Kapitel 9

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Es war eindeutig zu früh, als Gladion um halb sechs Uhr morgens ohne Ankündigung in mein Zimmer platzte und mich aus dem Schlaf riss.
"Beeil dich, Dante hat eine Teambesprechung unserer Einheit einberufen.", waren seine wenig einfühlsamen Worte am frühen Morgen.
Ich stöhnte und klammerte mich an meine warme Decke wie an einen Rettungsanker.
"Blöder Feuerfinger", murrte ich.
"Fauler Mensch", erwiderte Gladion mit einem Schnauben, bevor er mein Zimmer wieder verließ.

Eine Viertelstunde später erreichte ich mit notdürftig übergestreifter Kleidung, etwas zerzaustem Haar und schwarzen Ringen unter meinen grünblauen Augen den kleinen Saal, in dem die meisten Taktikbesprechungen stattfanden.
Es war ein langweiliger grauer Raum mit unbequemen Stühlen und einer ernsten Atmosphäre.
Ziemlich übermüdet fuhr ich mir mit der Hand durch das lange dunkelblonde Haar und versuchte, es einigermaßen zu ordnen und nicht wie ein halber Zombie auszusehen.
Im Taktikraum hatten sich bereits Dante, Gladion und Liliane eingefunden.
Gladion schüttelte bei meiner Erscheinung den Kopf, während Liliane auf mich zukam und mich aufmunternd anlächelte.
"Da ist aber jemand noch nicht ganz fit.", erkannte sie.
Dante nickte mir ebenfalls einigermaßen freundlich zu.
Wieder einmal verstörte mich sein fast schon unwirklich gutes Aussehen.
Ja, Gladion war auch nicht gerade hässlich, doch an Dantes makelloses Gesicht, die tiefbraunen Augen und das kantige Kinn kam kein Normalsterblicher heran.
Ich konnte verstehen, weshalb Liliane ihm so zugetan war, auch wenn ihre Chancen bei dem attraktiven Prinzen nicht besonders groß waren.
Sicher, er schien sie gern zu haben, doch er war ein Flammenprinz und sie eine Feuerkriegerin.
Mitten in meine Grübeleien platzte Madeline, die mit einem breiten Grinsen, bei dem der blaue Edelstein über ihrer Oberlippe glitzerte, eintrat.
Hinter ihr kam auch Ace, der sich deutlich unauffälliger verhielt und direkt in die Ecke verschwand, von wo aus er alles wachsam beobachten konnte.
Madeline hingegen ging zu Dante und umarmte ihn wie selbstverständlich.
Zu meiner Überraschung erwiderte er die Umarmung und lächelte Madeline sogar an.
Ich erinnerte mich an Lilianes Aussage, dass der Prinz Madeline wie sein kleines Wunderkind behandelte und verwöhnte.
Mit einem zufriedenen Lächeln und einen gefährlichen Funkeln in den grauen Augen stellte die Drachenflüsterin sich neben Liliane, die sich merklich anspannte.
Ich zählte kurz durch.
Mit Dante waren wir zu sechst, demnach fehlte noch eine Person, die ich jedoch noch nicht kennengelernt hatte.
Gladions Blick war düster und er beugte sich zu Dante, um ihm etwas zuzuraunen.
"Wer fehlt denn?", flüsterte ich Liliane zu.
"Drake", antwortete Madeline stattdessen mit einem spitzen Unterton; "Er kommt immer zu spät."
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür zum letzten Mal und das verstätete Mitglied unserer Einheit trat ein.
Ich musste mich beherrschen, um nicht verblüfft die Augen aufzureißen und ihn anzugaffen.
Drake hatte schwarzes Haar, war recht gut gebaut und hatte stark sonnengebräunte Haut, woraus sich schließen ließ, dass er viel Zeit draußen verbrachte.
Doch das war nicht das, was einem so ins Auge stach. Nein, das war sein Gesicht.
Jenes war nämlich komplett mit dicken, wulstigen Narben überzogen, die vermutlich von einem Messer herrührten.
Von seiner linken Stirnhälfte reichte bis zuseinem Kinn die längste Narbe, jedoch verunstalteten weitere kürzere Narben sein Gesicht.
Es gab kein unberührtes Fleckchen in seinem Gesicht, welches so aussah, als hätte ein Wahnsinniger mit einem Messer darauf eingehackt.
Zwischen all den Narben blickten zwei grellgrüne Augen heraus und strahlten wie Sterne in dieser Verwüstung von einem Gesicht hervor.
Ich konnte nicht sagen, ob Drake einst schön gewesen war, ich sah nur die markanten Zeichen, die alles andere überdeckten.
"Drake", begrüßte Dante ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Der Angesprochene neigte den Kopf, bevor er sich erstaunlicherweise neben mich stellte.
Seine Augen durchbohrten mich.
"Du bist der Mensch, was?", fragte er interessiert.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Gladion Drake hasserfüllt anstarrte.
Dieser ignorierte ihn im Gegenzug.
Was war hier los?
Ich schluckte.
"Ich heiße Kate.", stellte ich klar.
Drake lächelte, wobei sich seine Narben grotesk verzogen. Das schien ihn aber nicht zu stören.
"Natürlich."
Dante wirkte allmählich etwas ungeduldig.
"Können wir jetzt anfangen?", wollte er wissen.
Wir verstummten.
Dante ließ seinen Blick noch einmal über die Runde schweifen, dann räusperte er sich.
"Ihr seid als Einheit Z9 die Spezialtruppe der Armee der Feuerfinger. Mein Vater hat mir nicht nur diese Trainingsanlage anvertraut, sondern auch im Besonderen euch.", begann der Flammenprinz; "Unsere Quellen berichten, dass sich die Lage zuspitzt. Seit wir Fost angegriffen haben, wohnt in dieser Stadt niemand mehr. Die Überlebenden sind aus der niederbrannten Stadt geflohen und wir haben somit einen großen Stützpunkt der Schatten zerstört."
Ich verkrampfte mich, als über meine Heimatstadt und deren Schicksal gesprochen wurde. In Schutt und Asche.
Unwillkürlich fragte ich mich, ob Lucas noch am Leben war. Wobei, wollte ich das überhaupt?
Ich wusdte es nicht.
Liliane und ich tauschten einen Blick und ich spürte auch Drakes Augen von meiner anderen Seite auf mir liegen.
"Damit haben wir sie sehr gereizt.", fuhr Dante fort; "Ich habe die Nachricht bekommen, dass sie zu einem Gegenschlag auf Dyrant, unsere größte Grenzstadt, ausgeholt haben. Momentan setzt sich dort mein Bruder Prinz Nathan gegen die Schatten und Menschen zur Wehr. Mein ältester Bruder, Kronprinz Kiano, möchte, dass wir uns bereit halten, notfalls einzugreifen. Ihr seid unsere fähigste Einheit. Madeline ist die begabteste Drachenflüsterin seit Jahrhunderten."
Das Mädchen mit den braunen Locken und dem Edelstein über der Lippe lächelte zufrieden.
"Kate hat sowohl mit Menschen als auch mit Schatten mehr Erfahrungen als alle in dieser Trainingsanlage zusammen.", redete der gutaussehende Prinz weiter; "Und ihr anderen vier seid unsere besten Kämpfer. Doch ihr braucht noch Übung. Der Krieg ist noch in den Anfängen, doch in wenigen Wochen werden die Schatten zum großen Schlag auf unsere Hauptstadt ausholen. Dafür brauche ich euch hauptsächlich, doch auch die Hilfe für meinen Bruder Prinz Nathan in Dyrant hat Priorität."
Wir nickten. Es war uns allen klar, wie ernst die Lage war.
Ich konnte aber auch eine gewisse Ironie in meiner persönlichen Situation sehen.
Der Grund, weshalb ich am Leben war, weshalb man mich vor dem Tod gerettet hatte, war, dass die Feuerfinger kaum etwas über Schatten und Menschen wussten, da sie sich immer arrogant von jenen ferngehalten hatten und jetzt mein Wissen benötigten.
Ich regte mich aber auf der anderen Seite immer darüber auf, wie überheblich die Feuerfinger waren und dass sie uns Menschen nicht vor den Schatten beschützt hatten, dabei war das doch die einzige Bedingung, weshalb ich gerade überhaupt noch lebendig war.
Was für einen seltsamen Humor die Welt doch hatte.
"Ich möchte, dass ihr als Einheit ein eingeschweißtes Team seid. Dass ihr euch fast schon blind versteht.", führte Dante seinen Vortag fort; "Das bedeutet, dass ihr von nun an nur noch zusammen trainiert. Von morgens bis abends möchte ich euch beieinander sehen. Denn dann" - er grinste - "werdet ihr unschlagbar sein."




Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt