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Louis

»Guten Morgen, Louis! Wie geht es unserem Patienten heute?« Harry strahlte mich mit breitem Lächeln an und drückte mir wie an jedem der letzten Tage eine heiße Teetasse in die Hand. Ich setzte mich verschlafen auf und warf einen Blick auf den Wecker. Punkt 9:45 Uhr. Natürlich war Harry pünktlich. Wie jeden Morgen.

Er öffnete das Fenster und kam dann zurück zu meinem Bett, legte mir kurz seine Hand an die Stirn.
»Fühlt sich viel besser an!«, kommentierte er fröhlich. »Heute ist Freitag, Montag kannst du wieder mit in den Unterricht. Du warst auch lange genug krank!« Er strahlte dabei, als wäre das die beste Nachricht des Tages. Ich verdrehte die Augen.

Keine Ahnung, warum Harry das Alles tat. Wahrscheinlich fühlte er sich immer noch irgendwie schuldig. Er hatte mich die ganze Woche jeden Tag pünktlich um 9:45 Uhr geweckt – das war in seiner ersten Pause – um mir einen Tee zu bringen und sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Es war etwas nervig, aber ich sagte ihm nicht, dass er aufhören sollte, weil er sich immer so sehr darüber freute.

»Mrs. Brown möchte dich um Zwölf im Krankenzimmer sehen. Sie hält es nicht mehr für nötig, dass sie herkommen muss.« Ich nickte und notierte den Termin in meinem Kopf. »Brauchst du noch etwas, Louis?«, erkundigte sich Harry noch und ich hatte schon ein Dutzend anstößige Antworten auf der Zunge, von denen jede Einzelne Harry knallrot hätte anlaufen lassen. Allerdings ließ ich es und schüttelte nur den Kopf, weil ich Harry sowieso schon oft genug aufzog. Er hatte mal eine freie Minute verdient.

Er nickte lächelnd und öffnete die Tür.
»Dann bis später, Louis. Werd gesund!« Und damit war die Tür zu und ich und mein Tee alleine.

»Da wären wir also wieder.«, murmelte ich dem Früchtetee zu. »Heute ist es wohl das letzte Mal.«
Ich pustete kurz und trank dann einen Schluck.

Bis es Zwölf war, besuchte Liam mich noch einmal in einer Pause und brachte mir einen Tee mit, weil er Harry hatte ablösen wollen und sowieso zu mir gewollt hatte. Allerdings war die Pause nicht sonderlich lang und er war schnell wieder weg. Ich hatte nichts zu tun, also ging ich schließlich eine halbe Stunde zu früh zum Krankenzimmer.

Die Untersuchung ging schnell, ich bekam noch ein paar Halstabletten und die Anweisung, mich auch ja warm anzuziehen. Außerdem die Erlaubnis, am Montag wieder am Unterricht teilnehmen zu dürfen. So wirklich froh war ich darüber ja nicht.

»Wow, ich hatte das Essen nicht so gut in Erinnerung!«, sagte ich mit vollem Mund, während ich mehr in mich hineinschaufelte. Die letzten Tage hatte ich nur Suppe bekommen – die extra für mich gekocht worden war. Aber heute, Freitag, konnte ich endlich wieder hier unten im Speisesaal essen.

Liam verdrehte die Augen. »Du bist so empfindlich! Wer wird auch bei ein bisschen Regen gleich krank?«

»Hey!« Ich sah ihn empört an. »Ein bisschen Regen ist wohl etwas untertrieben, findest du nicht? Außerdem bin ich in London aufgewachsen! Da kannst du dich auf jeden Meter in ein hübsches, warmes Café setzen.«

Ohne mich anzusehen, grinste er. »Verwöhntes Großstadtkind!«

Ich wollte mich schon wieder rechtfertigen, als ich es mir anders überlegte. »Wo kommst du eigentlich her, Liam?«, fragte ich stattdessen.

»Liverpool«, sagte er knapp. Ich rümpfte die Nase. Ich war nur einmal mit meinen Eltern in Liverpool gewesen. Eigentlich hatte ich nicht mitkommen wollen, aber sie hatten mir versprochen, dass wir das Yellow Submarine der Beatles ansehen würden. Sie hielten ihr Versprechen nicht und schleppten ihren achtjährigen Sohn stattdessen mit in die Walker Art Gallery. Das waren einige der schlimmsten Stunden meines Lebens gewesen. Man konnte also sagen, dass ich Liverpool hasste.

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt