Kapitel 36

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Meine Augenlider flatterten und ich fühlte mich, als hätte ich tausend Jahre lang geschlafen.
Als ich vorsichtig begann, mich zu bewegen, entfuhr mir ein unterdrücktes Stöhnen. Die Muskeln in meinen Beinen schmerzten höllisch, meine Füße fühlten sich an, als wäre ich über Nägel gelaufen und der fiese Muskelkater in meinem Nacken und Rücken war kaum mehr mit Worten zu beschreiben.
Nichtsdestotrotz biss ich die Zähne zusammen und rappelte mich von dem Bett auf, in dem ich geschlafen hatte.
Dem Sonnenlicht nach zu urteilen, das ins Zimmer fiel, war es Mittag.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht schlurfte ich durch den Raum und erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mich in dem Schlafzimmer befand, das ich auch die letzten Wochen bewohnt hatte.
Wie war ich ... ?
Oh. Gladion.
Die Erinnerung fuhr wie ein glühend heißer Stich durch mein Gehirn und ich zuckte zusammen.
Er hatte mich in der Tat bis ins Bett getragen. Meine Wangen wurden rot bei dem Gedanken daran, wie er mich  vorsichtig auf den Laken abgelegt hatte und seine eisblauen Augen die ganze Zeit auf mir geruht hatten.
Hastig schüttelte ich den Kopf, um die Bilder aus meinen Gedanken zu verjagen.
Mit knackenden Knien schlurfte ich zum Kleiderschrank und zog achtlos ein viel zu großes, blaues Hemd hervor, das ich zurückgelassen hatte. Wo mein Beutel mit den Waffen und den passenden Klamotten war, wusste ich nicht, doch ich fand meinen großen, glänzenden Dolch neben dem Bett und befestigte ihn an der weiten Leinenhose, die ich angezogen hatte.
Erst zu diesem Zeitpunkt fielen mir die blutigen Schrammen an meinen Händen auf, die ich mir wohl bei meiner panischen Flucht durch den Wald zugezogen hatte.
Nichts Schlimmes, aber dennoch stimmte mich der Anblick meiner mit roten Strichen überzogenen Hände missmutig.
Wenige Minuten später hatte ich mich soweit an den lädierten Zustand meines Körpers gewöhnt, dass ich mich vor die Tür wagte.
Mit langsamen Schritten ging ich den wie zur Mittagessenszeit üblich leergefegten Gang entlang, während ich darüber nachdachte, wohin ich mich als erstes begeben sollte.
Letztendlich trugen meine in Mitleidenschaft gezogenen Füße mich in den Krankensektor.
Nach einer kurzen Nachfrage bei einer der Heilkräften, die mich noch aus meiner Zeit hier erinnerte und sich nach dem Befinden meiner Narben erkundigte, stand ich auch schon an der Türschwelle zu Dantes Krankenzimmer.
Jene war zu meiner Überraschung nicht bewacht, jedoch bemerkte ich, dass bereits ein Besucher an Dantes Krankenbett stand.
Und zwar kein anderer als Kronprinz Kiano, Dantes Bruder.
Bei meinem Näherkommen blickten die beiden Flammenprinzen synchron auf und Erleichterung durchflutete mich, als ich sah, dass Dantes Gesicht schon wieder seine normale Farbe angenommen hatte und der jüngere Prinz ein warmes Lächeln auf den ungerecht göttlich geschwungenen Lippen hatte.
"Hallo", sagte ich leicht peinlich berührt.
Kiano richtete sich zu seiner vollen Größe auf und nahm mich mit seinen analysierenden Augen genau unter die Lupe.
Sein berechnendes Auftreten gepaart mit dem hochintelligenten Blitzen in seinem Blick verunsicherten mich,was mich auch gleichzeitig ärgerte.
Ich hatte gegen unzählige Schatten gekämpft, trug sogar eines dieser Monster in meiner Seele, und nun schüchterte mich ein einziger Feuerfinger ein?
"Man hat mir schon berichtet, dass wir unser kleines Menschenmädchen wieder haben.", sagte Kronprinz Kiano und ich war unsicher,ob diese Kälte in seinem unattraktiven Gesicht etwas Schlechtes zu bedeuten hatte, oder ob das sein neutraler Gesichtsausdruck war.
"Ja, ich ... Ich bin zurück und meine Entschlossenheit im Kampf gegen die Schatten ist in keinster Weise erschüttert. ", verteidigte ich mich.
"Spar dir deine Erklärungen; Es interessiert mich nicht, wo du dich herumgetrieben hast.", wehrte Kiano ungehalten ab; "Streuner kann man nicht an einem Ort halten. Ebensowenig kann man Loyalität von ihnen fordern. Deshalb verlange ich das auch gar nicht von dir, Katharina Rowinth."
"Kiano!", beschwerte Dante sich verärgert; "Ich habe dir schon zehnmal gesagt, dass du ihr vertrauen kannst. Sie ist eine Freundin."
"Würde ich mich immer auf dein Urteilsvermögen verlassen, Bruder, wären wir lange nicht dort, wo wir jetzt stehen.", gab Kiano ungerührt zurück.
Angespannt rieb ich meine Handgelenke und fragte mich, ob ich eventuell doch dem Reich der Feuerfinger hätte fernbleiben sollen.
"Ich bürge für sie.", erklärte Dante standhaft; "Und dabei bleibe ich."
Kiano kommentierte das Thema nicht weiter, sondern nickte seinem Bruder zu und machte sich auf den Weg aus dem Krankenzimmer.
Im Vorbeigehen warf er mir noch einen kurzen Blick zu, der mir sagte, dass der Kronprinz mir wohl nie vertrauen würde. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen.
Als Kiano aus der Tür war, verdrehte Dante die dunklen Augen.
"So war er schon immer.", meinte er fast schon entschuldigend.
"Kann es ihm nicht verdenken", murmelte ich und trat näher an das Bett heran, in dem Dante lag.
Der Flammenprinz wirkte von nahem doch ziemlich blass und sein dunkelbraunes Haar, welches glanzlos und ungeschnitten war, bildete einen starken Kontrast zu seiner weißen Haut, die inzwischen in etwa Gladions Teint entsprach.
"Wie steht es so um dich?", wollte ich wissen.
Dante lächelte optimistisch.
"Ich heile ganz gut, aber weil ich ja mit Kiano der einzige Erbe meines Vaters bin, wird man mich einige Zeit länger hier behalten als einen anderen Soldaten. Aber alles verläuft soweit gut, dank Ace' Großmutter. Ein wahres Wunder, diese Frau.", fand er.
In diesem Punkt konnte ich ihm nur zustimmen.
"Gut, aber ich meine auch psychisch.", spezialisierte ich meine vorige Frage; "Tut mir leid, dass ich nicht für dich da war."
Sein Blick zeigte mir, dass er mir überhaupt keine Vorwürfe machte, was mir ein umso schlechteres Gewissen bescherte.
"Naja, größtenteils war ich sowieso nicht die beste Gesellschaft aller Zeiten.", munterte er mich auf; "Ich habe viel geschlafen und die restliche Zeit war ich die Trauer in Person."
Ein kummervoller Ausdruck erschien auf seinen präzise geschliffenen Gesichtszügen und ich fühlte das Spiegelbild dazu in meinem Herzen. Der Verlust von Liliane würde Dante nie mehr vollkommen loslassen, begriff ich.
Aus einem Impuls heraus streckte ich meine Hand aus und griff nach der des Prinzen.
"Ich vermisse sie auch.", versicherte ich ihm mit erstickter Stimme.
Ich spürte Dantes Finger auf meiner Haut und sah erst dann, wie sich seine Augen leicht weiteten.
"Du bist verletzt.", bemerkte er und fuhr mit dem Zeigefinger sachte über die blutigen Kratzer an meiner Hand.
Ich lächelte matt.
"Nichts von Bedeutung", machte ich ihm klar; "Mach du dir jetzt bitte nur Sorgen um dich und werd schnell gesund, okay?"
"Wir müssen aufeinander aufpassen.", sagte Dante gedankenverloren.
Ich drückte seine Hand und nickte bestätigend.
Der Gedanke daran, jemanden zu haben, der auf mich aufpasste und auf den ich aufpassen konnte, gefiel mir. Es tat gut, Dante als Freund zu haben.

Später am selben Tag trugen mich meine von Muskelkater geplagten Beine weg vom Trainingslager - und in Richtung der Drachengrube.
Hanas Worte waren mir nicht aus dem Kopf gegangen.
Im Blut liegt die Macht.
Drachenblut kann den Schatten schwächen, der Drache ist dein Verbündeter im Kampf gegen die Dunkelheit.
Hoffentlich würde Madeline nicht mitbekommen, wie ich versuchte, einem ihrer Drachen die Seele auszusaugen, um meine eigene zu retten.
Denn dann würde sie mich mit grimmiger Freude an ihre schuppigen Lieblinge verfüttern.
Aber wahrscheinlich war die Drachenflüsterin irgendwo bei Gladion, knutschte ihn ab oder machte was weiß ich was mit dem gut gebauten Feuerfinger.
Sollte mir doch recht sein.
Entschlossen näherte ich mich den Gruben, aus denen ich schon aus der Entfernung Rauchsäulen aufsteigen sah und das Zischen und Fauchen der Ungetiere hören konnte.
Meine Hand wanderte zu dem Dolch an meiner Seite und ein wenig nervös packte ich den Griff der Waffe.
Bei der nächstgelegenen Grube angekommen, sprang ich ohne viel Zögern hinein.
Meine Furcht vor den eindrucksvollen Drachen hatte sich mehr oder weniger gelegt und ich blickte mich fast schon gelassen zwischen den farbenfrohen, feuerspeienden Wesen um, um eines für mein Vorhaben auszuwählen.
Keine Zeit für Schuldgefühle, Angst oder Zimperlichkeit.
Von einem Schatten hatte ich doch auch schon einmal getrunken.
Da sollte man meinen, dass das nun ein Kinderspiel sein würde.
Mein Blick blieb bei einem blassblaugrauen Tier hängen, das kräftig und selbstbewusst zwischen seinen Artgenossen herumstolzierte und mir wenig Beachtung zollte.
Ich visierte die dicke, pochende Vene am Hals des Drachens an und schob mich durch die anderen Flugtiere, um zu meinem Zielobjekt zu gelangen.
Dann, einen Atemzug später, stand ich direkt neben dem blassblauen Lebewesen, das ich plante, mir einzuverleiben.
Meine Atmung ging schnell und fast schon angestrengt, derweil ich den metallischen Dolch hob und nach einem winzigen Moment des Zögerns auf den Hals des Drachens einstach.
Unglücklicherweise war dies ein winziger Moment zu spät, denn das muskulöse Schuppenwesen wich blitzschnell zur Seite und meine Klinge drang in die Schulter des geflügelten Tieres ein.
Der Drache kreischte ohrenbetäubend und dunkelrotes Blut ergoss sich aus der Wunde und lief eines der Vorderbeine des Ungetüms hinunter.
Ich bekam den Griff des Dolches zu fassen und zog diesen in einer kraftvollen Bewegung aus dem Fleisch des Drachens.
Das Blut lief nun in Strömen und ich ärgerte mich über meinen schlecht durchdachten Plan. Jetzt hatte ich aber keine andere Wahl mehr.
Mit Tränen in den Augen und Abscheu meines eigenen widerlichen Ichs im Herzen packte ich den blauen, zappelnden Drachen am stachel hinter dem breiten Kopf und schnitt ihm die Kehle durch.
Leblos sackte das Wesen vor mir zusammen, Blut spritzte und die andeen Drachen in der Grube stoben zischend zur Seite.
Zitternd ließ ich mich neben dem blutenden Leichnam des Tieres nieder und beugte den Kopf nach vorne, bis ich spürte, wie das noch warme Blut meine Lippen benetzte.
Nein, ich konnte das nicht.
Ich versuchte mich an einem Schluck, hustete es jedoch wieder aus.
Das alles war so schrecklich falsch.
Blutüberströmt, wie ich war, fing ich an, zu weinen.
Der Dolch in meiner Hand, bedeckt von all dem Blut, wackelte vom Zucken meines Körpers.
Ich hatte wieder die Anklagen im Kopf, wegen denen sie mich in Fost hatten hinrichten lassen wollen.
Was hatten die Menschen gerufen?
Verräterin.
Mörderin.
Monster.
Ich verspürte das Verlangen, mir selbst die blutige Klinge an die Kehle zu halten.
Alles zu beenden.
Wie einfach das wäre.
Wie erlösend.
Doch dann erklang die letzte Stimme, die ich in dieser Situation hatte hören wollen.
Gladion.
Und er schrie meinen Namen.


Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt