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Louis

Vielleicht hätte das mit dem Ignorieren sogar geklappt, wenn ich nicht nur einen Tag gehabt hätte.
Sobald meine Mutter mir von dem Internat berichtet hatte, hatte ich sie und meinen Vater ignoriert. Aber Samstagabend hatte ich es dann aufgegeben, weil es nichts gebracht hatte.

Aber es wurde immer schlimmer. Heute Morgen – Sonntag kurz bevor wir losfahren wollten, wurde mir eröffnet, dass ich mein Handy nicht mitnehmen dürfte. Das war verboten. Dann hatte ich auch verstanden, was meine Mutter damit gemeint hatte, dass die Schule konservativ war. Die einzige Kontaktmöglichkeit nach außen waren wöchentlich erlaubte Telefonate.
Ich zweifelte immer mehr daran, dass dieses Internat nicht eigentlich ein Gefängnis war.

Jetzt saßen wir im Auto und fuhren schon seit fast zwei Stunden. Mein Vater fuhr – was mich wirklich überraschte. Ich hatte meine Eltern bestimmt seit fünf Jahren nicht mehr selber Auto fahren sehen. Dazu hatten wir ja den Chauffeur.
Aber heute fuhr mein Vater selbst, ich schätze, meine Eltern wollten einen guten Eindruck machen.

Ich saß alleine auf der Rückbank und starrte gelangweilt und schlecht gelaunt aus dem Fenster. Uns war seit Ewigkeiten kein Auto mehr entgegen gekommen. Von den letzten Häusern wollte ich gar nicht anfangen, die hatten wir mit London hinter uns gelassen. Und jetzt waren wir schon mitten in der englischen Pampa. Weit und breit nichts als Gras, Hügel, Seen, Wälder, Himmel. Hier waren nicht mal Schafe. Wie sollte ich das ein Jahr lang überleben? Konnte man eigentlich an Langeweile sterben?

Gerade fuhren wir von der Straße und standen halb auf einer Wiese, die bis zum Horizont reichte. Das Grün tat mir in den Augen weh und ich sah zu meinen Eltern, um herauszufinden, wieso wir anhielten.

Meine Mutter hatte eine Straßenkarte auf ihrem Schoß ausgebreitet und beide hatten sich darüber gebeugt und diskutierten, ob wir uns verfahren hatten – auch wenn ich mich fragte, wie man sich verfahren konnte, wenn diese verdammte Straße seit hundert Kilometern keine Abzweigungen mehr gehabt hatte. Außerdem hätten wir dafür nicht von der Straße runterfahren müssen. Ich war mir ziemlich sicher, dass hier in den nächsten dreißig Jahren kein anderes Auto mehr vorbeifahren würde.

In einer wenig eleganten Bewegung – weil mich der Sicherheitsgurt dabei behinderte – zog ich meine Jacke aus und wedelte mir mit meiner Hand Luft zu. Es war wirklich viel zu warm hier drin.
Ich ließ das Fenster runterfahren.

Irgendwann erkannten meine Eltern, dass sie sich nicht verfahren hatten – Überraschung! – und wir fuhren endlich weiter.

Nach etwa zwanzig Minuten kam rechts dann eine Einfahrt. Ein hoher, ziemlich alt aussehender, rostroter Metallzaun mit vielen Verzierungen und Schnörkeln säumte die Straße so weit, wie ich sehen konnte. Wenn das die Abzäunung vom Internatsgrundstück war, war das ein riesiges Gelände.

Und tatsächlich bogen wir auf den Kiesweg ein und fuhren durch das große, geöffnete Tor. Weil das hier unweigerlich mein Zuhause für die nächsten zwölf Monate sein würde, überwand ich mich dazu, vorne durch die Windschutzscheibe hinauszuschauen, um zu sehen, was da auf mich zukam. Erstaunlicherweise konnte ich noch nichts sehen. Nichts außer dem riesigen Grundstück, das nur aus Wiese und Bäumen zu bestehen schien.

Die Allee – wenn man einen von Bäumen gesäumten Kiesweg so nennen konnte – führte uns immer weiter. Vielleicht einen Kilometer fuhren wir über das hügelige Gelände.
Bis ich es sehen konnte. Mein Mund klappte auf.

Das Internat war ein...ein Schloss? Ich war nicht ganz sicher, ob man es so nennen konnte, aber es war auf jeden Fall nah dran.
Es hatte mindestens drei Stockwerke, vielleicht vier, war weiß und hatte ein rotes Ziegeldach. Eine breite Treppe führte zu einer riesigen, dunklen Eingangstür.
Die Fassade war verwinkelt und ein blumengeschmückter Balkon öffnete das Gebäude ausladend.
Für einen winzigen Moment dachte ich an den Buckingham Palace.
Nur dass dieses Internat noch viel mehr aussah, als wäre es aus einem anderen Jahrhundert einfach hier in die Landschaft gesetzt worden.

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt