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Harry

Mit angewinkelten Beinen und der Wand im Rücken saß ich auf meinem Bett. Einer meiner Skizzenblöcke lag auf meinen Beinen.
Es war nur eine simple Übungszeichnung für perspektivische Räumlichkeit und kleine Detailvertiefungen. Ich hatte dieses Zimmer schon so oft von hier aus gezeichnet, aber kein einziges Mal seit Louis hier war.

Das Zimmer sah erstaunlich anders aus. Das zweite Bett war bezogen und die Decke lag unordentlich auf der Matratze. Auf dem runden Tisch waren nicht nur wie früher meine Malsachen und Bücher verstreut, sondern auch Louis' zerknitterte Kleidungsstücke und einige leere Tassen. Über einer der Stuhllehnen hing sein Paar Turnschuhe, an den Schnürsenkeln zusammenknotet.
Louis hatte eine bestimmte Unordnung mit sich gebracht, die mir gar nicht so schlecht gefiel.

Ich wusste nicht mal, wo er gerade war. In einer halben Stunde würde es Mittag geben – auch wenn die Essenszeiten jetzt in den Ferien viel flexibler waren. Sicher würden wir uns dann im Speisesaal sehen. Ich musste kurz überlegen, welcher Tag heute war. Montag. Die anderen Schüler (und Lehrer) würden erst am Samstag wiederkommen, was noch einige Tage hin war. Außer Niall, der kam am Freitag schon, weil er mit seinen Flügen aus Irland nicht so variabel anpassungsfähig war.

»Hey Harry« Louis kam mit gesenkten Schultern ins Zimmer.

»Nicht hinsetzen!«, rief ich panisch, als er sich gerade auf sein Bett fallen lassen wollte, an dem ich gerade zeichnete. Jede kleine Stofffalte der unordentlichen Decke würde sich verändern und das wäre alles andere als hilfreich. Louis sah mich erschrocken an.

»Was?! Wieso nicht? Züchtest du jetzt Skorpione in meinem Bett?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich zeichne.«
Louis verdrehte übertrieben die Augen.

»Immer diese Künstler!« Theatralisch fuhr er sich durch Gesicht und Haare, als wäre er komplett am Ende seiner Nerven. Ich musste grinsen und setzte mich gerade hin.

Ich schnalzte genervt mit der Zunge. »So ein nichtswissender Primitivling! Schätzt die Kunst so wenig, wie er sie versteht.« Ich bemühte mich, die angewiderte Grimasse aufrecht zu erhalten, aber dann musste ich wieder grinsen. Auch Louis grinste.

»Wo darf ich mich denn gefahrenfrei hinsetzen, Monsieur Künstler?«, erkundigte Louis sich und schaute sich fragend im Raum um. »Ich will schließlich kein Motiv zerstören.«

Ich dachte kurz darüber nach, dann klopfte ich neben mich auf die Matratze meines Bettes. Hier konnte Louis die Stofffalten zerstören so viel er wollte. Er nickte und setzte sich neben mir aufs Bett. Ich versuchte ihn nicht zu beachten und einfach weiter zu zeichnen, aber ich spürte seinen interessierten Blick auf mir und meinen Fingern. Das machte mich unruhig.

Aber wirklich nervig wurde es erst, als er begann mit seinen Fingern auf dem Rücken eines Buches, das ich noch nicht bemerkt hatte, herumzuklopfen.
Ich seufzte und setzte den Stift ab.

»Lou, ich kann mich so nicht konzentrieren.«, jammerte ich beklagend und er hob die Augenbrauen.

»Tut mir leid, aber ich bin deprimiert.«

»Wieso?«, fragte ich aus ehrlichem Interesse und er lachte verzweifelt.

»Wieso? Weil ich heillos überfordert mit dem Chemieaufsatz bin! Ich habe den ganzen Vormittag in der Bibliothek gesessen und weiß immer noch nicht mehr als vorher. Ich verstehe nichts
Ich nickte verständnisvoll.

»Weißt du, ich könnte dir helfen, wenn du willst.«, bot ich an und zeichnete wieder weiter.

»Würdest du das tun?«

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt