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Louis

Als das Klingeln das Ende der Algebrastunde und den Beginn der Ferien verkündete, ging ein erleichtertes Seufzen durch die Klasse. Fast wäre ich Niall um den Hals gefallen. Er grinste belustigt, als er das sah.

»Ich dachte, du freust dich nicht darüber, dass wir alle nach Hause müssen..?« Er tippte mit seinem Zeigefinger auf meine Brust, als hätte er mich bei einer Straftat ertappt.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich freue mich vielleicht nicht auf meine Eltern, aber ich war so lange nicht mehr in London. Und außerdem freue ich mich vor allem, weil die Schule erstmal vorbei ist. Das war die letzten Tage ja die Hölle!«

»Aber du hast doch gesagt, dass der Geschichtstest letzte Woche besser lief als erwartet. Und der Biotest gestern war auch gut.«, sagte Niall, während wir beide unsere Sachen zusammenpackten.

Ich lachte leicht. »Ja, Bio lief gut, aber Geschichte... Dass es besser lief als erwartet, heißt noch lange nicht, dass es gut lief. Ich brauche diese Ferien einfach.«

Niall nickte und wir schoben unsere Stühle an die Tische. »Ich muss nach dem Mittag erstmal meine Sachen packen.«

Liam und Harry tauchten neben uns auf, als ich nickte. »Ich auch«, seufzte ich. »Was ist mit euch? Habt ihr schon gepackt?«
Liam nickte, Harry schüttelte mit Blick auf seine Schuhe den Kopf.

Wir brachten unsere Schulsachen vor dem Essen noch weg, dann liefen wir zu viert runter in den Speisesaal. Liam quasselte lebhaft über die Weihnachtstraditionen seiner Familie, ich hörte ihm sogar zu. Nur manchmal konnten meine Gedanken leicht abschweifen, wenn ich daran dachte, wie ich meine Ferien mit meinen Eltern überleben sollte. Ich musste mir unbedingt noch eine Strategie ausdenken.

Harry sprach ungewöhnlich wenig, während er in seinem Reis herumstocherte. Niall behielt ihn aufmerksam im Auge, aber ich musste nicht mal fragen, was los war (ausnahmsweise mal nicht). Mittlerweile hatte ich kapiert, dass irgendetwas zwischen Harry und seinen Eltern nicht stimmte – auch wenn er hartnäckig behauptete, dass alles zwischen ihnen okay war. Aber manchmal konnte sogar ich eins und eins zusammenzählen.
Dazu kam aber, dass ich wohl am besten verstand, wie das war, weswegen ich ihn bei diesem Thema einfach in Ruhe ließ.

Es überraschte niemanden, dass ich mit Abstand am schnellsten meinen Teller geleert hatte – Liam kam zwischen dem ganzen Reden nicht wirklich zum Essen, Nialls Aufmerksamkeit war eher seinem besten Freund als dem Reis gewidmet und Harry schien einfach keinen Appetit zu haben. Also ließ ich die Drei so zurück, um schon mit dem Packen anzufangen. Es war wahrscheinlich gar nicht schlecht, wenn Harry und ich nicht gleichzeitig den Kleiderschrank plündern mussten.

Es war seltsam, seine Sachen zu packen. Ich nahm natürlich nicht alles mit, ich hatte ja auch zuhause noch Sachen. Aber es war trotzdem seltsam. Während ich die Kleidung in meinen Koffer einsortierte, sah ich zwischen Harrys und meinem Bett hin und her. Wie lange war ich jetzt schon hier? Drei Monate. Es war verrückt. Es lag nicht nur an meinen Eltern, dass ich gar nicht zurück wollte. Ich mochte es hier.

Ich schüttelte grinsend den Kopf, als mir auffiel, wie heuchlerisch das war. Ich wollte nicht zu meinen Eltern zurück, weil sie mich hierher geschickt hatten. Dabei war ich hier glücklich. Aber egal. Es ging ums Prinzip.

Nachdem ich an Kleidung alles eingesteckt hatte, was ich mitnehmen wollte, lief ich einfach so das Zimmer ab, um von dem herumliegenden Zeug noch etwas einzupacken. Nach einigem Zögern schob ich sogar meine Romeo-und-Julia-Ausgabe in die Tasche.

Als letztes wühlte ich mich noch so systematisch es ging durch unsere Unordnung auf dem Tisch. Wir schafften es einfach nicht, den ordentlich zu halten.
Ich arbeitete mich über den ganzen Tisch hinweg, bis ich am Ende unter einem Haufen missglückter Physikhausaufgaben (von mir natürlich) und Bleistiften einen Stapel von Harrys Zeichnungen fand und sofort stoppte ich in meiner Bewegung. Ich ließ mich auf einen der Stühle fallen und sah das oberste Blatt durchdringend an. Mein Inneres zerriss sich zwischen Neugier und Vernunft. Ich sollte mir die Zeichnungen ganz sicher nicht ansehen, zumindest nicht, ohne dass Harry davon wusste. Es wäre Vertrauensbruch, nicht wahr?
Aber andererseits hing eine beachtliche Anzahl von seinen Malereien und Zeichnungen schon an unserer Zimmerwand, also konnte Harry gar nicht so empfindlich sein, was das betraf.
Vertrauensbruch hin oder her, behutsam zog ich den Stapel hervor und legte ihn auf meinen Beinen ab.

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt