Kapitel 14

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Die Nacht senkte sich bereits über die Welt herab und die Sonne war nur noch ein schmaler, hellroter Streifen am Horizont, als ich mich auf den Weg zu den Drachengruben machte.
Ich brauchte Zeit zum Nachdenken und wollte nach all den sich überschmagenden Ereignissen einfach tief durchatmen können.
Eine schwarfe Windböe ließ mich frösteln und ich zog meine Jacke näher um meinen Körper, während ich im Gehen die Silhouette der Schwelenden Stadt vor mir betrachtete.
Die schwarzen Gebäude standen relativ nah beieinander und vermittelten ein Bild der Geschlossenheit, stets bereit, sich gegen mögliche Feinde zu verteidigen.
Ich schüttelte den Kopf und drehte nach rechts ab, von woher ich schon das Fauchen und Zischen der Drachen hören konnte.
Ein paar Minuten später war ich auch schon am Rande der ersten Grube und schaute auf die wundersamen Geschöpfe hinab, die in ihren unterschiedlichen Farben und Formen ein eindrucksvolles Schauspiel abgaben.
Lederne Flügel flatterten, Zähne wurden gebleckt, Rauch stieg aus den breiten Mäulern auf und grüne Augen erwiderten meinen Blick.
Unwillkürlich zuckte ein winziges Lächeln über meine Lippen.
Die Feuerfinger mochten arrogante Ärsche sein, doch ihre Drachen waren wunderschön.
Meine Gedanken wanderten zu Drake und dem Kuss, bis über Gladion und Madeline zu den Feuerfingern, vor denen Dante mich gerettet hatte.
Wie hatte ich nur in all dies hineingeraten können?
War es wirklich nur ein Jahrzehnt her, dass Lucas, Mutter, Vater und ich ein glückliches Leben geführt hatten?
Mir kam es so vor, als seien seitdem Tausende von Jahren vergangen.
Die Invasion der Schatten, Mutters Verschwinden und Vaters Tod hatten alles zunichte gemacht, was mich ausgemacht hatte.
Und ich hatte all diesen Schrecken mit dem Trinken von Schattenblut noch besiegelt. Unumkehrbar gemacht.
Ich konnte mich kaum mehr daran erinnern, wie ich vor alledem gewesen war.
Was Lucas, der Verräter, wohl gerade machte?
Ob Mutter vielleicht noch lebte?
Angewidert von mir selbst ballte ich die Hand zur Faust, von dem Bedürfnis erfüllt, irgendetwas zu zerschlagen.
"Hey!", durchbrach jemand den Nebel aus Ekel, Zorn und Trauer in meinem Kopf.
Ich blinzelte und wurde mir meiner Umgebung bewusst.
Drake, der wohl auch gerufen hatte, näherte sich mir von der Seite.
Seine grellgrünen Augen fixierten mich und das narbenübersäte Gesicht war zu einem fragenden Lächeln verzogen.
"Oh, hi", erwiderte ich etwas zerstreut.
Drakes Lächeln verrutschte ein wenig und er räusperte sich.
"Können wir reden?", fragte er.
Mein Gehirn fühlte sich an, als wäre es aus nutzloser Watte, doch ich nickte.
Auch wenn mein Herzschlag sich beunruhigt beschleunigte, wusste ich, dass dieses Gespräch wohl unausweichlich war, immerhin waren Drake und ich Teil desselben Eliteteams.
Und er war ein verdammter Feuerfinger.
"Wie geht es deiner Familie?", erkundigte ich mich erstmal, um mit einem sicheren Thema zu starten; "Ich habe gehört, dass Dyrant wieder in der Hand der Feuerfinger ist."
"Ja", bestätigte Drake; "Prinz Kiano hat die Stadt nach dem Tod seines Bruders wieder erobert. Ich habe gestern eine Nachricht von meiner Familie bekommen. Meinem kleinen Bruder und meiner Mutter geht es gut, nur mein Vater ist leicht verletzt von den Kämpfen."
Die Erleichterung war ihm einfach von den Augen abzulesen und sein verunstaltetes Gesicht zeigte eine tiefgehende Wärme, die offenbarte, wie wichtig ihm seine Familie war.
Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln und strich mir nervös eine lose blonde Haarsträhne hinters Ohr.
Der Wind, der noch immer nicht abflaute, war vermutlich dafür verantwortlich.
"Schön", meinte ich, in Ermangelung einer besseren Entgegnung.
Drake warf mir einen prüfenden Blick zu.
"Kate ...", hob er an; "Diese Sache bei dem Ausritt ..."
Mit erhobener Hand hinderte ich ihn am Weiterreden. Das Blut pulsierte in meinen Adern und ich wäre am liebsten weggerannt.
"Drake", sagte ich mit aller Kälte in der Stimme, die ich aufbringen konnte, um ihn zum Verstehen zu bringen; "Ich hasse Feuerfinger."
Er schüttelte jedoch nur den Kopf.
"Blödsinn. Liliane hasst du nicht. Und Dante auch nicht.", argumentierte er.
"Ich hasse Feuerfinger.", beharrte ich; "Ich bin ein Mensch, auch wenn ihr mich für eure Zwecke eingespannt habt. Diese Sache war nichts, hat nichts zu bedeuten und wird auch nicht wiederholt. Verstanden?"
Drake verdrehte die Augen, da ich mit ihm wie mit einem kleinen Kind redete.
Mein Blut rauschte und die Gefühle in meinem Körper waren so verwirrend und stark, dass ich mich schwer tat, meine Gedanken zu ordenen.
Für einen kurzen Moment dachte ich sogar, zu spüren, wie sich der Schatten in seiner Zelle in meinem Herzen rührte.
Erschrocken drückte ich die Dunkelheit mit all meiner Willenskraft nieder. Warum wühlte mich das alles nur so sehr auf?
"Jawohl, Sir", grinste er; "Ist ja nicht so, dass ich dachte, dass wir direkt heiraten oder so. Entspann dich."
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.
Was auch immer.
"Zumindest war Gladion nicht entspannt, nachdem du ihm ja unbedingt davon erzählen musstest.", gab ich spitz zurück.
Drake signalisierte mir mit einem betont gleichgültigen Schulterzucken, was er davon hielt.
Damit stachelte er meinen Ärger jedoch nur noch mehr an.
"Was zur Hölle ist das eigentlich zwischen euch? Was ist passiert und wieso zieht ihr Feuerfinger mich da mitrein?", fuhr ich Drake an.
Er seufzte und ich sah einen kleinen Funken an seinem Daumen, der aber genauso schnell wieder erlosch, wie er aufgetaucht war.
Mit derselben Hand berührte er nun sein Gesicht, genau an der linken Wange, wo die dickste und hässlichste Narbe saß.
"Das hat weniger mit dir zu tun als mit vielen anderen Dingen.", versuchte der Feuerfinger zu erklären; "Die meisten im Lager wissen es schon, also solltest du es vielleicht auch erfahren."
Ich schlang meine Arme um den Oberkörper, bereit, eine Geschichte voller Blut, Hass und Grauen zu hören.
Und ich sollte nicht enttäuscht werden.
"Auch wenn es schwer zu glauben ist; Gladion und ich waren einmal gute Freunde.", begann Drake mit tonloser Stimme; "Unsere Familien standen sich sehr nahe und wir waren fast wie eine ganze, gemeinsame Familie. Jahrelang waren wir unzertrennlich, bis ich herausfand, was Gladions Eltern im Geheimen trieben. Sie unterstützten einen Thronräuber, einen jungen Mann, der die Königsfamilie stürzen und an ihrer statt regieren wollte. Das ist jetzt fünf Jahre her; damals war ich siebzehn, ehrgeizig und unerfahren. Ich wollte etwas aus mir machen, aus meiner Familie. Wir waren nie besonders reich, doch ich träumte davon, mit meinen Eltern und meinem Bruder in einem Palast zu leben. Also verriet ich Gladions Eltern, um das Ansehen der Krone zu gewinnen. Der König ließ die beiden schließlich umbringen und Gladion blieb als Waise zurück."
Düster starrte Drake vor sich hin.
"Meine Strategie ging auf.", fuhr er fort; "Der König ließ mich auf dieselbe Militärschule gehen, auf der seine Söhne waren. Aber auch Gladion war dort, aufgrund seiner Begabung mit dem Feuer. Er sagte, wenn ich ihm in die Quere kommen sollte oder auch nur ein Wort an ihn richtete, würde er mich umbringen. Verständlich, immerhin waren seine Eltern wegen mir tot. An der Schule war er der ernste, stille Außenseiter, der Sohn der Verräter. Mächtig, aber gefährlich. Ich war eifersüchtig auf ihn, ehrlich gesagt. Auf seine Stärke, und dass er trotz seiner Eltern auf die Militärschule durfte und sich später sogar mit Prinz Dante anfreundete. Also wollte ich ihn aus dem Weg schaffen, was man aber nicht mit mir in Verbindung bringen sollte. Deshalb ... ging ich zur Grenze und heuerte etwa ein Dutzend Menschen an, die Gladion den Garaus machen sollten. Ich versprach ihnen Geld und Hilfe und noch vieles mehr. Doch als ich sie in die Militärschule schmuggelte und sie Gladion angriffen, rastete er aus. Er schlachtete sie ab wie Vieh. Ich kann noch heute die Schreie dieser Menschen hören, den Schmerz, den ich verursacht habe."
Der Feuerfinger stoppte. Unsere Blicke trafen sich und ich sah das Bedauern in seinen Augen und die Schuld, die er sich aufgebürdet hatte.
"Deshalb verachtet Gladion die menschliche Spezies auch so. Für ihn seid ihr primitiv und gierig, schwach und ohne Ehre und bereit, alles für euren eigenen Vorteil zu tun.", klärte Drake mich über Gladions Verhalten auf; "Er hasst euch Menschen fast so sehr, wie du ihn hasst. Wie dem auch sei, er hat damals zwei und zwei zusammengezählt und wusste, dass ich diese Menschen auf ihn angesetzt hatte. Also hat er ... na ja, da Feuer uns schwer verletzen kann, hat Gladion ein Messer genommen ... und das Resultat sehe ich jeden Tag im Spiegel. Dante kam rechtzeitig hinzu und hat ihn daran gehindert, mich umzubringen, aber mein Gesicht konnte man nicht mehr retten. Es ist Tag für Tag eine Erinnerung an meine und Gladions Sünden und bevor du jetzt fragst,wir reißen uns nur nicht in Fetzen, da Dante uns zu einem Waffenstillstand gezwungen hat. Sonst wäre ich wohl nicht mehr hier."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Alles was Drake und Gladion - und auch Dante - je getan hatten, konnte ich nun in einem neuen Licht sehen.
Ich konnte erkennen, wieso sie so waren, wie sie waren und was mich daran am meisten ängstigte: Wie menschlich mir ihre Taten nun vorkamen.
Gladions Vergangenheit war schrecklich und ich konnte nicht umhin, beeindruckt zu sein, dass er das alles durchgestanden hatte.
Verrat des besten Freundes, Tod der Eltern und einen Angriff von einem Dutzend Menschen, die er schließlich niedergemetzelt hatte.
Vielleicht war ich nicht die Einzige mit Dämonen im Kopf und im Herzen. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass ich die einzige mit Dämonen im Blut war.
"Das war jetzt bestimmt heftig", fand Drake und seine Augen beobachteten aufmerksam jede meiner Bewegungen.
Ich wollte gerade den Mund zu einer Erwiderung öffnen, da bemerkte ich, wie die Drachen vor uns in der Grube unruhig wurden.
Die eindrucksvollen Getiere warfen ihre Köpfe herum, zischten und verursachten Rauchsäulen.
Ihre Augen waren weit aufgerissen und die Schwänze peitschten.
Ein Drache stieß sogar ein schrilles Kreischen aus.
Ich kniff die Augen zusammen und sah mich um.
Was war hier los?
Dann wandte ich Drake wieder meine Aufmerksamkeit zu, der mich grimmig anblickte und den schleichenden Verdacht, der mich befiel, bestätigte.
"Schatten", flüsterte ich.

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt