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Louis

Die Tür zu unserem Zimmer öffnete sich laut genug, um Harrys bereits leiser gewordenes Schluchzen zu übertönen. Er saß mit dem Rücken zu mir an seiner Hälfte des Schreibtisches, der komplett aufgeräumt war, während der runde Tisch in der Zimmermitte mit all meinem Biomaterial überhäuft war. 

Harrys Schultern waren angespannt und zitterten zugleich. Sein Gesicht war in seinen Händen vergraben.

»Harry« Beim Klang seines Namens versteiften seine Schultern sich noch mehr. Ich schloss die Tür hinter mir und versuchte in meinem Kopf die richtigen Worte für das zu finden, was ich ihm sagen wollte. Ich ging zu dem Eck-Schreibtisch und setzte mich stumm auf meinen Stuhl an meiner Hälfte. Durch den Knick des Tisches saßen wir jetzt beide in der Ecke am gleichen Tisch, betrachteten aber verschiedene Wände.

»Harry«, sagte ich wieder und lauschte auf das Schluchzen, das sich inzwischen fast ganz beruhigt hatte. Ich bemühte mich, normal zu atmen, damit er normal atmete. Ich wusste, dass er nichts sagen würde. Ich wusste nicht, ob er etwas zu sagen hatte. »Es tut mir leid, Harry.«

Wie erwartet schwieg er. Ich blinzelte und hoffte so, in Worte fassen zu können, was ich noch nicht einmal in Gedanken gefasst hatte.

»Ich weiß, dass ich dich verletzt habe.«, begann ich also zuerst mit dem, was feststand. »Ich liebe dich, Harry, und ich weiß, dass du noch nicht so weit bist, dir über derartige Gefühle komplett im Klaren zu sein. Ich habe dir gesagt, ich würde auf dich warten. Und ich meinte es auch. Was ich vorhin gesagt habe; dass du die Worte hättest erwidern sollen, nur damit ich mich gut fühle...ich hätte das nicht sagen dürfen. Es ist kein Opfer, das du bringen solltest. Ich glaube, es ist ein Irrtum, dass man für Beziehungen Opfer bringen muss, es ist nicht gesund. Ich kann dir nicht genau sagen, was mich vorhin alles überkommen hat. Eine Menge. Es war der ganze Stress mit Bio, ich war empfindlich und du warst zur falschen Zeit am falschen Ort.« Ich seufzte und schüttelte den Kopf über meine eigenen Worte. »Aber das sind nur Ausreden. Ich will mich nicht rechtfertigen, denn es gibt nichts zu rechtfertigen. Ich will nicht, dass du mir sagst, dass du mich liebst – nicht, solange du nicht weißt, dass du es tust. Wenn du...wenn du Liebe verstehst, dann wirst du wissen, dass ich genug Grund habe, geduldig auf dich zu warten, wie lange es auch dauern mag. Es tut mir leid, alles, was ich heute zu dir gesagt habe. Jedes einzelne Wort.«

Ich drehte mich langsam auf dem Stuhl zu Harry hin. Sein Gesicht war in seine Hände gestützt. Für einen Moment war ich mir nicht sicher, ob er vielleicht gar keine Reaktion zeigen würde. Er hatte mich schließlich nicht darum gebeten, ihm zu folgen.

»Bist du wütend, Harry?«, fragte ich zögerlich. »Dass ich hier bin?« Ich versuchte Antworten aus seinem Gesicht abzulesen, nur konnte ich es kaum sehen. »Soll ich gehen?«

Ich konnte nicht sagen, ob die Stille bedeutete, dass Harry meine Anwesenheit nicht wollte. Was sollte ich tun? Ihn alleine lassen? Bleiben? Mich mit anderen Worten weiter entschuldigen?

Ich hatte nicht die Gelegenheit, mich für eine der Möglichkeiten zu entscheiden, als Harry sich plötzlich auch mir zudrehte. Sein Knie streifte meines, als er sich so hinsetzte, dass wir einander direkt ansahen. Ich war erleichtert, dass etwas geschehen war, auch wenn ich noch nicht wusste, was es bedeutete.

Denn Harry schwieg weiterhin. Seine Augen schwiegen nicht, aber ich konnte sie nicht verstehen. Er sah mich direkt an, vielleicht suchte er etwas. War es Verzweiflung, Enttäuschung oder Bedauern in seinem Blick? Die Tränenspuren auf seinen Wangen waren dabei zu trocknen, seine Lippen lagen still aufeinander. Er sah mich an und alles, was ich tun konnte, war seinen Blick zu erwidern. Ich wollte ihm die Wangen trocken wischen, ihn in den Arm nehmen. Aber ich hatte keine Ahnung, ob er das gerade wollte.

»Ich bin nicht wütend, Louis.«, sagte er nach einer unendlichen Anzahl von Sekunden oder Minuten endlich mit klarer Stimme. »Aber du hast mir wehgetan mit deinen Worten. Ich will und werde weder dich noch mich belügen.«

Beruhigt nickte ich. Auch wenn mir beim Thema lügen sofort wieder das belauschte Gespräch von Harry und Niall ins Gedächtnis schoss, bei dem es sehr deutlich geworden ist, dass es sehr wohl Dinge gab, über die Harry mich belog. Aber das würde ich jetzt garantiert nicht ansprechen. Ich wollte, dass Harry mir verzieh, ihn nicht für irgendwelche zusammenhangslose Dinge beschuldigen.

»Ich hoffe ehrlich, Louis, dass du auf mich warten kannst. Dass du die Sachen, die du vorhin gesagt hast, nicht so meintest. Du hast jedes Recht dazu, traurig zu sein oder frustriert oder was auch immer, darüber, dass ich die drei Worte nicht erwidern kann. Und ich will gerne mit dir darüber reden, wie du dich deswegen fühlst. Aber nicht, wenn du mir Vorwürfe dafür machst, dass ich nicht für dich lüge. Damit du dich gut fühlst. Denn wenn ich dir sagen sollte, dass ich dich liebe, dann nicht, weil ich will, dass du dich darüber freust, sondern weil ich es meine und du mir genau das bedeutest.«

Wieder nickte ich. »Ich weiß, Harry. Es tut mir so leid.«

Harry seufzte leise. »Ich weiß. Denke ich.« Er sah kurz zu unseren Knien, die nicht mal Zentimeter auseinander lagen. »Louis, wenn es dich so schmerzt, mir zu sagen, dass du mich liebst, solange ich es nicht erwidern kann, dann kannst du jederzeit damit aufhören. Wenn ich mir meine Zeit nehme, darfst du das auch. Aber bitte rede mit mir darüber.«

»Harry«, ich sah ihm so fest wie möglich in die Augen, »es schmerzt mich nicht, das zu sagen. Ich liebe dich, und ich will, dass du es weißt. Hörst du? Das hat nichts damit zu tun, wann du so weit bist.«

Er brauchte eine Weile, dann nickte er. Ich versuchte, sein schönes Gesicht zu entziffern. Er sah ernst aus, und nachdenklich.

»Auch wenn ich noch nicht die gleichen Worte wie du finde, Louis, weißt du aber trotzdem, wie viel du mir bedeutest, nicht wahr? Ich will dich nicht darüber verlieren, dass du an meinen Gefühlen zweifelst.«

»Du verlierst mich überhaupt nicht, Harry.« Ich legte so viel Nachdruck wie möglich in meine Worte. »Und ich will auch dich nicht verlieren. Du hast meine Worte heute nicht verdient. Ich hoffe, du weißt das.« Ich dachte daran, dass Harry nicht mal mit Niall geredet hatte. Ich wusste noch immer nicht, was das bedeutete, aber höchstwahrscheinlich war es nichts Gutes. Zögernd atmete ich langsam aus. »Darf ich dich küssen, Harry?«, fragte ich vorsichtig und ohne Erwartung einer bestimmten Antwort.

Harry presste seine Lippen leicht aufeinander, seine Augen glänzten noch immer schwach. Dann nickte er, lehnte sich mir entgegen und legte seine Lippen sanft auf meine.

Ich küsste ihn nur langsam und behutsam. Meine Finger streiften sein linkes Knie, sein Atem war warm gegen meinen.

Mit einem feinen Geschmack nach Salz auf meinen Lippen lehnte ich mich wieder zurück, Harrys Blick hatte meinen sofort wieder fixiert. Harry lächelte nicht. Aber er suchte ohne hinzusehen sacht nach meiner Hand und verflocht seine Finger still mit meinen, als er sie gefunden hatte.

Ich hoffte, dass er wusste, wie wichtig er mir war. Und dass ich bedingungslos warten würde.

One room • l.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt