Kapitel 40

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Ich ergriff seine Hand nicht.
Auch wenn in mir alles danach schrie, mich an diesen Anker zu klammern, wies ich Drake zurück.
Zu oft hatte ich einem Feuerfinger vertraut, sie auf meiner Seite gewägt und sie in mein Herz gelassen.
Nein, was genug war, war genug.
Drake und ich hatten zwar eine emotionale Bindung und vor einiger Zeit hatten wir sogar miteinander geschlafen, doch ich würde diesem durchdringenden grünen Paar Augen nicht noch einmal nachgeben.
Zu viele Male hatte ich mich von einem intensiven Blick und starken, feuerbändigenden Händen beeindrucken lassen.
Egal ob Gladion, Drake, Dante oder sonst wer - ich war damit fertig.
Doch auch konnte ich nicht leugnen, wie sehr mir Drakes verletzter, zutiefst verzweifelter Blick ins Herz schnitt.
Ganz langsam zog er seine Hand zurück und starrte mich eine Weile lang starr und bleich an.
Er wirkte wie ein Gemälde, eine mit dicken, wütenden Pinselstrichen bemalte Leinwand, die aber dennoch eine Niedergeschlagenheit und Trauer ausstrahlte, die man kaum begreifen konnte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens schien Drake schließlich zu begreifen, dass ich mich nicht mehr umentscheiden würde.
Ein letzter gequälter Blick auf mich, die ich wie ein ungezähmtes Tier im Käfig saß, und dann drehte der Feuerfinger mit den brutalen Narben im Gesicht mir den Rücken zu und ging davon.
Ich atmete tief aus.
Lieber sah ich jetzt meinem Schicksal entgegen, als mich später mit einem weiteren Verrat auseinandersetzen zu müssen, doch das bedeutete nicht, dass die Entscheidung nicht wehtat.
Gehörte ein Monster, wie jenes, das irgendwie ein Teil von mir war, nicht genau an einen Ort wie diesen?
In eine kalte, graue Zelle?
"Das muss ich jetzt nicht nachvollziehen können, oder?", vernahm ich Jennas bissige, aber auch besorgniserregend kratzige Stimme aus der Nachbarzelle.
Die Wasserbändigerin hatte das Intermezzo zwischen Drake und mir, ohne einen Ton von sich zu geben, mitangehört.
Ich schnaubte.
"Du hast es mir zum Vorwurf gemacht, dass ich mich von dir nicht habe helfen lassen, aber jetzt machst du dasselbe mit deinem Feuerfinger- Freund.", merkte Jenna an.
"Ich kann niemandem trauen.", sagte ich mehr zu mir selbst als zu meiner Leidensgenossin.
"Wenigstens hast du noch alle Zähne.", wandte die Wasserbändigerin ein; "Und siehst im Gegensatz zu mir nicht aus wie ein grünblau-gefleckter Leopard."
Ich antwortete nicht.
Meine Gedanken schweiften ab zu dem, was Drake mir darüber mitgeteilt hatte, wie die Feuerfinger planten, mit mir zu verfahren.
"Sie werden mich meiner Mutter eingepackt und mit Schleife um den Hals übergeben und sie wird mich einfach so hinrichten.", sprach ich es laut aus.
"Was für eine Hexe", kommentierte Jenna; "Aber immerhin wirst du nicht in dieser Zelle verrotten und langsam dahinsterben wie ich."
"Du hast das nicht verdient", fand ich; "Und Lucas hatte seinen Tod auch nicht verdient."
"Es sollte alles nicht so hart sein.", pflichtete die wilde, gepeinigte Wasserbändigerin mir bei.
Und so saßen wir in stummem Einverständnis in unseren Zellen.
Stundenlang, Tagelang; ich konnte es nicht sagen.
Hin und wieder bekamen wir ein mickriges Stück Brot oder einen Schluck Haferschleim, doch ansonsten siechen wir in den grauen Wänden dahin, während unser Haar ungepflegter, die Klamotten unangenehmer, der Hunger bohrender und der Schatten in mir lauter wurde.

Irgendwann kamen sie dann, um mich zu holen.
Ihre Schritte hallten laut und ihr Feuer züngelte drohend um mich herum, als sie in meine Zelle traten und mich an den Armen auf die kraftlosen Beine hievten.
Mit leeren Augen und eisigem Herzen ließ ich es über mich ergehen, wie ihre Flammen die Spitzen meines dreckigen blonden Haares versengten und ich grob auf den Gang gezerrt wurde.
Die Finger der Feuerfinger bohrten sich unangenehm in meinen schwachen Arm und ich ließ mich fast willenlos aus dem Gefangenentrakt führen.
Noch nicht einmal ein Wort des Abschieds richtete ich an Jenna.
Nur ein unausgesprochenes Versprechen: Ich hole dich da raus.
Das Sonnenlicht draußen blendete mich und ich kniff die Augen zusammen, doch die Helligkeit war regelrecht schmerzhaft.
Desorientiert stolperte ich zwischen den beiden feuerbändigenden Kriegern her und versuchte, nicht zu Boden zu gehen.
Ich fühlte mich so verflucht schwach und hilflos; nur die unsanften Hände an meinen Armen hielten mich auf dem Weg.
Sie brachten mich in einen der kleineren Trakte, wo mich zwei junge Feuerbändigerinnen, kaum älter als vierzehn, empfingen und mich in einen Waschraum geleiteten.
Dort schrubbten sie mir all den Gestank, den Schmutz und die Schockstarre entschlossen von der Haut.
Beim Abtrocknen und erneuten Einkleiden gelang es mir, meine Gedanken zu ordnen.
Meine Hände wurden ruhiger, in meinem Kopf klarten die Wolken der Bekümmerung auf und ich atmete tief den Duft der Seife ein, mit dem die jungen Mädchen mich eingerieben hatten.
Als angemessenes Geschenk für meine Mutter musste ich schließlich präsentabel aussehen.
Das Opferlamm, die Besiegelung des Paktes, der Preis. Mehr war ich nicht.
Nachdem ich in ein langes, graues Wollkleid gehüllt war und das lange Haar von der Hitze der Feuerkräfte der Mädchen getrocknet war, wurde ich wieder nach draußen eskortiert.
Kiano, der kühle Thronfolger, erwartete mich bereits.
Sein abwertender Blick und die überlegene Haltung berührten mich nicht weiter, jedoch war ich getroffen, als ich sah, wer an der Seite des Flammenprinzen stand: Ace.
Der schlacksige Rotschopf wirkte wie immer irgendwie fehl am Platz und als würde er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlen.
Nervös zuckten seine Augen hin und her und als unsere Blicke sich trafen, schien er zutiefst schuldbewusst, aber auch machtlos.
Ace war ein unheimlich begabter Kämpfer, doch auf Stärke in der Kommunikation und auf soziale Eigeninitiative konnte man bei ihm lange warten.
Der rothaarige Junge war schlicht unsicher, was nicht unbedingt hieß, dass er ein schlechter Freund war - er war nunmal keiner, der große Reden zu meiner Verteidigung schwingen würde.
Er war und blieb ein loyaler Feuerfinger, seiner eigenen Art treu, und dass in mir ein Schatten hauste, war eine Bedrohung für seine Art.
Einfache Sache.
Dennoch tat es weh, ihn mir gegenüber Schulter an Schulter mit Kiano zu sehen.
Der Kronprinz beäugte mich abschätzig.
"Die Anklagepunkte, derer du dich schuldig gemacht hast, werde ich dir erneut erläutern.", sagte der berechnende Feuerfinger formell; "Mord an einem Drachen und unzähligen Menschen, Verrat an uns, deinen Rettern und Verbündeten, und eine unreine Seele, befleckt mit dem Wesen eines Schattens."
Was sollte ich denn dazu sagen?
Ich hatte keine Rechte, keine Möglichkeit des Leugnens oder der Verteidigung, keine Macht über mein Schicksal.
"Unsere Richter haben dich zum Tode verurteilt, doch in diesem Sonderfall wurde entschieden, dich den Menschen zu überlassen und sie das Urteil vollziehen zu lassen."
Und damit war es quasi besiegelt.

Ich wurde in relativ rascher Zeit über die Grenze geschafft und Tag und Nacht von feuerbändigenden Wachen beschattet.
Ich gab mich kooperativ, redete jedoch weder mit Kiano noch mit sonst jemandem.
Und auch als ich Gladion sah, den Verräter, der mir das alles angetan hatte, sprach ich nicht, sondern fing bloß seinen eisblauen Blick auf.
Seine Augen sprachen Bände, doch in einer Sprache, die ich nicht verstand.
Vermutlich hatte ich ihn nie verstanden und würde es auch nie.
Leere und Bitterkeit stiegen bei Gladions Anblick in mir hoch, doch ich beherrschte mich und auch er ging mir aus dem Weg, während er die Soldaten herumkommandierte, die mich feierlich zur Übergabe begleiteten.
Auch Prinz Kiano war sehr zurückgezogen, er plante und plottete sicherlich wieder und spann seine Fäden.
Gut so.
Denn derweil das Lager meiner Mutter und ihrer Gefolgsleute immer näher kam, hatte ich so meine eigenen Gedanken und Vorstellungen von der Zukunft.
Ich dachte an Jenna und daran, dass ich sie aus dem Gefängnis holen würde.
Und dann würde ich keine Gnade mit den Feuerfingern walten lassen.

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt