Kapitel 27

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Vor meinen Augen war alles fürchterlich verschwommen und mein Magen zog sich zusammen - ich konnte kaum mehr stehen.
Auch, als ich mich ausgiebig über Gladions Schuhen übergab, wurde es kaum merklich besser.
Erschrocken hob ich den Blick und sah den Ausdruck von Ekel und Ärger auf Gladions strengen Gesichtszügen.
Mit der Hand fasste er sich an das kantige Kinn und betrachtete mich, als würde er überlegen, ob er mich schlagen oder mich hochheben und in seinen Armen tragen sollte.
"Hups", sagte ich wenig geistreich.
Der Feuerfinger schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das verdächtig nach "Menschen ..." klang.
"Hey!", empörte ich mich; "Da drin sind so ungefähr hundert Feuerfinger, die schlimmer betrunken sind als ich! Manche von denen haben sogar Schlangengift genommen!"
Zumindest wollte ich das sagen, aber was ich schlussendlich von mir gab, klang wie unverständliches, wütendes Gebrabbel.
"Ha, du bist so voll, dass du dich fast mit diesem Feuerbändiger eben eingelassen hättest.", entgegnete Gladion grob; "Wobei, wäre ja nicht das erste Mal, dass du außerhalb deiner Art vögelst."
Ich versuchte, ihm meinen Arm zu entreißen, doch seine Finger waren unnachgiebig und bohrten sich in mein Fleisch.
Außerdem war ich zu betrunken und zu unsicher auf den Beinen, um gegen den mächtigen Feuerfinger anzukommen.
Arschloch.
Ich begnügte mich damit, ihn mit einer obszönen Geste zu beleidigen, was er ignorierte.
"Du bist ja nur eifersüchtig, weil ich eher mit jemandem schlafe, den du bis aufs Blut hasst, als mit dir!", schleuderte ich Gladion entgegen.
Seine Antwort war ein trockenes Lachen.
"Du hast keine Ahnung, was zwischen Drake und mir passiert ist, Katharina.", wies er mich zurecht.
Ich hasste es, wenn er mit mir wie mit einem dummen Kind redete, weshalb ich -wie ein dummes Kind- mit Trotz reagierte. Meine Betrunkenheit würde später für so einiges als Ausrede dienen müssen ...
"Ha, Freundchen, ich weiß gaaaanz genau, was da gelaufen ist.", lallte ich triumphierend; "Ich kenn die ganze Geschichte."
Gladions Finger in meinem Arm gruben sich immer tiefer und ich schrie kurz auf und funkelte ihn böse an, was er ebenso düster erwiderte.
"Er hat es dir erzählt?", fragte er abwertend; "Du weißt also, dass er Schuld am Tod meiner Eltern ist, was für ein Monster ist ... Und du hast dennoch mit ihm geschlafen?"
Vielleicht bildete ich mir das in diesem Moment ein, doch ich meinte, einen verletzten Ton zusätzlich zu dem Anklagenden aus Gladions Stimme zu hören.
Ich schwieg.
Mir war hier draußen in der Nacht, nur mit meinem ärmellosen Hemd bekleidet, kalt und der Magen drehte sich mir im Sekundentakt um.
Alles war verschwommen und mein Kopf fühlte sich ganz schwer an.
"Ich bin müde.", verkündete ich.
Ab diesem Augenblick erinnere ich mich an nichts mehr aus dieser Nacht.

Irgendwie wachte ich in meinem Zimmer auf, mit schmerzendem Kopf, einem ekelhaften Geschmack im Mund und einem üblen Gefühl im Magen.
Es war ein verdammt elender Zustand, doch ich krabbelte aus dem Bett und versuchte, mich irgendwie so herzurichten, dass von meinem Befinden möglichst wenig zu sehen war.
Die Augenringe waren jedoch schwer zu kaschieren und ich resignierte schließlich und machte mich völlig zerschlagen auf den Weg zu Dante.
Denn dem Alkohol zum Trotz hatte ich nicht vergessen, was Gladion mir letzte Nacht mitgeteilt hatte: Dass die Menschen mit den Feuerfingern verhandeln wollten.
Unterwegs zu Dantes Räumen lief ich Madeline über den Weg.
Sie musterte mich mit abschätzigem Blick und verzog die Lippen dann zu einem spöttischen Lächeln, das den blauen Edelstein über der Oberlippe aufblitzen ließ.
"Da ist ja unsere betrunkene Fee.", grinste sie.
Leicht beschämt fuhr ich mir durchs Haar, weigerte mich aber, betreten zu Boden zu schauen.
"Hat Gladion es dir also erzählt?", erkundigte ich mich bemüht gleichgültig.
Madeline zuckte die Achseln.
"Ich hab ein paar Freunde, die auch da waren, als du gestern etwas zu tief ins Glas geschaut hast.", meinte sie nur.
Ich straffte die Schultern und setzte einen selbstsicheren Ausdruck auf.
Sollten sich doch irgendwelche Feuerfinger über mich lustig machen, die hatten doch keine Ahnung, was für einen Dreck ich in meinem Leben mit Alkohol wegzuschwemmen hatte.
"Dante hat übrigens ein Treffen unserer Spezialeinheit einberufen.", fuhr die Drachenflüsterin fort; "Wegen dem, was mit Liliane passiert ist und natürlich auch ..."
Sie unterbrach sich und warf mir einen prüfenden Blick zu.
"Ich weiß, was los ist. Gladion hat es mir erzählt.", sagte ich.
In Madelines kühlen grauen Augen standen Misstrauen und Zweifel geschrieben und ich wusste, dass sie sich fragte, ob ich in dieser Angelegenheit Schwierigkeiten bereiten würde.
Ich hatte seit meiner Beinahe-Hinrichtung keinen anderen Menschen mehr zu Gesicht bekommen und arbeitete auch nicht an einer Verschwörung oder dergleichem, jedoch würde ich meinen Atem nicht verschwenden, indem ich Madeline davon zu überzeugen versuchte.
Als eine Reaktion meinerseits ausblieb, zog Madeline nur die Augenbrauen hoch und wir machten uns schweigend auf den Weg zu dem Besprechungsraum, in dem ich auch vor einiger Zeit Drake das erste Mal gesehen hatte.
Dante, Gladion, Drake und Ace warteten schon auf uns.
Der Flammenprinz sah aus wie der wandelnde Tod und ich musste sofort wieder an seinen Zusammenbruch nach Lilianes Trauerzeremonie denken.
Er nickte mir kurz matt zu, die dunklen Augen noch immer seinen Kummer zeigend.
In meinem Kopf sah ich augenblicklich wieder Lilianes Gesicht vor mir und schluckte.
Madeline gesellte sich zu Gladion und er legte ihr wie selbstverständlich einen Arm um die Schultern.
Diese Demonstration der Zuneigung bewegte mich nur dazu, die Augen zu verdrehen und ich ging zu Ace, da Drake mich nach unserem Streit vor ein paar Tagen passiv-aggressiv ignorierte.
Dante räusperte sich.
"Liliane", begann er mit rauer Stimme; "ist nicht mehr hier. Sie war ... Sie war ..."
Der Prinz unterbrach sich und ich hätte ihn in diesem Moment am liebsten wieder tröstend in die Arme genommen.
"Nichtsdestotrotz", sprach Dante weiter; "Können wir nicht ignorieren, dass uns eine Nachricht von einem Vertreter der Menschen zugesandt wurde. Ich habe mich mit meinem Vater und meinem Bruder besprochen und wir kamen zu dem Schluss, dass diese Angelegenheit von dieser Spezialeinheit übernommen wird."
An dieser Stelle übernahm Gladion, der Anführer unserer dezimierten Truppe.
"Uns wird ein Treffen zu kollaborierenden Gesprächen vorgeschlagen.", erläuterte der Feuerfinger ernst; "Eine Allianz gegen die Schatten wurde uns in Aussicht gestellt. Und ein Termin in zwei Tagen in einem Tempel der Götter der Menschen. In ihrem Territorium."
Während Gladion sprach, spürte ich, wie sich alle Blicke auf mich richteten.
Sie fragten sich, was meine Rolle in dieser Geschichte war.
Verdammt, das tat ich auch.
"Wer ist der Botschafter der Menschen?", meldete sich Drake zu Wort.
"Lucas Rowinth", antwortete Gladion ruhig.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, nach Luft zu schnappen.
Lucas?!
"Ihr Bruder?", fragte Madeline ungläubig; "Der, der sie auf den Richtblock gebracht hat, will jetzt mit uns verhandeln?"
"Nett", kommentierte Drake sarkastisch.
"Wir wissen überhaupt nicht, für wie viele Menschen er spricht; ob sich alle von der Herrschaft der Schatten durch diese Rebellion lösen wollen.", mischte Gladion sich ein; "Außerdem wissen wir nicht, wie genau diese Allianz aussehen soll und ob das Treffen nicht doch eine Finte ist oder gar eine Falle der Schatten."
Dante und Madeline nickten zustimmend; Ace neben mir kaute nur beunruhigt auf seiner Lippe herum.
Meine Gedanken kreisten wild um meinen Bruder. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was er mit all dem zu erreichen beabsichtigte, was er vorhatte.
Wusste er, dass Jenna hier in einer Zelle saß und würde er sie zurückfordern? Und was für eine Rolle hatte er mir zugedacht? Wollte er vielleicht eine Versöhnung?
"Die Menschen haben ihre Kinder und Geschwister als Frischfleisch an die Armee der Feuerfinger verlieren müssen.", warf ich ein; "Sie müssen für die Schatten sterben; sie haben ihr Reich, ihre Freiheit und ihre Ehre verloren - was ihnen bleibt sind Angst und Wut."
"Und diese Angst und Wut lassen mich zweifeln. Sie machen die Menschen unberechenbar.", hielt Gladion dagegen; "Zudem hassen sie nicht nur die Schatten, sondern auch uns. Wir haben Fost, eine ihrer größten Städte, niedergebrannt, eine Verurteilte vom Richtblock befreit und ihren Stolz beschädigt. Sie haben keine Kräfte; sie fürchten und verachten uns. Und nützen werden sie uns nicht viel."
Die ganze Zeit während seiner Rede starrte Gladion mir in die Augen und ich hatte keinen Zweifel daran, dass er jedes einzelne Wort persönlich gegen mich gerichtet meinte.
Standhaft erwiderte ich den Blick seiner funkelnden eisblauen Augen.
"Unnütz würde ich eine mögliche Allianz mit den Menschen nicht nennen.", widersprach Dante; "Sie könnten als versteckte Verbündete im Reich des Feindes dienen. In einem Kampf hätten wir die Überraschung auf unserer Seite, wenn sich die unterwürfigen Menschen plötzlich gegen ihre Eroberer wenden."
Nachdenklich sah er in die Runde.
Ich scharrte unruhig mit dem Fuß auf den Boden. Mein Kopf tat inzwischen nicht mehr nur von den Auswirkungen des Alkohols weh.
Was sollte ich von alldem halten?
"Mein Vater wünscht, dass diese Spezialeinheit, wir, eine Unterredung mit Lucas Rowinth haben.", teilte Dante uns mit; "Und er wünscht ausdrücklich, dass Kate dabei ist."
Drake warf die Hände in die Luft.
"Also haben wir im Grunde gar keine andere Wahl.", erkannte er.
Stirnrunzelnd wechselten Gladion und Madeline einen Blick.
Dante nickte nur und bemühte sich, die Trauer aus seinen Augen zu verbannen und entschlossen zu erscheinen.
"Wir werden gehen."
Und damit war es endgültig.
Ich würde meinen Bruder wiedersehen.

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt