Kapitel 43

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Mir blieb die Luft weg, als jemand mir in den Magen trat und mich damit aus dem erlösenden Schwebezustand, in dem ich mich befunden hatte, heraus riss.
Ich krümmte mich, derweil meine Lungen sich schmerzhaft zusammenkrampften und es mehrere Anläufe brauchte, bevor ich wieder atmen konnte.
Man hatte mir die Augen verbunden und somit war das, was ich wahrnahm, der harte, erdige Boden unter mir und mein abgehacktes Luftschnappen.
Das erste Gefühl, das ich empfand, war Hass.
Ich wollte mir das Tuch von den Augen reißen - was nicht ging, da meine Hände ebenfalls gefesselt waren - und mit bloßen Händen alles in Stücke reißen, das es wagte, mir zu nahe zu kommen.
Zornig knurrte ich wie ein tollwütiges Tier und wand mich, um den Fesseln zu entkommen.
Somit erntete ich jedoch nur einen weiteren Tritt, diesmal in die Seite, und jemand packte mich an den Haaren.
Ich spürte heißen Atem an meiner Wange und kurz darauf ein Messer, das an meine Kehle gepresst wurde, während mein Kopf unsanft am Haar in den Nacken gerissen wurde.
Das kalte, drohende Metall an meinem Hals brachte mein Knurren zum Verstummen, doch die tierische Wut brannte stetig in meinen Adern.
In meinem Gedächtnis hatten sich Bilder von Blut eingebrannt, wundersame Ströme tiefroten Blutes, totes Fleisch und der Gestank nach Tod und Angst.
Es war faszinierend und abstoßend zugleich.
"Keine Bewegung, Missgeburt", zischte die Person, die mich am Haar gepackt hielt.
Fleisch, Beute, Blut, das darum bettelte, vergossen zu werden.
Ich bleckte die Zähne.
Sollte ich versuchen, nach diesem Menschen zu schnappen?
Vielleicht nahm er dann dieses scharfe Messer von meiner Kehle.
Die Klinge ritzte leicht an meiner Haut und ich war kurz davor, wild zu werden und komplett auszurasten, koste es, was es wolle.
Warnend schnaubte ich.
"Oh, nur Geduld", fuhr der Mensch mit der Klinge an meiner Kehle mich an; "Ein paar Sekunden noch, dann werden wir dich schlachten wie ein Schwein. Ganz so, wie du es verdient hast. Und diesmal werden dich deine Feuerfreunde nicht helfen."
Ich fauchte und das Messer grub sich ein wenig tiefer in meine Haut, sodass ein Blutstropfen hervorquoll und mir über den Hals lief.
"Oder willst du jetzt gleich sterben, Scheusal?", fragte der Mensch.
Es war ein Mann, fiel mir erst jetzt auf.
"Ich würde deinem abartigen Leben gerne selbst ein Ende setzen. Du hast da vorhin meinen Vater und meine Cousins umgebracht, weißt du das? Sie und die Hälfte unseres Lagers."
Der Hass, der aus seiner Stimme sprach, und die Wut, mit der er grob meinen Kopf am Haar noch weiter zurückbog, waren das Ebenbild zum Hass, der in meinem Inneren schwelte.
"Ich konnte dich gerade rechtzeitig ausschalten, bevor du das kleine Mädchen auch noch abschlachten konntest. Ein kleines, unschuldiges Kind.", spuckte der Mann; "Ich hätte gerne mehr gemacht als dich nur auf den Kopf zu schlagen, aber die anderen meinten, du solltest die schlimmste, qualvollste Folter erleben, bevor du stirbst und da kann ich ihnen nicht widersprechen. Freu dich schon auf die nächsten Stunden, Bestie."
Ein Spucketropfen landete auf meiner Wange und ich knurrte, aber das Messer an meinem Hals brachte mich zum Verstummen.
Ich erinnerte mich an das kleine Mädchen, an die kleine Liliane, mit ihrem entsetzten Blick.
Aus irgendeinem Grund schnürte mir der Gedanke an sie die Kehle zu und ich kniff die Augen unter der Augenbinde zusammen, um den Ausdruck auf ihrem kleinen Gesicht zu vertreiben.
Wie lange würde ich sie von nun an in ihren Albträumen heimsuchen?
Wann würde sie das schreckliche Monster vergessen, das ein Blutbad im Lager angerichtet hatte?
Niemals, war die bittere Antwort.
Schritte näherten sich und ich wünschte, ich könnte etwas sehen.
"Es ist soweit"
Die fremde Stimme war weiblich und etwas kratzig, und ich fragte mich, welches Gesicht dazu gehörte.
Der Mann mit dem Messer stieß mich auf die Beine und nahm die Klinge von meiner Kehle, nur um sie mir daraufhin in den Rücken zu bohren und mich damit vorwärts zu treiben.
Ich hätte mich vielleicht wehren können, wie das Untier, das in meinem Blut war, doch ich ließ es geschehen.
Die heiße Wut war abgeflaut mit der Erinnerung an das kleine Mädchen und ich fühlte mich leer und nackt, und ich fröstelte.
Ich war eine Massenmörderin.
Eine Muttermörderin.
Verflucht, auf ewig von den Göttern verflucht.
Wie im Traum war es, als der hasserfüllte Mann, dessen Familie ich ermordet hatte, mich vor sich her stieß und ich blind in die Richtung taumelte, die er vorgab.
Ein paar Male stolperte ich, doch er riss mich sofort an den Haaren auf die Füße zurück und drängte mich weiter.
Schließlich hörte ich Stimmen, wir näherten uns einer Menschenmenge.
Immer weiter, ein Schritt vor den anderen.
Warum bist du so schwach?, höhnte der Schattenprinz in meinem Kopf; Schwächling! Feigling!
Seine unmenschliche Stimme hallte laut in meinem Kopf, übertönte die Beleidigungen, die mir die Menschenmenge zubrüllte, verhöhnte und machte mich nieder.
Ich dachte an das kleine Mädchen. An seine großen Augen.
Menschlichkeit ist keine Schwäche.
Der Schattenprinz lachte. Natürlich lachte er mich aus.
Mit einem Ruck wurde mir die Augenbinde abgerissen und ich war für einen Moment überwältigt von den Eindrücken, die auf mich einströmten.
Menschen, an die hundert Männer, Frauen und Jugendliche hatten vor mir eine Masse gebildet, die schrie, spuckte und schimpfte.
Ein halbes Dutzend kräftiger junger Erwachsene hielten sie zurück.
Die heftigen Gefühle, die mir entgegenschlugen, überrollten mich - vor allem, da ich sie verdient hatte.
Diese blitzenden Augen, geröteten Gesichter und wüsten Worte hatte ich verursacht - all den Schmerz.
Meine Art hasste mich.
Sie sind nicht deine Art., widersprach der Schattenprinz dröhnend; Du gehörst nicht zu ihnen. Du gehörst zu mir. Es gibt weder Schatten noch Menschen noch Feuerfinger - nur uns. Wir werden dieses Reich regieren.
Mir lief es kalt den Rücken herunter.
Seit wann sprach der Schattenprinz mit mir?
Hatte ich durch meinen Kontrollverlust die Bindung zwischen uns gestärkt?
Wie gelähmt starrte ich in die Menge aus Hass und Ablehnung.
So war es auch bei der Hinrichtung gewesen, vor der mich die Feuerfinger gerettet hatten.
Sie würden mich nie akzeptieren, ich wäre immer die Feindin.
Mörderin, Verräterin.
Diese Beleidigungen waren gleich geblieben.
Aber auch neue wie Missgeburt, Monstrum und Untier waren dazugekommen.
Der Mann, der mich schon die ganze Zeit mit dem Messer bedroht hatte, trat neben mich.
Zu meiner Überraschung sah er ganz normal aus, zwar nicht viel größer als ich, jedoch an die dreißig Jahre alt und großzügig bepackt mit Muskeln.
Seine Augen waren von einem hellen Braun und glänzten wie das Messer, das er mir nun in die Seite presste.
Mit lauter, die Schreie der Menschen übertönenden, Stimme zählte er - wie Lucas damals - meine Sünden auf.
"Mord an unserer Anführerin Gabriela Rowinth, an vierundneunzig anderen Kämpfern dieses Lagers und unzähligen weiteren in der Vergangenheit. Verbrüderung mit den Schatten, Verrat an deiner Art und unseren Göttern. Hiermit seiest du den Todesgöttern versprochen - mit hundert Messerstichen."
Ich schluckte.
Die Menge vor mir jubelte und brüllte.
Würde es so zu Ende gehen?
Nein!, versprach mit der Schattenprinz mit brutaler Freude.
Wenigstens töten sie dann gleich dich mit!, erwiderte ich in meinen Gedanken und wünschte mir, ich könnte mir irgendwie den Schädel aufspalten und den Schatten mit seiner einnehmenden Dunkelheit entfernen. Er strengte mich an; sein Hass, der zu meinem wurde, zehrte mich aus und ließ keinen Raum für andere Gedanken und Gefühle.
Er hatte das ruiniert, was von meinem jämmerlichen Leben noch nicht hoffnungslos verloren gewesen war.
Ich wollte nur noch ich selbst sein.
Konnte ich nicht wenigstens als ich selbst sterben?
Nur Kate Rowinth, nicht mehr, nicht weniger.
Doch zuerst musste ich diesen Tag überleben.
Denn ich hatte Jenna, der eingesperrten Wasserbändigerin, ein Versprechen gegeben.
Und auch Gladion.
Erstere würde ich befreien, letzteren töten.
Erst dann konnte ich sterben.
"Ich fordere ein Duell!", rief ich mit erhobener Stimme; "Ein Duell im Angesicht der Götter, sodass sie meine Klinge lenken und mich selbst zum Tode verurteilen!"

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt