Splitter sich in ihr Bein bohrten.

,, Mama pass doch auf", meckerte ich und half ihr die Splitter aufzuheben.

Papa zog sich schnell die Jacke und den Schuh aus und rannte in die Küche wo er Handfeger und Schippe holte, um die Scherben auf zu fegen.

,, Was macht ihr nur immer?", fragte er mehr zu sich selbst als zu uns.

Mama ging zu mir und drückte mich. ,, War Lucius gemein zu dir?"

Das klingt ja so als wäre ich ein kleines Kind. Ich schüttelte den Kopf und löste mich von ihr damit ich auch Papa in die Augen sehen konnte, der gerade aus der Küche kam, wo er die Scherben weggeworfen hatte.

,, Ich muss mit euch reden", ich wechselte meinen Blick von Mama zu Papa. ,, Mit euch beiden"

Sie nickten beide fast synchron und wir gingen in die Küche wo wir uns an den Tisch setzten.

Sie saßen beide nebeneinander und hielten Händchen.

Ich holte einmal tief Luft um mir grob zu überlegen wo ich Anfangen sollte.

,, Glaubt ihr an Werwölfe?", fragte ich sie mit ernstem Blick.

Beide sahen mich völlig verwirrt an. Vermutlich dachten sie, das ich wieder zu einem zehnjährigen Kind mutiere, das an solche Geschichten wie Werwölfe, Vampire und den Weihnachtsmann glauben würde.

Sie sahen sich beide an und dann wieder mich.

,, Leonie, was ist passiert?", stellte Papa mir eine Gegenfrage.

,, Ich war mit Lucius an einem See", begann ich zu erklären und wurde von Mama unterbrochen.

,, Das ist ja schön. Wart ihr am Wannsee?"

Ich strafte sie mit einem bösen Blick. Wehe sie unterbricht mich noch einmal.

,, Wir waren an einem See und hatten von einer Bank einen wunderschönen Blick auf den Sonnenuntergang", erzählte ich die Geschichte weiter.

Papa sah irritiert nach draußen. Man konnte den Sonnenuntergang hinter den anderen Häusern erahnen. Zeitlich haut es kaum hin.

,, Dann stand ein Mann hinter uns. Er war unheimlich. Hatte blasse Haut und schwarze Augen. Er konnte mit seinem Gehstock Eisstrahlen abfeuern" Wieder wurde ich unterbrochen. Dieses mal von Papa, der in lautes Gelächter ausbrach.

Mama und ich sahen in Böse an und er konnte sich langsam wieder zusammen raufen.

,, Ich weiß das das total verrückt kling, aber es ist die Wahrheit", erklärte ich ihnen und wurde nicht noch einmal von ihnen unterbrochen. Ich erklärte ihnen alles ins kleinste Detail.

Je mehr ich erzählte um so blasser wurden sie.

,, Ich glaube du hattest einen anstrengenden Tag, Leonie. Nimm doch ein Bad und ziehe dir was anderes an, während ich Essen mache", schlug meine Mutter vor.

Mein Magen knurrte wie verrückt und mir wurde bewusst das ich seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen habe.

Für mich seit Ewigkeiten und für sie nur wenige Stunden.

Ich nickte, ,, Aber danach reden wir weiter!"

Ich ging in mein Zimmer und entdeckte Lucius' Tasche, wie sie immer noch neben meinem Sofa stand. Mein Bauch drehte sich einmal um und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Ich hätte da bleiben sollen, Lucius suchen sollen und nicht einfach feige wieder nach Hause gehen.

Ich öffnete meinen Kleiderschrank und zog einen Schlafanzug heraus.

Im Bad angekommen machte ich schnell alles bereit und huschte ins warme Wasser.

Für einen Moment vergas ich alles um mich herum, dann hörte ich meine Mutter rufen: ,, Essen ist fertig."

Am Essenstisch angekommen sahen mich meine Eltern an. Etwas traurig, aber verständnisvoll.

Ich nahm den Teller Salat, den mir Mama gab, dankend an und war schnell fertig. Als ich auf stand um mir die nächste Portion aufzutun brach Papa die Stille.

,, Weißt du Leonie, das was du uns erzählt hast, das mit den Werwölfen und dem Mann der dich und Lucius angegriffen hat, das ist deiner Mutter und mir gar nicht so fremd wie du vielleicht denkst"

Ich lies den Löffel in die Salatschüssel zurück fallen und sah beide fragend an. ,, Wie meinst du das?"

Papa stopfte sich schnell Salat in den Mund um seine Antwort etwas heraus zu zögern.

Mama verdrehte die Augen. ,, Was dein Vater damit sagen will ist, dass wir die Übergänge in die andere Welt auch sehen können. Wir kommen von dort. Uns hat man dort nicht mehr länger akzeptiert, als wir uns in einander verliebten"

Mir wurde schlecht. Meine Eltern waren entweder Werwölfe oder die mit der blassen Haut und den schwarzen Augen.

,, Warum wurdet ihr nicht akzeptiert?", brachte ich irgendwann heraus.

,, Weil sich ein Vampir laut Gesetz nicht in einen Werwolf verlieben darf", erklärte Papa nachdem er den Salat ausgiebig zu Ende gekaut hatte.

Ich starte beide völlig ungläubig an. Dann waren die blassen Gestalten also Vampire. Und einer von ihnen gehörte dazu. Und der andere zu den Wölfen.

Ich lies meine Gabel auf den Teller fallen und starte sie an.

,, Und wer von euch ist was?", fragte ich, als ich mich mit der Tatsache halbwegs abgefunden habe. Ich meine ich hatte in den letzten Tagen soviel erlebt da kriege ich das hier auch hin.

,, Werwolf, Vampir", zeigte Mama zuerst auf Papa und dann auf sich.

,, Und Lucius? Wieso konnte er die Übergänge sehen? Ist er etwa auch ein Werwolf oder ein Vampir?" fragte ich die beiden aus. Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film oder in einem Traum vielleicht auch beides.

,, Tut mir leid, Leonie, ich konnte nichts riechen", antwortete mein Vater und ich musste mir prompt vorstellen wie er an Lucius' Schuhe gerochen hatte. Ich verkniff mir ein lachen.

,, Ich auch nicht", sagte meine Mutter und sah zwischen mir und Papa hin und her.

,, Ich werde es morgen herausfinden", meinte ich und ging aus der Küche raus.

Engel weinen nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt