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Harry

»Eleanor?! Er ist gerade mal – wie lang – vier Tage hier? Und schon hat er Jemanden gefunden, mit dem er in die Kiste steigen kann?« Niall sah mich ungläubig an. Ich nickte.

Ich hatte ihm gerade alles erzählt. Natürlich hatte ich das, ich tat es immer. Wir waren schließlich beste Freunde.

»Er ist hier nicht mehr in London!« Empört schmiss Niall die Arme in die Luft.
Ich nickte einfach. »Das habe ich ihm auch gesagt.«
»Er kommt hierher und macht alles kaputt! Hier ist kein Ort für Badboys und Drogendealer!«
Überrascht sah ich ihn an. »Drogen? Meinst du, in London hatte er was mit Drogen zu tun?« Der Gedanke war beunruhigend. Mehr als das. Irgendwie wollte ich es nicht. Ich wollte nicht, dass Louis etwas mit Drogen zu tun hatte. Auch wenn ich es nicht erklären konnte.
Niall zuckte mit den Schultern. »Es würde mich zumindest nicht wundern. Aber Haz, ich will nicht, dass er hier alles verändert. Es war immer so schön. Er soll nicht herkommen, dir Hoffnungen machen, dass du deinen Traumprinzen gefunden hast, und dann ein totaler Arsch sein.«

Ich antwortete nicht, warf Niall stattdessen mit einigen Grashalmen ab, um ihn abzulenken. Er sollte sich nicht so sehr über Louis aufregen. Er war es nicht wert.

»Reg dich nicht so über ihn auf. Er ist es nicht wert.«, sprach ich meine Gedanken aus. Die blauen Augen musterten mich kurz, dann lächelte er breit.
»Ach, meine kleine Blumenprinzessin wünscht sich noch immer ihr perfektes Märchenland. Es kann nicht nur Eintracht geben. Aufwachen, Dornröschen!« Er formte einen Kussmund und beugte sich über mich. Ich stieß ihn lachend weg.

»Wenn mein Leben ein Märchen wäre, wärst du ein Troll. Oder eine Hexe.«
»Danke, Harry.«, sagte Niall trocken. Ich grinste nur und richtete meinen Blick wieder in das Buch vor mir.

Während ich auf dem Bauch im Gras liegend las und leise summte, rupfte Niall munter jeden Stängel aus der Erde, den er zwischen die Finger bekam. Er hatte das schon immer getan, seit ich ihn kannte.

Nur leider kam irgendwann das altbekannte Niall-Problem auf. Die Langeweile.
Und so wurde ich zur Zielscheibe der pflanzlichen Geschosse.
Eine Weile schaffte ich es zu ignorieren. Eine kurze Weile; so lang, bis er auf mein Gesicht zielte. Dann gab ich das Lesen auf.
Ich schlug das Buch zu.

»Ni, hör auf.«, sagte ich knapp. Weil ich ihm nicht die Aufmerksamkeit schenken wollte, die er sich erbettelte, musterte ich meine Hände. Niall hörte auf, mich abzuwerfen und ich versank schnell tiefer in der Studie der feinen Linien auf meiner Haut. Bis ich abermals von Niall aufgeschreckt wurde.

»Harry!«, er rief es aus, als stünde irgendein Leben auf dem Spiel. Bei Niall konnte man da nur nie sicher sein, also sah ich ihn jetzt an.
»Was?«
»Ich bin genial!«

Ich rollte mit den Augen. »Danke für die Info.«
»Nein Harry, ich meine es ernst! Ich bin ein Genie!«
»Sicher. Erzähl das deinem verhauenen Physikaufsatz.«, sagte ich wenig beeindruckt.

Vorwurfsvoll kniff er die Augen zusammen. »Hör mir doch erstmal zu! Ich habe eine brillante Idee!«
»Na dann erzähl sie mir, Ni.«
Niall setzte sich aufrecht ins Gras.

»Gut, Harry. Es geht um Louis.« Ich seufzte leise. Natürlich ging es um ihn. Ich wollte nicht, dass sich plötzlich mein komplettes Leben um ihn drehte. Sein Hass sollte nicht so eine Kontrolle über mich und meine Handlungen haben.
Und trotzdem deutete ich Niall mit meinen Blick, weiterzuerzählen.

»Naja, es ist nicht fair, Haz. Und das können wir nicht einfach ignorieren. Wenn Louis Snoblinson meint, dass er dich behandeln kann wie er will, dann hat er sich geschnitten. Er darf dich nicht als den kleinen, eingeschüchterten Harry sehen, der rückgratlos und mit knallroten Wangen wegläuft, wenn es ihm gesagt wird. Er hält dich für willenlos, wenn das so weitergeht.
Und weißt du, was das für uns beide heißt? Wir zeigen ihm, dass du es nicht bist.«

»Gut, dann werde ich in Zukunft nicht mehr rückgratlos und mit knallroten Wangen weglaufen, nur weil er es will.«, sagte ich simpel und schlug mein Buch wieder auf.
»Verdammt, Harry!« Sofort schlug Niall das Buch unter meinen Fingern wieder zu. »So geht das nicht. Louis ist zu weit gegangen. Und wir werden ihm zeigen, dass wir nicht einfach Nichts tun werden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Niall, worauf auch immer deine Rede und die geniale Idee hinauslaufen wird, die Antwort lautet Nein.«
»Doch, Harry. Doch! Das bedeutet Krieg! Er kommt damit nicht durch! Jetzt sind wir an der Reihe.«

Wieder schüttelte ich ungläubig den Kopf. »Nein, Niall. Wir sind sechzehnjährige Internatsschüler, keine Rachekämpfer gegen die Ungerechtigkeit. Ich werde nicht besser durch mein Leben kommen, wenn ich jedem, der mit meiner Homosexualität nicht klar kommt, den Krieg erkläre.«
»Aber nicht du bist es, der den Krieg erklärt hat, sondern Snoblinson! Komm Harry«, er stand auf und zog mich an einer Hand ebenfalls auf die Füße. »Wir haben einen Schlachtplan auszuarbeiten!«

»Gut, Harry Styles. Sechzehn Jahre der musterhaften Unbeflecktheit sind genug. Jetzt bringen wir den anderen Harry zum Vorschein. Den Harry, der es nicht auf sich sitzen lassen wird, dass irgendein homophober Tyrann ihn terrorisiert.«
»Du bist irre, Ni.« Ich zog meine Beine an meinen Körper und lehnte mich an die Wand hinter mir. Leider wusste ich, dass ich sagen konnte, was ich wollte. Niall würde sich jetzt nicht mehr von seiner hirnrissigen Idee abbringen lassen. Also war die beste Option für mich, mich einfach darauf einzulassen.

»Irrsinn und Brillanz gehen meistens Hand in Hand, Haz. Lass dich dadurch nicht täuschen. Und jetzt hör auf, alles zu hinterfragen. Also« – er nahm sich wahllos einen meiner Schulblöcke und einen herumliegenden Bleistift – »Irgendwelche Ideen?«

Ich runzelte die Stirn und dachte ernsthaft über seine Frage nach. Was stellte er sich unter den Kriegszügen vor? Einen Wassereimer auf die Tür zu stellen und warten, dass Louis reinkommt? Hoffentlich waren seine Vorstellungen etwas weniger primitiv.

»Ich weiß nicht.«, sagte ich ehrlich.
»Ich schon. Zuallererst werden wir dafür sorgen, dass es seine eigene Schuld ist, dass er auf unsere Spielchen reinfällt. Wir nutzen seine schlechten Noten als Angriffspunkt aus.«
Ich kam noch immer nicht von der Skepsis weg. »Wie willst du seine schlechten Noten ausnutzen? Ich möchte nicht seine Hausaufgaben verbrennen oder so, damit er eine schlechte Note bekommt.«

Niall grinste – offenbar überaus überzeugt von sich selbst. »Das wirst du nicht, Haz. Er wird es selbst tun.«
»Seine Hausaufgaben verbrennen?«
»Gott, Harry, nein! Ich sitze in Algebra neben Louis. Und bei der letzten Hausaufgabe, die wir aufhatten, hat er alles bei dir abgeschrieben. Wahrscheinlich hattest du deine Ergebnisse hier irgendwo in eurem Zimmer offen liegen lassen. Wir werden das also ausnutzen.«
Ich war immer noch nicht überzeugt. »Woher weißt du, dass er es von mir abgeschrieben hat? Vielleicht ist er einfach gut in Algebra.«

Niall lachte, als hätte ich etwas wirklich Dummes gesagt. »Harry, erst ist schrecklich in Algebra. Und außerdem hatte er in der Hausaufgabe die Abkürzungen, die du immer verwendest und hat in deinem seltsamen Blöckchensystem geschrieben. Er hat es von dir abgeschrieben!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Und? Was wollen wir jetzt machen?«
»Na du wirst die aktuelle Algebra-Hausaufgabe fertig geschrieben auf dem Schreibtisch liegen lassen. Mit falschen Ergebnissen.«

Niall war ziemlich begeistert. Ich nicht wirklich, aber das spielte keine Rolle. Und außerdem war ein kleiner Teil in mir sogar ziemlich angetan von der Idee, Louis seine Arroganz heimzuzahlen. Verdient hätte er es allemal.

Ich musste unwillkürlich grinsen. Irgendwie war ich doch ganz zufrieden.
»Gut, Niall. Lass uns Krieg führen.«

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt