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Louis

Aufwachen wäre wahrscheinlich das falsche Wort gewesen. Es war viel perfekter als das, wie ich an diesem Morgen sanft und ganz allmählich aus meinen Träumen glitt. Irgendetwas machte, dass ich mich einfach wunderbar fühlte.
Und ich wollte nicht die Augen öffnen, denn dann wäre dieses Gefühl sicher weg.

Also lag ich weiter in dieser angenehmen, surrealen Atmosphäre. Alles, was meine Sinne aufnahmen, rundete das Ganze ab.
Ich hörte das sanfte Trommeln von Regen gegen das Fenster –jetzt wurde es wohl wirklich Herbst –, spürte die Wärme und ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut und auch wenn ich es nicht erklären konnte, roch es sogar gut. Ich wusste nicht wonach, aber es war auf jeden Fall gut.

Mit einem leichten Lächeln legte ich mich ein wenig anders hin – darauf bedacht, mich nicht zu ruckartig zu bewegen.
Doch plötzlich spannte sich mein gesamter Körper an und ich hielt abrupt in der Bewegung inne. Vielleicht atmete ich nicht mehr.

Meine Hand war gegen etwas gestoßen. Etwas, das zu hart und warm für meine Decke war. Etwas, das sich zu sehr wie Haut anfühlte.
Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nicht nur den Regen draußen hören konnte, sondern auch einen seichten, gleichmäßigen Atem, der aus viel zu geringer Distanz kam.

Kurz dachte ich angespannt darüber nach, was ich jetzt tun sollte. Wer auch immer gerade in meinem Bett lag, sollte nicht hier sein. Ganz vorsichtig zog ich meinen Arm von dem warmen Körper zurück, bewegte mich sonst keinen Millimeter. Ich wollte bestimmt nicht, dass diese Person aufwachte.

Dann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Eine Möglichkeit, die zwar zugegebenermaßen ein wenig seltsam war, aber die einzige, die halbwegs logisch war.
Eleanor.

Wer sollte sich zu mir ins Bett legen, wenn nicht Eleanor? Jemand anderes hätte keinen Grund dazu. Zwischen Eleanor und mir war zwar seitdem Harry uns gestört hatte, nichts mehr passiert, aber vielleicht war sie aus irgendeinem Grund, als ich schon geschlafen hatte, hier rein gekommen und hatte sich zu mir gelegt. Es war uns zwar nicht erlaubt, um diese Zeit unsere Zimmer zu verlassen, aber Eleanor wirkte auf mich auch nicht gerade wie die gehorsamste Regelbefolgerin.

Und trotzdem war es immer noch unglaublich abwegig. Ich musste einfach nachsehen.
Also öffnete ich die Augen.

Was auch immer ich erwartet hatte, das war es ganz sicher nicht. Unvorbereitet riss ich die Augen weit auf. Beinahe hätte ich vor Überraschung aufgekeucht.

Es war nicht der feminine Körper Eleanors, auch keiner der anderen Menschen, die ich vielleicht aus irgendeinem Grund hätte erwarten können.
Stattdessen starrte ich auf den allzu bekannten nackten Rücken, den ich immer nach dem Duschen zu sehen bekam und einen lockigen Hinterkopf.
Es war Harry.

Perplex lag ich einige Sekunden unbeweglich da. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete und wollte nicht mal darüber nachdenken, wie lange er wohl schon neben mir lag.

Doch bevor sich mein Gehirn wieder angeschaltet hatte, handelte mein Instinkt aus heiterstem Himmel. Ich bekam es erst mit, nachdem ich es schon getan hatte.

Mit einem unsanften Stoß schubste ich ihn einfach über die Bettkante.

Ein undefinierbares, schmerzerfülltes Geräusch kam von Harry, als er hart auf dem Boden aufkam. Sofort richtete er sich in eine sitzende Position auf und rieb sich den – vermutlich schmerzenden – linken Arm. Noch saß er mit dem Rücken zu mir.

Er schien ebenfalls einige Sekunden zu brauchen, um die Situation zu begreifen, doch dann drehte er sich mit umgläubigem Gesichtsausdruck zu mir um.

Ich saß halb aufrecht im Bett und hatte die Arme noch in der Harry-vom-Bett-schubsen-Haltung von mir gestreckt, als wären sie so festgefroren. Ich sah ihn noch immer völlig perplex mit aufgerissenen Augen an.
Harry schien eins und eins zusammenzuzählen.

»Du hast mich geschubst.«, stellte er mit vom Schlaf rauer Stimme fest. »Aua«, fügte er überfordert hinzu und sah mich mit ähnlich perplexem Blick an wie ich ihn.

Ungefähr eine Minute taten wir nichts. Starrten uns einfach an, versuchten beide, alles zu begreifen. Bis mein Gehirn plötzlich wieder ansprang.

»Du hast in meinem Bett geschlafen!«, sagte ich leicht hysterisch. »Was hattest du da zu suchen?!« Ich klang nicht wütend – auch wenn ich das gerne wäre, aber ich war einfach noch viel zu überfordert. Und so klang ich leider auch.

»Nass. Kalt. Wollte nicht krank werden.«, antwortete Harry nach einer Weile knapp. Offensichtlich auch noch nicht zu komplett zusammenhängenden Gedanken fähig.

Nach einigen weiteren Minuten Stille hatte ich die Bedeutung seiner Worte in meinem Kopf zurecht sortiert. Mir war der Tee wieder eingefallen. Und Harrys Erklärung nach war das der Grund dafür gewesen, dass er nicht hatte schlafen können und sich deswegen in mein trockenes Bett gelegt hatte.

Wieder folgten einige Minuten. Wir starrten uns weiter an und langsam begriff ich das alles. Und dann fiel mir plötzlich auch wieder ein, dass ich Harry hasste. Und dass er schwul war. Das stellte dieses ganze In-dem-selben-Bett-schlafen noch in ein ganz anderes Licht. Es widerte mich an.

Ich sprang auf und drängelte mich grob an dem noch immer auf dem Boden sitzenden Harry vorbei zum Kleiderschrank. Ich zog ein paar beliebige Sachen und ein Handtuch heraus und stürmte dann aus dem Zimmer, während ich Harry mit einem – jetzt eindeutig wütenden – ›Halt dich von mir fern, du Wahnsinniger!‹ alleine ließ.

Harry

Sobald Louis verschwunden war, hatte ich einen auf keinen Fall hinterfragbaren Entschluss gefasst. Ich würde nicht mehr über die Entscheidung nachdenken, mich neben Louis schlafen zu legen.

Dann hatte ich mir ebenfalls ein Handtuch geschnappt und war auch duschen gegangen. Unglücklicherweise waren Louis und ich uns danach noch einmal im Duschraum begegnet und es war einfach nur seltsam. Bis er – worüber ich eigentlich ganz froh sein sollte – beschlossen hatte, mich einfach wütend anzufunkeln und ich deshalb einfach weggehen konnte.

Ich hatte mich dann angezogen und spontan eine Entscheidung getroffen – bei der ich mir auch verbat, sie zu hinterfragen. Aus Erfahrung sollte ich zwar wissen, dass das für gewöhnlich meine schlechtesten Entscheidungen waren (wie mich beispielsweise in Louis' Bett zu legen), aber vorher konnte man ja nie wissen.

Also verließ ich, nachdem ich mir etwas angezogen hatte, wie jeden Morgen mein Zimmer und bog nach links in den Gang ein. Doch ging ich nicht in den Speisesaal, um mir das ausgiebige Wochenendsfrühstück schmecken zu lassen. Ich wollte nicht mal bis zur Treppe.

Stattdessen blieb ich vorher vor einem Zimmer stehen, das nur wenige Räume von meinem eigenen entfernt war.
Kurz zögerte ich, doch dann klopfte ich an die hölzerne Tür und wartete angespannt, bis diese von innen geöffnet wurde.

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt