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Louis

Weil ich ganz genau wusste, dass ungeduldig sein das Warten nicht besser machte, war ich einfach so geduldig, wie ich nur konnte.

»Ich wette, er sammelt die Hausaufgabe ein.«, spekulierte Niall auf dem Weg zu unserem nächsten Unterrichtsblock – Geometrie. Juhu.

»Ich habe mit Harry verglichen, also wird das kein Problem für mich werden.«, grinste Liam Niall überlegen an. »Soll Powell doch einsammeln.«

»Ich würde mich nicht zu früh freuen, Liam!«, warnte ich ihn. »Vielleicht hat Harry extra falsche Ergebnisse aufgeschrieben, nur um dir heimzuzahlen, dass du die Hausaufgaben nicht komplett alleine machst. Nicht wahr, Harry?«

Harrys Gesicht verschwand gequält hinter seinen Handflächen. »Erinnere mich bloß nicht daran!« Es war noch immer süß, wie Harry selbst nach so viel vergangener Zeit seit diesem Vorfall immer noch ein schrecklich schlechtes Gewissen hatte. Es musste doch auch anstrengend sein, so ein guter Mensch zu sein. »Ich bereue all das so sehr.«

»Ich bereue nicht, dein Bett in Tee getränkt zu haben.«, gab ich grinsend zu – und sofort sah Harry empört auf.

»Hey, das war aber auch nicht gerade nett! Ich habe meine Fehler wenigstens eingesehen.«

»Willst du wissen, wieso ich es nicht bereue?«, überging ich mehr oder weniger seine Bemerkung. »Ohne den Tee wärst du freiwillig wahrscheinlich nicht näher als einen Meter an mich herangekommen. Aber der Tee hat dich gleich bis zu mir ins Bett gezaubert. Ich hätte es nicht zugegeben, aber es war eine wunderbare Nacht.«

Harry zog eine Grimasse. »Du hast mich morgens aus dem Bett geschubst. Und Niall war wütend auf mich, weil ich dir angeblich klein beigegeben hätte. Es ist also nicht unbedingt eine meiner besten Erfahrungen.« Sein Blick wurde milder und er sah mich an. »Aber trotzdem bin ich letztendlich dankbar, schätze ich. Denn wenn ich mich richtig erinnere, war der Tee auch der Auslöser dafür, dass ich zu Liam gegangen bin, um die ganze Sache zu beenden.«

Liam nickte heftig. »Du erinnerst dich richtig! Du hast mir davon erzählt, dass ihr im selben Bett geschlafen habt. Ich habe gefragt, ob ihr Eis oder Torte zur Hochzeit haben wollt.«

Ungläubig sah ich zwischen Liam und Harry hin und her. Worüber hatten die beiden noch alles so geredet? Ich fühlte mich, als befände ich mich eine beträchtliche Menge an Wissen hinter allen anderen. »Habt ihr zwei vielleicht noch ein paar andere Dinge«, begann ich also, »die ihr vergessen habt, zu erwähnen und die mich vielleicht inte-«

»Louis, da bist du ja!« Die Stimme der Schulleiterin schnitt meine Frage ab, bevor ich sie vollständig aussprechen konnte. Wir drehten uns alle gleichzeitig zu Evelyn um, die jetzt vor uns zum Stehen kam. »Hallo Jungs.«, begrüßte sie unsere kleine Gruppe.
Ich runzelte fragend die Stirn. Was wollte sie von mir?

»Ich habe eine Weile gebraucht, um dich zu finden, Louis.«, erklärte sie. Ich wartete weiterhin. »Ich wollte dich um etwas bitten.« Worum könnte unsere Schulleiterin mich denn schon bitten – mehr Schichten im Garten zu übernehmen?

»Zayn.«, sagte sie optimistisch.
Meine Laune fiel. Was auch immer jetzt folgen würde; es konnte nur schlecht sein. Es sei denn, sie bat mich darum, ihn wieder höchstpersönlich dorthin zurückzufahren, wo er hergekommen war. Nur leider hielt ich das für äußerst unwahrscheinlich.

»Es würde mich freuen, wenn du Zayn ein bisschen einweisen würdest, Louis. Du weißt schon, wie Harry es bei dir in deinen ersten Tagen hier gemacht hat. Ich glaube, dass du Zayn am besten helfen kannst; du weißt, wie es ist, mitten im Jahr einsteigen zu müssen. Das könnte ihm sicherlich eine große Hilfe sein.«

Nein. Nein, nein, nein.
Wie sehr konnte meine Glücksfee mich hassen? Buchstäblich jeder hier könnte Zayn einweisen, wieso wurde ich ausgewählt? Weil ich auch mitten im Jahr eingestiegen war – Schwachsinn. Ich war nur ein paar Wochen nach Beginn des Schuljahres hier angekommen. Jedes Mädchen hätte sich ganz bestimmt um diesen Posten gerissen. Aber das einzige, in das ich Zayn einweisen wollte, war ein Gefängnis. Vielleicht eins für olympische Götter, die gefährdend für perfekt laufende Menschenleben wie meines waren. Jedenfalls ein Gefängnis, aus dem er nicht so schnell wieder raus käme.

Doch ich wusste, dass ich annehmen musste.
Erstens lehnte man nicht so einfach eine Bitte der Schulleiterin ab. So vorwitzig war ich nun auch wieder nicht. Und zweitens bestand die Chance, dass die Aufgabe sonst an Harry übertragen werden würde – und das war nun wirklich das letzte, was ich wollte. Die Erde müsste schon aufhören, sich zu drehen, bevor ich Harry mit diesem Schönling alleine ließ. Da könnte ich ja gleich eine Agentur anrufen, die jemanden schickt, der mir den Freund ausspannt. Keine Chance.

»Gut.«, willigte ich also ein. Ich versuchte, meinen Kiefer nicht anzuspannen. Evelyn fände es sicher nicht besonders toll, wenn sie über meine Einstellung gegenüber Zayn Bescheid wusste. Und noch weniger wollte ich, dass Harry das wusste. Harry sollte nicht mal über Zayn nachdenken.

»Perfekt, Louis.«, Evelyn lächelte erfreut. »Vielen Dank, Zayn wird froh sein, dich zu haben.« Zayn würde ganz sicher nicht froh sein, mich zu haben. »Er wird bestimmt erleichtert darüber sein, schon einen Freund in dir zu finden. Das kann nach einem Schulwechsel ja manchmal ein bisschen schwierig sein.« Zayn würde in mir einen neuen Erzfeind finden, nichts anderes. Und trotzdem lächelte ich Evelyn so motiviert es ging an und nickte brav. Sie verabschiedete sich wieder von uns.

»Du siehst nicht gerade froh darüber aus.«, flüsterte Harry, als sie schon wieder den halben Gang zwischen uns gebracht hatte.

»Ich hatte eigentlich andere Pläne für heute Nachmittag.«, erinnerte ich ihn finster. »Bessere Pläne.«

»Ist schon okay, Louis. Dann ist es eben nicht heute. Wir zwei haben alle Zeit der Welt.« Ich wusste, dass er den Nachmittag so ungeduldig erwartet hatte wie ich. Aber er würde mir niemals ein schlechtes Gewissen machen wollen, also tat er so, als würde es ihm überhaupt nichts ausmachen.

»Hört auf zu flüstern, ihr Trottel!«, befahl Niall und klatschte in die Hände. »Wir gehen jetzt weiter, klar? Ihr beide auch. Louis, du wirst dich deinem Schützling vorstellen und aufhören, alles außer Harry mit einem Todesblick anzusehen. Und Harry, du wirst jetzt sofort hierher kommen und mir verraten, was du Liam geantwortet hast! Eis oder Torte?«

Harry seufzte und nickte. Leider blieb auch mir keine andere Wahl übrig. Ich konnte der Zayn-Sache nicht aus dem Weg gehen. Augen zu und durch, hieß es da wohl.

Ich ging nicht vor Geometrie zu Zayn. Auch nicht vor dem Mittagessen. Hätte ich das getan, hätte ich ihn an unseren Tisch mitnehmen müssen und dann würde er womöglich noch für immer dort sitzen bleiben wollen.

Dafür wusste ich nach dem Essen, dass ich es nicht weiter hinauszögern konnte. Also beobachtete ich, als Zayn von seinem Tisch aufstand, sein Geschirr wegbrachte und den Speisesaal verlassen wollte. Ich küsste Harrys Wangenknochen, schob Niall mit einem ›Bring das bitte für mich weg‹ mein Geschirr zu und folgte dem schwarzhaarigen Jungen.

»Hey!«, rief ich ihm auf dem Flur hinterher, als er dabei war, in die Eingangshalle einzubiegen. Wahrscheinlich wollte er hoch in sein Zimmer.
Ich sah, wie er stehen blieb und sich zu mir umdrehte.

Ich beschleunigte meine Schritte, damit ich schnell vor ihm stand. Er sollte mich nicht so beim Gehen beobachten, während er einfach nur dastand. Vermutlich lachte er in seinem Kopf darüber, wie unglaublich plump ich mich als einfacher Mensch bewegte. Wie bemitleidenswert ich ihm gegenüber war.

Arroganz stand jemandem wie ihm viel zu gut. Ich hätte ihn am liebsten geschlagen. Ihm die perfekte Nase gebrochen, um den selbstgefälligen Blick nicht mehr auf mir zu spüren.

Endlich hielt ich inne. Ich räusperte mich und verdrehte dann dramatisch die Augen. Er sollte sehen, dass ich dass hier nicht wollte.

»Also gut, Zaynie.«, sagte ich betont gelangweilt. »Du bist also neu hier.«

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt