Kapitel 24

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Erst am Morgen der Beerdigung fiel mir auf, wie wenig ich eigentlich über die Feuerfinger wusste.
Ich hatte keine Ahnung, wie so eine Beisetzung in ihren Kreisen zelebriert wurde, was man anziehen, tun oder vorbereiten musste.
Bei uns in Fost hatten wir grau oder schwarz getragen und den Verstorbenen mit ein paar Worten der Angehörigen unter die Erde gebracht, doch ich wusste nicht, wie Lilianes Zeremonie ablaufen würde.
Da die Feuerfinger nicht wie wir Menschen die hundert Götter des Lebens und die hundert Götter des Todes heiligten und meines Wissens nach nur ihren Vorfahren, den allerersten Feuerbändiger, verehrten, wusste ich nicht, ob es Gebete oder Abläufe geben würde, die ich kennen sollte.
Bei der Beerdigung meines Vaters hatten wir zu dem seligen Johannis und der Wächterin des Totenreiches, Aladra, gebetet und schließlich meinen Vater mit ein paar Sätzen meinerseits beigesetzt.
Lucas hatte damals nichts sagen wollen, sondern war nur mit versteinertem Gesicht neben mir gestanden. Nur zu gut erinnerte ich mich an die gefühllose Leere in seinem starren Blick, die auch nicht verschwunden war, als ich ihn nach der Zeremonie umarmt hatte.
Jetzt war ich diejenige mit dem leeren Blick, wie ich vor dem Spiegel feststellte.
Meine Haut war noch immer blass und das spitze Kinn noch spitzer als sonst; das Haar war langweilig und die Stirn gerunzelt.
Ich seufzte tief und steckte meine Haare fest zu einem Knoten hoch, bevor ich mich meinem Kleiderschrank zuwandte, in dem es eine sehr, sehr beschränkte Auswahl an passender Kleidung gab.
Das meiste waren Oberteile und Trainingskleidung, zudem gab es ein dunkles Hemd, lockere Hosen und dünne Jacken.
Ach, es war doch im Grunde egal, was ich anzog.
Nach dem heutigen Tage würde ich ohnehin nie wieder diesen Raum betreten, nie wieder einen der Feuerfinger sehen, die in den letzten Wochen ein bestimmender Teil meines Alltags gewesen waren.
Egal, was heute passierte, ich würde es überleben.
Und vielleicht, ja vielleicht konnte ich den düsteren Parasiten in mir loswerden und ein gutes Leben führen. Mein Glück finden.
Es klang zu schön, um wahr sein zu können.
Doch als ich dann vollständig in Grau gehüllt vor dem Spiegel stand und mir ein winziges Lächeln abrang, glaubte ich es beinahe.

Gelb, meine Lieben.
Gelb wäre die richtige Farbe gewesen; die offizielle Trauerfarbe der Feuerfinger.
Tja, und ich? Ich war mal wieder die Fremde, die Außenseiterin, der Mensch.
Ein Störenfried in Grau auf ihrer streng beißend senfgelben Trauerfeier. Bei den Göttern, wie hätte ich das denn bitte riechen sollen?
Von allen Seiten kassierte ich missbilligende und oftmals sogar feindselige Blicke, wurde hier und da sogar angerempelt, als ich mich durch die Besucher schlängelte, die sich zahlreich vor den Toren der Schwelenden Stadt versammelt hatten.
Glücklicherweise erspähte ich schließlich Ace, dessen roter Haarschopf sich ungünstig mit dem Gelb seiner Kleidung biss.
Der begabte, aber sehr zurückhaltende Feuerfinger stand unsicher in der Menge herum und seine Augen zuckten nervös hin und her. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber unter dem weiten gelben Hemd wirkte er noch dürrer als sonst.
Ich hob die Hand und rief seinen Namen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Als sein Blick den meinen traf entdeckte ich Unsicherheit darin, aber auch Erleichterung, nicht mehr alleine herumzustehen.
"Hey", sagte er und kam zu mir.
Kurz nahm er meine unpassende Kleidungswahl unter die Lupe, äußerte sich jedoch nicht dazu.
"Wie geht es dir?", erkundigte ich mich, da wir uns ja jetzt fast schon eine Woche lang nicht mehr gesprochen hatten.
Er wirkte niedergeschlagen und so, als ob der Schock noch immer tief sitzen würde.
Kein Wunder, immerhin hatte er sich gut mit Liliane verstanden und hatte auch ihren Leichnam gefunden.
Auf meine Frage nach seinem Wohlergehen zuckte er nur mit den Schultern.
"Es sind viele Leute da.", sprach ich weiter; "Ich kenne Beerdigungen nur mit den engsten Angehörigen."
"Wir beerdigen unsere Toten nicht.", verbesserte Ace mich mit rauer Stimme, woraufhin er sich sogleich räusperte und nervös eine rotblonde Haarsträhne aus der Stirn strich.
"Aber ja, es sind schon viele da. Manche kannten Liliane, andere wollen einfach einer talentierten und beliebten Soldatin Respekt erweisen."
Der matte Unterton in Ace' Worten entging mir nicht.
Ich konnte absolut mit ihm mitfühlen, denn auch ich war getroffen von Lilianes Tod, dabei er kannte sie noch einige Jahre länger als ich.
"Ist ihre Familie da?", wollte ich wissen.
Ace deutete mit dem Finger auf ein kleines Grüppchen, das etwas abseits stand.
Eine ältere, dunkelhäutige Frau klammerte sich an einen etwa zwanzig Jahre jüngeren Mann und zwei andere Frauen hielten jeweils ein kleines Mädchen an der Hand.
Allesamt machten sie einen ziemlich elendigen Eindruck und ich sah mit schmerzendem Herzen, dass sich auf den Wangen der kleinen Mädchen Tränenspuren befanden.
"Das sind Lilianes Mutter, ihr Ziehbruder, ihre beiden Tanten und Cousinen.", erklärte Ace tonlos.
Ich wandte den Blick wieder ab, um die arme, leidende Familie nicht auch noch anzustarren - so wie es manch anderer hier tat.
Die nächsten Minuten verfielen Ace und ich ins Schweigen und hingen bloß unseren Gedanken nach.
Ich rieb den grauen Stoff meines Oberteils zwischen den Fingern und hoffte, dass Lilianes Familie nicht durch die Farbe meiner Kleidung verletzt war oder mich als respektlos einschätzte.
Bei allen anderen Feuerfingern hier war es mir egal, was sie von mir dachten, nur Lilianes Familie sollte nichts Schlechtes von mir halten.
Plötzlich sprang mir jemand ins Auge, der nur wenige Schritte vor mir mit einem anderen Feuerfinger redete.
Oh nein, es war Gladion.
Seine blasse, marmorweiße Haut, der stechende blaue Blick und das weißblonde Haar hatte niemand sonst.
Eigentlich sollte das alles in Kombination zu seinem senfgelben Hemd unstimmig aussehen, doch seltsamerweise wurden dadurch nur seine breiten Schultern und die strengen, kantigen Züge betont.
Hastig riss ich meinen Blick von ihm los.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich betete innerlich, dass er sich nicht umdrehen würde.
Noch immer war ich vollkommen verwirrt davon, dass er sich nach Lilianes Tod zu mir gelegt hatte und was das alles bedeuten sollte.
Immerhin war er fest davon überzeugt, mich irgendwann einmal umzubringen. Wegen der Prägung, einer weiteren Feuerfinger-Sache, die ich nicht so ganz durchblickte.
Ebensowenig wie die Farbe Gelb als Symbol der Trauer.
Nichtsdestotrotz hatte ich Glück und Gladion drehte sich nicht zu mir um und zeigte auf keine Art, dass er mich bemerkt hatte - vielleicht ignorierte er mich auch geflissentlich.
Gut, das konnte mir nur recht sein.
Die Zeremonie war entgegen meiner Erwartungen doch nicht so anders als die, die ich aus Fost kannte.
Es wurde viel geredet, dann mussten alle niederknien und zum Urahnen der Feuerfinger sprechen, bevor Lilianes Ziehbruder ein paar rührende und schmerzhaft treffende Worte äußerte, wodurch wieder die ganze Trauerfamilie in Tränen ausbrach.
Es zeriss mir das Herz, Lilianes Mutter und die kleinen Cousinen weinen zu sehen, doch ich spielte unauffällig mit und kam auf diese Art ohne weitere unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen durch die Zeremonie.
Am Ende wurde Lilianes schrecklich zugerichteter Körper verbrannt - was ich mir hätte denken können.
Eine stille Träne lief mir über die Wange, als die Flammen hoch in den Himmel züngelten und jeder Feuerfinger sein Feuer hinzugab, um an der Verbrennung mitzuwirken - wie bei dem Zuschaufeln eines Grabes, bei dem auch alle Gäste einen Batzen Erde auf den Toten fallen ließen.
Ace neben mir weinte ebenfalls und ich legte in einem schlagartigen Anflug von Solidarität meinen Arm um seinen schmächtigen Körper.
Es tat gut, jemand anderen zu trösten und dessen Nähe warm an meiner Seite zu spüren, auch wenn es ein Feuerfinger war.
"Kann ich mitmachen?"
Erschrocken schnappte ich nach Luft.
Drake hatte sich uns unbemerkt genähert und stand nun mit funkelnden grünen Augen vor uns.
Sein mit Narben übersätes Gesicht war etwas blass, aber insgesamt schien er das gesamte Ereignis ziemlich gut zu verkraften.
"Drake", stieß ich überrascht aus und ließ Ace los, der sich verstohlen das tränennasse Gesicht abwischte.
Drakes schräges Lächeln verunsicherte aber auch mich - vor allem, da das das erste Gespräch war, das wir nach unserer gemeinsamen Nacht führten.
"Schön, dass du uns daran erinnerst, dass du ein Mensch bist, wir hätten es fast vergessen.", meinte der Feuerfinger sarakstisch und zeigte auf meine grauen Klamotten.
Verärgert sah ich ihn an.
Was war denn los? War Drake wütend, weil ich ihm ausgewichen war?
"Hey, Ace, ist es okay, wenn ich kurz mit Drake unter vier Augen spreche?", fragte ich.
Der rothaarige Feuerfinger nickte hastig und zog sich dann geübt zurück und ich musste mit einem schlechten Gewissen daran denken, dass der Arme sicher schon oft auf diese Art von einem Gespräch ausgeschlossen worden war.
Es tat ihm bestimmt weh, dass er sich so schwer im sozialen Umgang tat.
"Du hast es Gladion gesagt.", stellte Drake fest, als Ace außer Hörweite war.
Ich blinzelte verdutzt. Ja, das hatte ich, aber mussten wir wirklich darüber als erstes reden?
"Er hat mir gedroht, nicht nur aus meinem Gesicht, sondern diesmal aus meinen Innereien Hackfleisch zu machen, sollte ich dich noch einmal anfassen."
Die dicken Narben, die Gladion ihm verpasst hatte, waren noch immer ein wunder Punkt bei Drake und der Hass zwischen den beiden loderte wie eh und je.
Ich schüttelte den Kopf und lachte bitter auf.
"Was geht den das an?", schnaubte ich abwertend; "Außerdem war das nichts. Ich meine, das in dieser Nacht. Sowas ist ekelhaft und widernatürlich - Feuerfinger und Menschen tun sowas nicht."
"Sowas", äffte Drake mich gereizt nach; "Sprich es aus: Wir hatten Sex!"
"Einmal und nie wieder!", schrie ich fast.
Ich war aufgebracht, Lilianes Tod brannte mir noch auf der Seele, ebenso wie all die verwirrten Gefühle gegenüber Gladion.
"Es war ein Fehler, Drake", fuhr ich harsch fort; "Und der sollte so schnell wie möglich vergessen werden!"
Der Feuerfinger durchbohrte mich mit seinem grellgrünen Blick.
"Schön!", entgegnete er heftig; "Dann mach es dir eben einfach und tu, als wäre nie etwas gewesen. Spring doch einfach gleich mit Gladion ins Bett!"
"Was soll das denn jetzt?!", brauste ich auf; "Rede nicht mit mir, als wäre ich eine Schlampe! Außerdem hasse ich Gladion fast so sehr wie du, du Arschloch!"
Drake machte eine wegwerfende Handbewegung und knurrte zornig.
"Das bezweifle ich.", widersprach er; "Ich seh doch, dass da irgendwas ist. Aber gut, dann lüg dir halt weiter selbst etwas vor!"
Wir starrten einander wütend in die Augen, keiner war gewillt, den Blick als erstes abzuwenden.
"Aber ist ja auch egal!", fuhr Drake mich an; "Das mit uns ist ja sowieso endgültig vorbei."
Mit diesen Worten durchtrennte er dann doch unseren Blickkontakt und wandte sich zum Gehen.
Was für ein Idiot!
"Es kann nichts vorbei sein, weil da eh nie was war!"

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt