Kapitel 10

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Am folgenden Nachmittag fand sich die gesamte Spezialeinheit auf der Trainingsanlage ein und wir teilten uns in Zweierteams auf.
Ich sah schon, wie Gladion sich auf mich zubewegte, doch Drake kam ihm zuvor.
Seine grünen Augen durchleuchteten mich, als er vor mich trat und einen Mundwinkel hob.
"Wie wäre es, wenn wir uns ein bisschen besser kennenlernen?", schlug er vor.
Etwas in seinem Blick ließ mich eine Augenbraue heben. Hinter Drake wandte Gladion sich nun Liliane zu.
"Du willst wissen, was der Mensch drauf hat?", vermutete ich.
Drake zuckte unbeeindruckt mit den Achseln.
"Der Mensch und die Missgestalt; warum nicht?", gab er zurück.
"Du bist ja ganz schön wehleidig.", schnaubte ich; "Das ist eigentlich die Aufgabe des Menschen."
Drake lachte rau auf und ich stimmte etwas verzögert mit ein.
Wir brachten uns in Position. Ich fixierte seinen langen, kräftig gebauten Körper.
"Noch eine Sache", bat ich mit einem schiefen Grinsen; "Fackel mich nicht ab. Das hat ein anderer Feuerfinger bei unserem ersten Kampf gemacht und ich habe da keinen Wiederholungsbedarf."
Drake erwiderte das Grinsen, wobei seine Narben sich verzerrten.
"Das war dann wohl Gladion.", riet er; "Ja, er zeigt sich immer gerne von seiner netten Seite."
Der dunkle Unterton in seiner Stimme veranlasste mich dazu, nicht weiter nachzufragen, sondern mit dem Kämpfen anzufangen.
Wir umkreisten einander konzentriert, dann beschloss ich, den ersten Angriff zu starten.
Drake war schnell und um Welten besser, als ich erwartet hätte. Natürlich hatte ich ihn nicht als schlecht eingeschätzt, andererseits hätte ich nicht gedacht, dass er tatsächlich derart überragend sein würde.
Seine Beine arbeiteten schnell, seine Schläge waren zielsicher und seine Fäuste steckten voller Kraft.
Schnell verstand ich, warum er in unserer Einheit war.
Bisher hatte ich kaum jemanden getroffen, der es mir ohne den Einsatz von Feuerkräften so schwer machte.
Ich landete zwar auch Treffer, doch Drake hatte beeindruckende Reflexe.
Beim Kämpfen traten seine Narben durch die Anstrengung stark hervor und eine Schweißperle lief ihm aus dem schwarzen Haaransatz.
Mir ging es nicht anders.
Als wir endlich eine Pause machten, waren meine Muskeln strapaziert und meine Brust hob und senkte sich heftig.
Drake machte den Vorschlag, uns ein wenig auszuschütteln, indem wir ein paar Runden auf der Laufbahn drehten.
Während wir nebeneinander hertrabten, nutzte ich die Gelegenheit, mehr über den gezeichneten, jungen Mann zu erfahren.
"Du bist echt gut.", gestand ich ihm zu.
Er zwinkerte mir zu.
"Du auch. Für einen Menschen.", erwiderte er, jedoch nicht auf diese abwertende Art, wie Gladion es immer sagte.
"Warum bist du eigentlich hier?", erkundigte er sich; "Im Kampf gegen deine eigene Art?"
Ich verzog das Gesicht.
"Ich hatte nicht viele andere Möglichkeiten. Im Grunde hieß es, ab zu den Göttern oder zu den Feuerfingern.", erklärte ich mich.
"Mies", kommentierte Drake.
Jetzt war es an mir, eine neugierige Frage zu stellen.
"Was ist mit Gladion und dir? Da hängt zwischen euch so eine Spannung in der Luft.", erläuterte ich meine Beobachtung. Drake stieß eine Mischung aus Schnauben und Lachen aus.
"Direkt die harten Fragen, hm?", bemerkte er.
"Bei dir doch auch.", argumentierte ich.
"Das ist fair.", sah er ein; "Naja, du hast sicher das hübsche Kunstwerk in meinem Gesicht nicht übersehen? Das war er."
Ich schnappte nach Luft und wäre vor Schreck fast gestolpert.
Drake hielt mich davon ab, hinzufallen, indem er mich mit seiner Hand am Arm stützte.
Mit großen Augen starrte ich ihn an.
"Gladion war das?", hauchte ich ungläubig; "Ich meine, wow ... Das sieht aus, als ..."
"Als hätte ein blutrünstiges Monster Gesichtschirurg gespielt?", vervollständigte der Feuerfinger meinen angefangenen Satz; "So ähnlich war es auch."
Ich schluckte, noch immer geschockt über diese Enthüllung.
"Was ist genau passiert? Warum sollte Gladion das tun?", fragte ich.
"Lange Geschichte", wich Drake aus; "Und unrühmlich für beide Parteien. Ich erzähle sie dir lieber ein andermal."
"Dann erzähl mir jetzt etwas anderes über dich.", forderte ich ihn neugierig auf.
Früher oder später würde ich die Geschehnisse in Erfahrung bringen, die in Drakes Gesicht ihre Eskalation gefunden hatten, doch momentan wollte ich ihn nicht drängen.
"Naja, ich komme ursprünglich aus Dyrant und meine Eltern leben dort immernoch mit meinem kleinen Bruder.", erzählte er; "Deswegen bin ich gerade ziemlich angespannt, wie du sicher verstehst. Seit dem Angriff der Schatten habe ich nichts von meiner Familie gehört."
Ich nickte mitfühlend.
"Das tut mir leid.", sagte ich ehrlich.
Drake nickte knapp.
"Dir geht es doch ähnlich. Von Fost ist nur Asche und Rauch übrig geblieben.", gab er zu Bedenken; "Mein Vater war dabei. Er hat mir von der Zerstörung Fosts erzählt. Das war auch das letzte Mal, dass wir miteinander in Kontakt standen."
Kurz schwiegen wir und ich gestattete es mir, in Gedanken an Fost und meine Familie zu versinken.
Wie sehr ich dieses alte Leben doch vermisste. Doch das war vorbei.
Jeder Mensch hasste mich, eine ekelhafte Mörderin.
Ich spürte für einen schreckenerregenden Moment, wie sich der Schatten in mir regte.
"Alles okay?", wollte Dante wissen.
Ich nickte hastig. Die Fesseln aus meiner puren Willenskraft, mit denen ich den Schatten tief in mir gefangen hielt, durften nie zerbrechen.
Niemals durfte jemand von dem Monster in mir erfahren.
"Wie dem auch sei", führte Drake unser Gespräch fort; "Ich hatte die langweiligste Kindheit, die du dir vorstellen kannst. Als meine Begabung für den Kampf zu Tage trat, kam ich auf die Militärschule, von woher ich auch Gladion, Liliane und Ace kenne. Und jetzt bin ich hier gelandet."
"Hey, wollt ihr den ganzen Tag Runden drehen und schwatzen?", rief Gladion uns in schroffen Ton zu, als wir an ihm und Liliane vorbeikamen.
Drake und ich sahen uns an und zogen synchron die Augenbrauen hoch.

Abends fiel ich nach einer Dusche vollkommen erschöpft in mein Bett, das mich mit seiner Wärme und Weichheit willkommen hieß.
Mit einem Lächeln auf den Lippen kuschelte ich mich in die bequemen Kissen.
Das war so viel besser als das harte Bett in Fost, auf dem ich jahrelang geschlafen hatte.
Gerade wollte ich die Augen schließen und mich meiner Müdigkeit ergeben, da klopfte jemand an meine Tür.
Seufzend setzte ich mich auf.
Hoffentlich war es nicht Gladion. Nach dem, was ich heute erfahren hatte, hatte ich mich von ihm ferngehalten, da ich nicht wusste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.
Immer wenn ich seine blauen Augen auf mir spürte, hatte ich Drakes narbenübersätes Gesicht vor mir gesehen.
"Herein", sagte ich mit dünner Stimme.
Zu meiner bodenlosen Erleichterung war es nicht Gladion, der mein Zimmer betrat.
Drakes grüne Augen funkelten mir verschmitzt entgegen.
"Was hältst du von einem kleinen Ausflug?"

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt