Kapitel 51

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Madeline gegenüber ließ ich den unvorhergesehenen Ausgang des Gesprächs mit Gladion unerwähnt.
Ich wusste ja selbst nicht, was ich davon halten sollte.
Der blonde Feuerfinger war mir ein einziges intensives, verrücktes Rätsel. Was wollte er überhaupt von mir?
Im einen Moment sagte er mir, dass er dazu bestimmt war, mich zu töten, dann schlief er mit mir, nur um mich danach zu verraten und jetzt wieder einen Satz wie diesen zu bringen. Du bist wunderschön.
Nein, ich hatte definitiv genug davon.
In wenigen Tagen würde der Angriff auf einen großen Stützpunkt im von Schatten besetzten Territorium starten und das gesamte Lager war in Aufruhr.
Madeline sah ich ohnehin kaum mehr, da sie dabei war, ihre Flugeinheit vorzubereiten, und auch alle anderen taten nichts anderes als trainieren, essen und schlafen.
Am Tag vor dem groß geplanten Angriff war ich mit Drake auf dem Trainigsplatz und rief mir noch einmal alles ins Gedächtnis, was ich gelernt hatte.
Mein Vater hatte mir und Lucas vor seinem Tod viel beigebracht und meine körperlichen Vorteile durch den Schatten waren in meiner Zeit bei den Feuerfingern durch effiziente Übungen von Liliane, Gladion und Madeline ergänzt und perfektioniert worden.
Ich war bereit, zumindest körperlich.
Wenn ich jedoch alleine war, geisterte die Stimme des Schattens immer häufiger in meinem Kopf herum und sprach von einem Königreich aufgebaut aus Dunkelheit, Blut und Tod.
Nachts hielt mich das Monster wach und entführte mich in die schwärzesten Ecken meiner Seele, obwohl ich den Schlaf dringend gebrauchen könnte.
Stattdessen wälzte ich mich hin und her, fluchend, die Götter anflehend, dass der Schatten mich in Ruhe lassen möge.
Das alles würde ich Drake jedoch niemals erzählen.
Der Kämpfer mit dem narbigen Gesicht hatte einen friedlichen Ausdruck in den grünen Augen, während wir gleichmäßig nebeneinander herjoggten.
Seine Bewegungen waren dynamisch und er wirkte, als wäre er einigermaßen im Reinen mit sich selbst.
Vielleicht hatte er seine kleine Affäre mit Jenna vergessen und konzentrierte sich nun auf den Kampf für sein Volk.
"Wie geht es deiner Familie?", fragte ich also etwas Unverfängliches.
Drake hielt den Blick auf die Laufbahn vor uns gerichtet.
"Gut.", antwortete der grünäugige Feuerfinger; "Mein Bruder und meine Mutter wurden in einer der Schutzeinrichtungen untergebracht und mein Vater hilft bei der Verteidigung unserer Heimatstadt im Falle eines Gegenangriffes."
Er seufzte.
"Meine Mutter hat mich angefleht, nach Hause zu kommen.", erzählte er mir dann; "Vorher war sie nie gegen meine Berufung als Soldat des Königs, aber jetzt, da Krieg ist, will sie nicht, dass ich losziehe. Sie will mich in Sicherheit wissen."
Ich nickte, obwohl ich von derartiger Fürsorge und Liebe innerhalb der Familie wenig Ahnung hatte.
Meine Mutter hatte mich hinrichten lassen wollen, war dann aber gestorben, nachdem ich sie in einen Haufen Steine und Holz geschubst hatte und diese sie unter sich begraben hatten.
Und Lucas ... Nein, über meinen von den Schatten entführten Bruder wollte ich nicht nachdenken.
"Deine Mutter liebt dich, Drake.", sagte ich; "Du kannst dich glücklich schätzen."
Im Gleichtakt kamen unsere Füße auf dem Boden auf, während wir um die Ecke bogen und ich das Tempo leicht anzog.
Das Laufen tat unglaublich gut.
"Ja", pflichtete Drake mir bei; "Aber sie versteht nicht, dass ich auch jemanden liebe."
"Sprichst du von Jenna?", fragte ich erschrocken und kam mit meiner Atmung aus dem Rhytmus.
"Ja", sagte der Feuerfinger einfach, während ich mich abmühte, meine Atemzüge wieder in einen gleichmäßigen Takt zu bringen.
Verdammt.
"Drake, wie lange kanntest du sie denn? Zwei, drei Wochen?", wandte ich ein; "Da kannst du doch nicht von Liebe sprechen. Außerdem ist sie eine Wasserbändigerin und ihre Treue gilt ihren Leuten, bei denen sie auch gerade ist!"
"Das weiß ich doch alles!", fuhr Drake auf; "Du verstehst es nicht. Ich liebe sie, Punkt. Und nach dieser Schlacht werde ich sie suchen gehen! Ich habe genug von Feuerfingern wie Gladion und Kiano; ich will bei Jenna sein."
Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln.
Und ich hatte noch gedacht, Drake hätte sich die biestige Jenna aus dem Kopf geschlagen.
War er wirklich so naiv, dass er dachte, einfach so mit einer Wasserbändigerin durchbrenmen zu können, die seine Gefühle nur vielleicht erwiderte?
"Drake ...", hob ich wieder an, da ich mich durch unsere frisch aufgekeimte Freundschaft verpflichtet fühlte, die Stimme der Vernunft zu sein.
Jedoch unterbrach ich mich, als kein anderer als Gladion vor uns auf die Laufbahn trat und uns den Weg versperrte.
Drake und ich bremsten abrupt ab und kamen kurz vor ihm zum Stehen.
Gladions strahlend blaue Augen lösten gemischte, aber unerwünscht heftige Gefühle in mir auf.
Mir fiel ein blonder Bartschatten auf seinen Wangen auf; die strengen Gesichtszüge wirkten kantiger und verhärtet.
Der Krieg ging an keinem von uns vorbei.
Drake neben mir versteifte sich bei der Gegenüberstellung seines verhassten Erzfeindes, derweil ich mir eine verschwitze Haarsträhne hinters Ohr strich.
"Dante möchte mit uns sprechen.", teilte Gladion uns mit.
Drake und ich tauschten einen kurzen Blick.
Wir beide waren nicht erpicht darauf, Gladion irgendwohin zu begleiten, doch wenn der Flammenprinz uns rief, gab es wohl keine andere Option.
"Dann besuchen wir eben unseren invaliden Prinzen.", meinte Drake und zuckte die Achseln.
"Er ist gar nicht invalid.", widersprach ich; "Kiano behandelt ihn nur so, in Wahrheit könnte Dante dich mit seinem kleinen Finger in Brand stecken."
"Das soll er nur versuchen.", schaubte Drake und seine grellgrünen Augen blitzten auf.
Gladion übernahm schweigend die Führung und Drake und ich gingen ihm vom Trainig verschwitzt und mit geröteten Gesichtern nach.
Wie Drake beschloss ich, den vorangehenden Feuerfinger zu ignorieren, da ich nicht wusste, wie ich mich sonst verhalten sollte.
Mein Herz schlug wie verrückt und es fühlte sich an, als würde abwechselnd Feuer und Eis durch meine Adern fließen.
Am liebsten würde ich Gladion anschreien.
"Pass auf, wenn du Dante auch nur ein Haar krümmst, endest du als von Madeline zerstückeltes Drachenfutter.", warnte ich Drake scherzhaft.
"Quatsch, so einen Drachen mache ich locker fertig, guck!", behauptete Drake und machte einige alberne Kampfbewegungen gegen einen unsichtbaren Gegner in der Luft.
Das Lachen, das aus meiner Brust aufstieg, tat unfassbar gut.
Vor allem nach all den ernsten, niederschmetternden Gesprächen in letzter Zeit kam Drakes alberne Einlage wie ein Sonnenstrahl.
Der grünäugige Feuerfinger grinste kurz keck, doch da sah ich sie wieder, die allgegenwärtige Trauer und den Schmerz in seinem von dicken Narben durchzogenen Gesicht.
Während Drake und ich unser Gespräch fortsetzten, blieb Gladion stumm und schon bald waren wir auch schon bei den von Dante bezogenen Räumen angekommen.
Ohne anzuklopfen öffnete Gladion einfach die Tür und spazierte herein, was ich mir niemals erlaubt hätte, jedoch kam von Dante kein Protest.
Der Prinz kam uns entgegen, ein freundliches Lächeln als Begrüßung auf den perfekt geschwungenen Lippen.
Sein schwarzes Haar war gekämmt und das Leuchten in seinen Augen veranlasste mich zu einem warmen Lächeln.
Nach einem Schlag auf Gladions muskulöse Schulter umarmte Dante mich zu meiner freudigen Überraschung kurz und nickte dann Drake zu.
Erst danach sah ich, dass der Flammenprinz nicht alleine auf uns gewartet hatte.
Weiter hinten im Raum standen Ace und Madeline, die breit grinste, als sie meinen Blick auffing.
Mit einer Handbewegung bedeutete Dante den beiden, zu uns zu kommen, damit wir uns in der Mitte seines Gemachs versammeln konnten.
Gehorsam bildeten wir einen Halbkreis wie es von gehorsamen Soldaten ihrem Prinzen gegenüber zu erwarten war.
Doch wir waren mehr als nur Soldaten, wir waren Freunde, Geliebte und voneinander Verratene.
Wir waren eine Einheit.
Als er neben mich trat, streifte Gladions Hand die meine, ob absichtlich oder nicht.
Ein elektrisierendes Prickeln wanderte von meiner Hand meinen Arm hoch bis hin in meine Brust und berührte dort mein von Schatten infiziertes Herz.
Was hatte das zu bedeuten; wieso hatte Gladion diesen Effekt auf mich?
Verwirrt rückte ich etwas von dem hellblonden Feuerfinger ab und ignorierte meine von der Berührung noch immer kribbelnde Hand.
An meine andere Seite trat Madeline und warf mir aus ihren grauen Augen einen bedeutsamen Blick zu.
"Auch wenn diese Einheit offiziell aufgelöst wurde", begann Dante und ließ seinen Blick über uns alle schweifen; "wollte ich euch alle vor diesem Angriff morgen noch einmal beisammen haben. Wir haben viel zusammen durchgemacht..."
Der Flammenprinz seufzte und in seinem Gesicht zeichnete sich Trauer ab.
"Und haben gemeinsam Liliane verloren.", fuhr er schließlich fort; "Die mutigste und bewundernswerteste Kriegerin dieses Königreiches. Sie gehört noch immer zu dieser Einheit, auch im Tod, und unser Herz ist ihr Herz, unser Kampf ist ihr Kampf.
Wir sind so weit gekommen, hatten so viele Rückschläge und wurden zu Boden geworfen. Wir haben so viele Kämpfe ausgefochten. Und egal, wie wir jetzt zueinander stehen; wir gehören zusammen.
Vor Monaten haben wir zusammengefunden und wir waren schon damals von unseren Geschichten gezeichnet.
In den letzten Monaten haben wir uns gegenseitig gezeichnet und sind dadurch wahrlich eine Einheit geworden, im Guten wie im Schlechten."
Madeline legte mir einen Arm um die Schultern und ich schaute in ihr blasses, spitzes Gesicht und dachte daran, wie sehr ich sie zu Anfang gehasst hatte.
Sie lächelte ein winziges, aber dennoch unendlich bedeutendes Lächeln und ich legte als Erwiderung einen Arm um ihre Mitte und zog einen Mundwinkel nach oben.
Egal, was morgen passierte, das hier war für immer.
Ein Band, das es mit dem zwischen dem Schattenprinzen und mir aufnehmen konnte.
Schicksal.
Vielleicht würde Gladion mich wegen seiner Prophezeihung umbringen; vielleicht wäre nach morgen alles anders.
Sicher war nur dieser Moment, diese Gewissheit, dass die Leute in diesem Zimmer zusammen gehörten.
Trennung war unmöglich.
Was wir einander bedeuteten, was wir erlebt hatten - das war unauslöschlich.
Was das Leben damit machte, würden wir sehen.
Das Leben konnte einen in ein dunkles Loch ziehen oder aber auch in die strahlensten Höhen aufsteigen lassen.
Wer wusste das schon?
Nur eines war sicher.
"Schicksal", flüsterte ich.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 23, 2018 ⏰

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