Kapitel 19

3.3K 279 1
                                    


Das kleine Biest war schwerer, als es aussah.
Mit einem Grunzen wuchtete ich mir Jennas Körper über die Schulter und schob ihre dunkle Lockenpracht beiseite, die mein Gesicht kitzelte.
Dabei kam ich mir vor wie einer der Gnome aus den Geschichten, die meine Mutter Lucas und mir immer vorgelesen hatte. Diese Gnome waren grobe Halunken und sie verschleppten kleine Mädchen im Wald und nur ein Prinz konnte sie retten.
Was für eine dumme Geschichte.
Ich verfrachtete Jenna mühsam und ächzend den ganzen verdammten Weg zurück und ließ sie von meinem Rücken auf den harten Boden rutschen, als ich wieder am Trainingsgelände der Feuerfinger angekommen war.
Da die Sonne schon seit etwa einer Stunde kräftig schien, hatten sich auch die arroganten Feuerfinger aus ihren Zimmern begeben und liefen ihre ersten Runden auf der Laufbahn.
Im Hintergrund sah ich, wie sich Liliane und Ace aufwärmten, sich dehnten und testend nacheinander schlugen und Feuerbälle warfen.
Der sozial ungeschickte, etwas schüchterne Ace verstand sich inzwischen Recht gut mit Liliane und er teilte zudem ihre Ernsthaftigkeit und Konzentration, wenn es ums Training ging.
Glücklicherweise schützte mich der Schatten der Bäume vor ihren Blicken. Ich wollte nicht mit ihnen reden; wollte nicht erklären, dass ich beabsichtigte, zu verschwinden.
Die beiden hatten sich mit der Zeit einen Platz in meinem Herzen geschaffen und es würde wehtun, sie zurückzulassen.
Doch so musste es sein. Keine Feuerfinger mehr.
Das waren verlogene, überhebliche, verwirrende Kreaturen, rief ich mir ins Gedächtnis.
Ich konnte nichts mit dieser Nervensäge Jenna, dieser Piratin - es fiel mir noch immer schwer, das zu verinnerlichen - anfangen, doch Dante hätte sicher nichts gegen eine gefangene Wasserbändigerin, die sicherlich über so manche wichtige Informationen verfügte. Jenna wäre somit mein Abschiedsgeschenk.
Jetzt lag sie noch regungslos zu meinen Füßen, Blut rann ihr das Gesicht hinab, wo ich sie bewusstlos geschlagen hatte, ihr Haar war wie ein dicker dunkler Schleier.
"Wir werden wohl niemals Freundinnen.", bemerkte ich gleichgültig, bevor ich sie an der Schulter packte und in Richtung der Trainingsanalge schleifte.
Lucas, der Idiot, hatte sich aber auch die anstrengendste und verlogenste Schlange in Fost aussuchen müssen, um mich zu verraten.
Der Hass auf meinen Bruder kam mir gleichzeitig mit der Galle hoch.
Eine Grimasse schneidend, spuckte ich den ekelhaften Geschmack aus.
"Sieh an, sieh an, wen haben wir denn da?"
Verflucht.
Madeline hielt genau auf mich zu. Sie hatte den Kopf leicht schief gelegt, der Edelstein über ihrer Oberlippe glitzerte im Licht.
Na toll, die zwei nervigsten Zicken, die ich kannte, auf einem Haufen.
Neugierig musterte die braunhaarige Drachenflüsterin das bewusstlose und blutende Mädchen, welches ich voran zerrte.
"Ich muss zu Dante.", erklärte ich ungeduldig.
Madeline stoppte mich mit einer ausgestreckten Hand. Ihre grauen Augen durchlöcherten mich und ihr falsches, verzogenes Lächeln wurde von einer angehobenen Augenbraue begleitet.
"Du kannst es auch mir sagen und mir die Kleine übergeben.", schlug sie vor und ihr Blick erinnerte mich an ein fieses Reptil; "Ist sie eine Menschenfreundin von dir?"
Ganz bestimmt würde ich das nicht tun.
"Geh zur Seite, Madeline.", fuhr ich sie an.
Meine Geduld war für heute am Ende. Sollte jetzt noch Drake oder Gladion irgendwo auftauchen, würde ich alles kurz und klein schlagen.
Madeline verschränkte bloß die Arme vor der Brust und schüttelte verärgert den Kopf.
"Du weißt schon, dass ich praktisch wie ein Mitglied der königlichen Familie bin?", forderte sie mich heraus und warf - typisch hochnäsiger Feuerfinger - ihr lockiges Haar zurück.
Dann tippte sie sich mit dem Zeigefinger auf den blauen Stein in ihrer Haut unter der Nase.
"Reiner Saphir", erklärte sie; "Dante hat ihn mir zu meinem vorletzten Geburtstag geschenkt. Hübsch, nicht wahr?"
Meine Finger umklammerten Jennas schlaffe Schulter fester, ich krallte mich regelrecht ins Fleisch der Piratin.
"Meine Drachen ..."
"Verdammt, halt die Klappe!", schrie ich sie an; die Fäulnis in meiner Seele wölbte sich auf; "Geh am besten zu Gladion und lass mich in Frieden."
Madeline starrte mich düster an und ich wusste, dass ich mich auf einen giftigen Konter gefasst machen musste, da ging jemand dazwischen und rettete mich vor dem spitzen Mundwerk der legendären Drachenflüsterin.
"Kate, was geht hier vor sich?"
- Dante.
Der Flammenprinz gesellte sich zu uns, das attraktive Gesicht voller Überraschung, die Augen geweitet.
"Nichts", brummte ich.
Dante deutete auf die noch immer bewusstlose Jenna und dann auf meine blutenden, nackten Füße, auf die ich bis dahin gar nicht mehr geachtet hatte.
Ich senkte den Kopf zu einer sarkastischen Verbeugung vor dem Prinzen der Feuerfinger und entgegnete seinen Blick mit blitzenden Augen.
"Ich habe euch eine Wasserbändigerin gefangen, nichts zu danken.", antwortete ich schroff.
"Ohne Schuhe?", wollte Dante wissen.
"Und anscheinend auch ohne Gehirn.", ergänzte Madeline pikiert; "Jeder Idiot weiß, dass die Piraten auf ihren Inseln bleiben und es seit Jahrhunderten nicht mehr auf unser Land wagen. Das sind schwache Feiglinge, die wir Feuerbändiger fast ausgerottet haben."
Gerne hätte ich ihr eine geklatscht, doch ich zwang mich, mich auf Dante zu konzentrieren.
"Ich kenne sie von früher.", erläuterte ich ihm; "Sie ist anscheinend eine Spionin. Im Wald hat sie mich gerade eben fast mit ihren Kräften ertränkt."
Madeline lachte leise auf.
"Du bist doch verrückt.", murmelte sie.
Dante legte ihr eine Hand auf die Schulter, wie ich es früher getan hatte, wenn Lucas sich aufregte.
"Du solltest jemanden nach deinen Füßen sehen lassen.", meinte der Feuerfinger; "Ich kümmere mich um das Mädchen."
Etwas zögerlich schob ich Jenna zu Dante und beobachtete, wie er zwei seiner Soldaten mit einer Handbewegung heranbefehligte, die die Wasserbändigerin je an den Armen und Beinen fassten und hochhoben.
"Ich werde gehen.", brach es dann aus mir heraus; "Ich gehe fort."
Dantes dunkle Augen richteten sich auf mich und ich sah etwas darin, dass mir sagte, dass er dies befürchtet hatte.
"Du bleibst nicht mal bis zum Krieg? Es ist sicher nicht mehr lange und wir brauchen jeden Kämpfer, den wir kriegen können, gegen die Schatten.", argumentierte der Prinz.
Die Wahrheit war, dass ich nicht wusste, wie lange ich noch hatte. Der Schattenprinz, der sich in mir eingenistet hatte, wuchs und kontrollierte immer mehr meine Gedanken und Handlungen.
Ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Vielleicht wäre es am besten, wenn ich bald sterben würde.
Doch es gab noch Hoffnung - und zwar die alte Frau, die mir einst riet, das Schattenblut zu kosten.
Im Blut liegt die Macht.
Sie würde ich aufsuchen, um Rat fragen - und eventuell konnte sie mir helfen.
Hier, im Lager des Feindes meiner Art, des Feindes der Menschen, konnte mir niemand helfen.
Feuerfinger wie Drake und Gladion machten den schwarzen Wirbelsturm, der mich verschlang, nur noch stärker.
Nicht voll alledem würde ich jemals Dante oder sonst jemandem erzählen.
Madeline beäugte mich schon ganz argwöhnisch.
"Du bist hier keine Gefangene, Kate.", sagte Dante schließlich; "Aber vielleicht solltest du wenigstens zur Befragung der Piratin dableiben. Damit wir die ganze Geschichte bekommen."
Das letzte, was ich wollte, war, meine Vergangenheit vor den Feuerfingern ausbreiten zu müssen.
Aber wenn ich danach mit diesem Kapitel meines Lebens abschließen konnte ...
"Na wundervoll", gab Madeline offensichtlich unzufrieden von sich; "Ich hole Gladion."

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt