Beim Aufwachen war die Stelle hinter mir kalt, als hätte ich nur geträumt, dass dort jemand gelegen hätte.
Nein, nicht jemand - Gladion.
Oh, was hatte ich mir nur dabei gedacht?
Gladion? Ein Feuerfinger? Der Feuerfinger, der mich vielleicht einmal umbringen würde?
Schlechter hätte es mich gar nicht treffen können.
Verwirrt und wütend auf mich selbst erhob ich mich und fuhr mir durch das dunkelblonde, hoffnungslos verwuschelte Haar.
Erst eine Sekunde später traf mich die Sekunde wie ein Blitz.
Liliane.
Meine starke, aufbauende Freundin war tot. Von Schatten zerfetzt.
Am liebsten wäre ich wieder kraftlos in mein Bett gesunken.
Die Trauer verkrallte sich tief in meinem Herzen und ich bekämpfte die in mir aufsteigenden Tränen beim Gedanken an sie.
Nein.
Bestimmt schüttelte ich den Kopf. Ich durfte nicht weinen, nicht hier, wo ich doch im Haus des Feindes lebte.
Aber war es wirklich so?
War Dante mein Feind? Oder Drake, mit dem ich geschlafen hatte und dem ich seither aus dem Weg gegangen war? Oder der verklemmte Ace?
Liliane war eine Feuerbändigerin gewesen, aber das war etwas anderes.
Oder?
Vollkommen fertig schlurfte ich ins angrenzende Badezimmer, spritzte mir Wasser ins Gesicht und betrachtete meine verheilenden Wunden an den Unterarmen und Fußsohlen.
Wenigstens ging es mir körperlich immer besser, auch wenn ich ein seelisches Wrack war.
Ich wusste nicht, ob ich stark genug für Widerstand sein würde, wenn der Schattenprinz wieder versuchen sollte, die Kontrolle zu übernehmen. Denn dass er es versuchen würde stand außer Frage, es war nur eine Frage der Zeit.
Matt flocht ich mein glanzloses Haar zu einem Zopf, wechselte meine schmutzigen Klamotten und kniff mir in die Wangen, um zu ein bisschen Farbe zu kommen.
Es war doch alles sinnlos.
Ich musste die Frau suchen, wegen der ich mir den Schatten aufgehalst hatte und diese unsägliche Zeit bei den Feuerfingern hinter mir lassen. Nur Ärger hatten sie mir gebracht.
Von Gladion über Drake, Madeline bis hin zu Liliane. Letztere hatte mir mit ihrem Tod nur ein zusätzliches Loch ins Herz gerissen, wie auch meine Familie vor ihr.
Und dann war da noch Jenna.
Jenna, die ich bis jetzt völlig aus meinem Kopf verbannt hatte.
Jenna, die in einer Zelle saß und möglicherweise gefoltert wurde.
Gemischte Gefühle stiegen in mir auf, denn einerseits konnte ich Jenna auf den Tod nicht ausstehen, andererseits war sie hier quasi hilflos den Feuerfingern ausgesetzt.
Und denen traute ich alles zu.
Lilianes Stimme in meinem Kopf, die mich wie ein Moralapostel beschwor, wenigstens nach der Wasserbändigerin sehen zu gehen, gab schließlich den Ausschlag.
Es würde mich ja nicht umbringen, kurz nach ihr zu schauen.
Kopfschüttelnd straffte ich die Schultern und machte mich auf den Weg.
Wenig später, nachdem ich zum Glück halbwegs unbemerkt und ohne auf bekannte Gestalten zu treffen, beim Gefangenentrakt angekommen war, überfiel mich die Unsicherheit.
Aber Liliane, die mich im Geiste über Ehre und Anstand belehrte, trieb mich vorwärts und bis hin zu den Zellen.
Die beiden Feuerfinger, die Wache schoben, ließen meine Lüge gelten, dass ich in Dantes Auftrag nach den Gefangenen schaute.
Sie wussten, dass ich zum Spezialkommando gehörte und persönlichen Umgang mit dem Prinzen pflegte, jedoch entgingen mir ihre abwertenden Blicke nicht, als sie mir Einlass gewährten.
Sie hassten, dass ich, ein Mensch, hier eine besondere Position genoss und das lockte mir ein verzerrtes Grinsen aufs Gesicht, das aber genauso schnell verschwand, wie es aufgetaucht war.
Ich hob das Kinn und schrat festen Schrittes auf dem Gang, an dessen Seiten sich die unschönen Zellen befanden.
Dabei fiel mir auf, dass der Mann, den ich bei meinem letzten Besuch hier gesehen hatte, nicht mehr da war.
Ich erschauderte.
Doch zumindest fand ich Jenna in einer der hinteren Zellen, wo sie in einer von meinem Blickpunkt aus ziemlich unbequemen Position hockte und das Gesicht an der Brust vergraben hatte.
Bei meinem Näherkommen blickte sie langsam auf und ich schluckte hart.
Ihr ovales, olivbraunes Gesicht war verkratzt und ihr linkes Auge war nicht mehr mandelförmig, sondern violett und zugeschwollen. An ihrem Haaransatz erkannte ich ein wenig getrocknetes Blut und in ihren Locken hing Dreck und Staub.
Als ihr unversehrtes Auge mich fokussierte, lachte sie rau und scharf auf, was jedoch sofort in ein krächzendes Husten umschlug.
"Du siehst ja fast so schlimm aus wie ich.", sagte sie, als der Husten sie nicht mehr durchschüttelte.
"Das glaube ich nicht.", murmelte ich und eine schwere Last senkte sich auf meine Schultern.
Ja, ich hatte so einen Zustand erwarter, doch trotz unserer hasserfüllten Vergangenheit spürte ich in mir so etwas wie Mitleid und Schuld aufkeimen.
Ich hatte Jenna hierher gebracht, das alles ging auf meine Kosten, auch wenn sie einen Teil davon verdient hatte, nach allem, was sie mir angetan hatte.
Mir und Lucas.
Dank ihr hatte er mich fallen lassen und somit die einzige Person verloren, die ihn noch geliebt hatte.
"Da siehst du, wie nett deine neuen Freunde sind.", knurrte Jenna sarkastisch; "Hast dir ja passende Verbündete aus
gesucht."
Ihr Atem kam etwas pfeifend und ich realisierte, dass sie vermutlich krank war und auch ein wenig fieberte, so wie ihr Auge glänzte.
Kein Wunder in dieser Zelle.
"Ich bleibe nicht mehr lange.", eröffnete ich der geschlagenen Piratin ehrlich.
Diese schnaubte nur und wandte den Blick von mir ab. Offensichtlich kränkte es ihren idiotischen Stolz, dass ich sie so sah.
Aber Jenna war noch nie die Hellste gewesen und so begriff sie nicht, dass ich die Feuerfinger ebenso hasste wie sie und vielleicht ihre einzige Chance auf Hilfe war.
Ich fragte mich, was Liliane jetzt getan hätte, doch ich war mir nicht sicher.
Wahrscheinlich hatte ich sie nicht lang genug gekannt. Und außerdem war es doch Blödsinn, etwas in Gedenken an eine tote Person zu tun.
Das nutzte ihr jetzt auch nichts.
Sie war bei den Göttern, den scheinheiligen Arschlöchern irgendwo dort oben.
Und ich war hier.
Kurz verharrte ich noch schweigend an Jennas Zelle, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu ändern und zu begreifen, dass ich ihr helfen konnte.
Natürlich tat sie das nicht.
Also gut, ich schuldete ihr nichts und eigentlich hasste ich sie doch.
So drehte ich mich um und wollte schon wieder aus dem Trakt spazieren, als Jenna doch noch einmal die Stimme erhob.
"Ich habe ihn nicht geliebt, aber er war nett.", sagte sie hinter mir; "Lucas ist ein schlechter Bruder, aber kein schlechter Mensch."
Mit diesen Worten im Ohr verließ ich die verletzte Wasserbändigerin dann endgültig, entschlossen, aber dennoch mit einem leichten Gewissensbiss.
Gut möglich, dass ich sie damit zum Tode verurteilt hatte.
So wie sie und Lucas es damals bei mir getan hatten.
Ich fragte mich, ob sich damals auch bei ihr das Gewissen gemeldet hatte.
Aber obwohl sie weggesperrt war und ich hier frei herumlief, litten wir beide Schmerzen.
Selbst wenn ich endlich den Abflug machen würde, würde Liliane mich niemals loslassen.
Denn vor dem Tod und dessen Folgen konnte keiner weglaufen.Die nächsten Tage wurde ich von den Mitgliedern meiner Truppe in Ruhe gelassen und auch Dante - der wahrscheinlich tief in Trauer versunken war - ließ sich nicht blicken.
Ich ging Gladion aus dem Weg und er ging mir aus dem Weg. Ebenso verhielt es sich mit Drake, Madeline und Ace.
Die meiste Zeit verbrachte ich auf dem Trainingsplatz. Ich rannte, bis meine Beine unter mir wegknickten, ich schlug auf die Dummies ein, bis meine Fäuste dunkelrot waren und ich nahm jede Herausforderung der anderen Feuerfinger im Trainigslager an, die mal wieder beweisen wollten, wie viel besser als ich sie waren.
Es tat gut, zuzuschlagen und geschlagen zu werden und abends im Bett die geschundenen Muskeln und unangenehmen Hämatome zu spüren.
Es lenkte mich ab und half mir, nicht mehr an all die schrecklichen Dinge in meinem Leben zu denken.
Wenigstens bis nach fünf Tagen Lilianes Beerdigung anstand.
Der Tag, wegen dem ich noch hier geblieben war und den ich dennoch fürchtete.
Denn heute würde ich mich nicht mehr ablenken können. Heute war es an der Zeit, sich Liliane, Dante, Gladion, Drake, Madeline und Ace zu stellen.
Und zwar allen auf einmal.
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Blazing - Feuriges Band
FantasyFeuer. Liebe. Schicksal. In einer Welt von Feuerbändigern, Schatten, Drachen und Geheimnissen versucht eine bis in die Seele gezeichnete Kämpferin, ihren Weg ins Licht zu finden. ~ Meine Lippen waren rissig, das Haar fettig und die Augen rot. Und w...