Kapitel 38

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Es war unmöglich, zu beschreiben, wie ich mich am nächsten Morgen fühlte.
Berauscht traf es vielleicht ganz gut.
Oder entflammt, oder euphorisch.
Mit der Hand fuhr ich mir durch das wirre, dunkelblonde Haar und bemühte mich, sowohl die zerzausten Strähnen, als auch meine umherschwirrenden Gedanken zu ordnen.
War das alles gestern wirklich passiert?
Hatte ich mich Gladion wirklich geöffnet und seine Reaktion war ... Mit mir zu schlafen?
Gladion, von dem ich heimlich geträumt hatte, aber von dem ich mir geschworen hatte, ihm nie körperlich näher zu kommen?
Er war dazu bestimmt, mich zu töten!
Ich trug ein Monster in mir!
Ich ...
Mir fielen tausend Gründe ein, warum die letzte Nacht der schlimmste Fehler meines Lebens gewesen war, doch das vermochte es nicht, dieses dämliche Hochgefühl aus meinem Herzen zu vertreiben.
Kopfschüttelnd schlug ich die Decke des zerwühlten Bettes zurück und schwang meine müden Beine über die Bettkante.
Während meine nackten und noch immer blasenübersäten Füße über dem Boden baumelten, grübelte ich, wo Gladion denn bloß steckte.
Einerseits wollte ich nichts mehr, als in seine faszinierenden, hellblauen Augen zu schauen, andererseits graute mir auch vor diesem Augenblick.
Denn ein Blick aus seinen Augen würde mir den unleugbaren Beweis erbiringen, dass did letzte Nacht tatsächlich geschehen war.
Und nur die Götter wussten, was das für uns zu bedeuten hatte.
Immerhin gab es noch Madeline, die bis vor kurzem Gladions Objekt der Begierde gewesen war, oder Drake, mit dem meine Beziehung oder was das auch war noch immer nicht geklärt war.
Was für ein Chaos.
Ich stieß mich von der Bettkante ab auf die Beine und machte mich auf die Suche nach meinen Klamotten.
Ein wenig später, als ich in Unterwäsche und mein übergroßes Hemd gekleidet war, hatte sich Gladion noch immer nicht blicken lassen.
Mir war mulmig zumute.
Reagierte ich über oder war da wirklich etwas im Busch?
Unruhig wartete ich noch ein bisschen, spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht, ordnete meine Haare und kaute an meinem Daumennagel.
Wieso war ich überhaupt noch hier?
Ich konnte doch einfach gehen und etwas essen oder ein paar Runden um den Trainingsplatz drehen.
Davon hielt mich doch nichts ab. Einen kleinen Schnauber über mich selbst auslassend, ging ich zur Tür und öffnete diese, ohne mir dabei etwas zu denken.
Tja, ich hätte mir dabei etwas denken sollen.
Denn das schlechte Bauchgefühl, das ich einfach nicht loswerden konnte, kam nicht von ungefähr.
Sobald ich im Begriff war, einen Schritt in den Gang zu setzen, wurde ich von rechts attakiert.
Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatten vier Hände meine Arme im eisernen Griff nach hinten auf meinen Rücken geschraubt und ein grelles Feuer loderte so nah vor meinem Gesicht, dass ich die Augen weit aufriss, um mir keine Wimper anzusengen.
Das rotgoldene Licht des Feuers und die unmittelbare Hitze ließen meine Augen tränen und als ich versuchte, mich loszumachen, wurde der Griff um meine Arme nur fester.
Ich keuchte auf.
Es war mir unmöglich, mich zu bewegen, ohne mir einen Arm auszukugeln oder mein Gesicht zu verbrennen. Also hielt ich mich stocksteif.
"Katharina Rowinth", hörte ich eine Stimme über das leise Knacken der Flammen und das Atmen der beiden Leute hinter mir, die meine Arme fixierten.
Erst nach zwei Sekunden ging mir auf, wer da gerade meinen Namen gesagt hatte. Kiano.
"Fortan bis du eine Gefangene des Reiches der Feuerbändiger unter der persönlichen Aufsicht des Kronprinzen Kianos. Wir werden dich festhalten, solange wir es für nötig halten. An die Anklagepunkte solltest du gewöhnt sein: Verrat, Mord und eine unreine Seele. Oh, und was ich fast vergessen hätte: Du hast keine Rechte."

Ohne viel Federlesen wurde ich in den Gefangenentrakt befördert und dort grob in eine der grauen, kalten Eisenzellen geworfen.
Atemlos fing ich mich mit den Händen ab, um nicht mit dem Gesicht voran auf den eiskalten Zellenboden zu prallen.
Hinter mir verschlossen sie die Zelle wieder und ich hörte noch kurz das Flackern des Feuers und ein paar gemurmelte Worte, bevor sich die Feuerfinger wieder verzogen und mich zurückließen.
Erst, als ich mir sicher war, dass sie weg waren, setzte ich mich auf dem harten Untergrund hin und drückte meinen Rücken gegen die hintere Zellenwand.
Das Grau, die Stille und Kälte ließen einen Kloß in meinem Hals entstehen.
Er hatte mich verraten.
Ich hatte ihm alles anvertraut, ihm mein Herz ausgeschüttet, und Gladion hatte das alles seinem Kronprinzen gesteckt.
Wahrscheinlich war er, direkt nachdem ich gestern eingeschlafen war, zu Kiano gerannt.
Der Gedanke an seine Hände in meinem Haar, seinen Lippen auf meinen und seinen liebevollen geflüsterten Worten bereiteten mir Bauchschmerzen.
Es tat so weh, viel mehr, als es sollte.
Ich presste die Handballen gegen die Augen, um die emporsteigenden Tränen am Herausfließen zu hindern.
Ich hatte ihm vertraut.
Und er hatte mich verraten, einfach so; er hatte mich ausgenutzt und weggeworfen.
In seinen Augen musste ich wahrlich ein Monster sein - oder etwas sehr viel Schlimmeres als das.
Der Kummer und die Wut schüttelten meinen Körper und ich schluchzte unterdrückt auf.
Ich konnte nicht aufhören, zu zittern und zu weinen, auch wenn jeden Moment wieder jemand kommen könnte.
Der Schmerz war mehr, als ein Lebewesen jemals ertragen sollte.
Er umkrallte mein Herz und drückte, zerquetschte und zerfetzte es.
Der Einzige, dem ich mein Geheimnis erzählt hatte, hatte mich wehsperren lassen - und wer wusste schon, welche Folter noch auf mich wartete?
Vielleicht stimmte es ja auch.
Vielleicht geschah mir das recht.
Zitternd wischte ich mir die Tränen von den Wangen und aus den Augen; und beschwor mich, mit dem Gewimmere aufzuhören.
Mein gesamter Körper zitterte zwar noch, doch wenigstens hörten diese schrecklichen Schluchzer auf, die mich so vollkommen zu dieser jämmerlichen, schmerzerfüllten Trauergestalt gemacht hatten.
"Fertig?", erklang da ein Krächzen aus der Zelle neben mir.
Erschrocken fuhr ich zusammen.
"J-Jenna?", fragte ich mit belegter Stimme.
Sofort schämte ich mich für diesen Ausbruch, auch wenn es nur die gefangene Wasserbändigerin war, die ihn mitbekommen hatte.
Ein raues Lachen neben mir ertönte, das sich dann jedoch zu einem Husten wandelte.
"Lustig, wie wir jetzt beide hier festsitzen.", meinte Jenna; "Vor nicht allzu langer Zeit standest du noch außerhalb dieser Gitter."
"Ich wollte dir helfen, zu entkommen.", sagte ich tonlos.
"Zur Hölle wolltest du das", wehrte Jenna ab.
Sie klang erschöpft, eingerostet, so als wären ihr Trotz und der sture Tunnelblick der stolzen Rebellin in der langen Gefangenschaft abhanden gekommen.
Mit Grauen fragte ich mich, was die Feuerfinger Jenna hier angetan hatten.
Unzählige grausame Szenarien schossen mir durch den Kopf und ich konnte die Bilder nicht aus meinen Gedanken verbannen, während ich weitersprach.
"Lucas ist bei den Schatten.", teilte ich ihr mit; "Es gab einen Kampf und sie haben ihn mitgenommen. Ich glaube, meine Mutter hat die Schatten gerufen und irgendetwas ist nicht nach Plan verlaufen. Auf jeden Fall ist Lucas entweder in Gefangenschaft ... "
Ich brachte es nicht über mich, das Ende des Satzes laut auszusprechen.
Jenna schwieg in der Nachbarzelle und ich fragte mich, ob sie mich gleich mit ihrer Wassermagie ertränken würde.
Eventuell wäre das gar nicht so schlecht.
"Oder tot", führte die Wasserbändigerin schließlich meinen Satz matt zu Ende.
Sie mochte ihn vielleicht nicht lieben, aber ich wusste, dass mein Bruder Jenna nicht egal war, und das hörte ich auch an ihrer Stimme.
"Es ist meine Schuld", gestand ich.
In Gedanken hörte ich meine Mutter zustimmend rufen.
Jenna schien jedoch nichts mehr von Schuldzuweisungen zu halten.
Bei den Göttern, ich wollte nicht wissen, wie sie gerade aussah.
Hatte sie ein blaues Auge? War ihre olivbraune Haut voller Brandnarben? War sie abgemagert wie ein Skelett?
Mir schauderte bei all diesen schlimmen Möglichkeiten.
Jenna war noch nie meine Lieblingsperson gewesen, doch der Hass ihr gegenüber fühlte sich deutlich schwächer an und jetzt, wo wir Zelle an Zelle im Trainingslager der Feuerfinger eingesperrt waren, verspürte ich eine Verbundenheit dem wilden, schroffen Mädchen gegenüber.
Sie war eine Leidtragende dieser Welt, so wie ich.
"Deine Freunde sind wohl nicht so loyal, was?", fragte Jenna schließlich.
Warum war ihre Stimme so rau?
Bekam sie gar nichts zum Trinken?
Als ich sie genau das fragte, lachte die Wasserbändigerin erneut auf.
Es klang wie ein Schleifstein.
"Sie trocknen mich aus.", erklärte Jenna; "Kein Wasser, keine Kräfte. Denkst du, sonst würde ich noch hier drin vergammeln?"
Ich seufzte.
Auch von Jenna hörte ich ein Seufzen.
"Was für eine Scheiße", fand sie; "Das alles, meine ich. Und auch, was damals passiert ist, mit Lucas und deiner Hinrichtung. Das ist alles einfach -"
"Scheiße", stimmte ich ihr zu.
Gladion, Drake, Madeline, Dante, Ace, Lucas, der tote Drache, der Schatten in mir ...
Arschlöcher, Verräter, Lügner, Opfer, Monster - genau wie ich.
Ich hasste diese Welt.
"Du bist hier länger als ich.", sagte ich dann; "Irgendeine Idee, wie wir hier rauskommen?"
Diesmal lachte Jenna nicht, doch ich konnte ihr grimmig sarkastisches Lächeln aus den Worten heraushören, als sie entgegenete:
"Hier kommen wir nicht raus. Willkommen in der Hölle, Genossin."



Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt