Kapitel 46

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Eine flüchtige Berührung an meiner Schulter riss mich aus meinem Schockzustand.
Ich fuhr herum und hätte fast laut aufgelacht, als ich sah, wer mich da auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Die Welt erlaubte sich in letzter Zeit echt einen Scherz nach dem nächsten mit mir.
Eisblaue Augen begegneten meinen und ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht in dieses blasse, wie aus Stein geschliffene Gesicht zu schlagen.
Denn ganz im Ernst, ihn jetzt und hier zu sehen, war das Letzte, was ich gebrauchen konnte.
Ich wollte nur endlich schlafen und mich von all dem Wahnsinn, der mir heute passiert war, erholen, doch beim Gedanke daran, dass Gladions Hand mich an der Schulter gestreift hatte, wurde mir übel.
Gladion, dieser eledige Scheißkerl, ließ seinen Blick über mich gleiten, nahm jedes Detail, jedes bisschen getrocknete Blut, in sich auf.
Im Gegensatz zu mir war er sauber, roch frisch, und hatte sein gesund glänzendes weizenblondes Haar in die Stirn hängen.
Unwillkürlich machte ich einen Schritt von ihm weg.
Gladions markante Kiefer pressten sich aufeinander.
"Ich habe Madeline gesehen und dachte mir, dass du zurück bist", hob er an; "Wir müssen reden."
Ich schüttelte den Kopf und wich seinem Blick aus, der meinen suchte.
"Ganz sicher nicht", wehrte ich ab und schaute zu Jenna und Drake, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um Gladion und mich mehrere Meter entfernt zu bemerken.
Bei den Göttern.
Ich konnte kaum glauben, dass es dazu gekommen war.
Wasserbändiger und Feuerfinger hassten einander bis aufs Blut.
Und jetzt stand doch tatsächlich die Schwester der Königin der Wasserbändiger hier und verschlang mit Zunge und Lippen einen der Elitekämpfer der Feuerfinger.
Andererseits war Drake auch zuvor schon nicht von Konflikten zwischen den Arten abgeschreckt gewesen, wenn man seine und meine gemeinsame Nacht bedachte.
"Hör zu, Kate ...", sagte Gladion in einem Tonfall, den ich nicht richtig deuten konnte.
"Nein, du hörst mir jetzt zu", schnitt ich dem Verräter wütend das Wort ab; "Was du getan hast, hat alles zwischen uns geklärt. Du redest ab jetzt nicht mehr mit mir, fasst mich nicht an und hältst verdammt nochmal Abstand! Sonst kann ich gerne zu dem Monster werden, das alle in mir sehen und dann kann ich für nichts mehr garantieren!"
Ich funkelte ihn an und war befriedigt, als ich den Ausdruck von Reue und Nachgiebigkeit in seinem Gesicht sah, was zugleich aber auch überraschend war.
Er bereute es also, mich in den sicheren Tod geschickt haben?
Nun ja, jetzt war es zu spät. Viel zu spät, um irgendetwas zu ändern.
Denn ich würde dieses Arschloch umbringen, zwar nicht jetzt, doch er würde noch bekommen, was er verdiente.
Der Feuerfinger hob abwehrend die Hände.
"Ich habe dich verletzt, klar, aber du musst verstehen, dass ...", versuchte Gladion auf mich einzuwirken, doch ich ließ ihm erneut keine Chance, seinen Satz zu beenden.
"Spar dir deine Lügen, ich glaube sie eh nicht mehr.", fauchte ich und ballte die Hände zu Fäusten; "Von dem, was du getan hast, gibt es kein Zurück mehr. Niemals."
Gladion sah mich stumm an.
Er versuchte nicht mehr, mich umzustimmen, mir seine Ausreden und Lügen zu verkaufen.
Er wusste, dass ich recht hatte.
Es gab tatsächlich kein Zurück mehr.
Es zählte nicht, ob er seinen Verrat im Tiefen seines Herzens bereute oder ob ich ihm irgendwie etwas bedeutete, was ich auch stark bezweifelte.
Die Linie war überquert, die Vergangenheit stand geschrieben.
Ich lächelte mein grausigstes Schattenlächeln und wandte mich schließlich von ihm ab.
Die Fronten waren geklärt, und trotz des Eises um mein Herz verspürte ich einen kleinen Stich.
Ich verlor nach und nach jeden, der irgendwie in meinem Leben gestanden hatte. Meine Familie, die Menschen, die Feuerfinger.
Mein Blick richtete sich auf Drake und Jenna.
Der Feuerfinger hatte die Hände in Jennas ungebändigten, dunklen Locken vergraben, während sie an seinem Shirt zog und sein von Narben bedecktes Gesicht küsste.
Ich fühlte mich leer und es war, als wäre ich ein Beobachter und würde nur zusehen, wie mein Körper auf das sich innig küssende Paar zuschrat.
"Du nimmst deine Pflichten der Bewachung der Gefangenen ja wirklich ernst, Drake", unterbrach ich mit kalter Stimme das schmatzende und keuchende Durcheinander.
Sofort sprangen Jenna und Drake auseinander, mit großen Augen und roten Wangen.
Das Haar der Wasserbändigerin war ein dunkelbraunes Chaos, ihre mandelförmigen Augen waren weit aufgerissen, doch ich bemerkte auch, dass Jenna wieder etwas kräftiger wirkte und auch die blauen Flecken aus ihrem Gesicht verschwunden waren.
Wahrscheinlich hatte sie diese verbesserte Behandlung ihrem neuen Gefängniswärter zu verdanken.
Die beiden Erwischten starrten mich an und ich wollte fast kichern beim Anblick der schockierten Gesichter.
"Jenna, meine Liebe, ich habe doch gesagt, ich hole dich hier raus.", meinte ich kopfschüttelnd; "Aber du hast mir wahrscheinlich nicht vertraut. Wie ich sehe, hast du dir eine neue Möglichkeit zur Flucht gesucht."
Bedeutungsvoll deutete ich auf die offenstehende Zelle und dann auf die beiden, die sich zuvor noch geküsst hatten.
Drake räusperte sich.
"Kate ... Du bist ja wieder da!", stieß er hervor.
Ich verdrehte meine Augen in Richtung Jenna.
"Den Hellsten hast du dir ja nicht gerade herausgesucht, was?", fragte ich die Wasserbändigerin.
"Tja", fuhr ich fort, als Jenna den Mund zu einer Erwiderung öffnen wollte; "Wir ihr seht: Ich lebe noch! Juhuu!"
Sarkastisch klatschte ich in die Hände.
In mir brodelte es und ich hatte das dringende Bedürfnis, all meine Erschöpfung, Wut, den Frust und die Bitterkeit an Jenna und Drake auszulassen.
Peinlich berührt tauschten die Wasserbändigerin und der Feuerfinger einen Blick aus. Ich genoss ihr Unwohlsein.
"Habt ihr mich nicht vermisst?", wollte ich wissen; "Ach, warte, Jenna, du kannst dich ja immer mit einem Kerl trösten. Ich hatte ja mein früheres Bild von dir überdenken wollen, aber anscheinend bist du immernoch dieselbe manipulative Schlampe wie damals, als du mit meinem Bruder zusammen warst!"
Jenna schnappte nach Luft und Drake machte drohend einen Schritt nach vorne, ein paar Flämmchen züngelten um seine geballte Faust.
Sein Zorn stachelte mich nur weiter an und war wie das Öffnen eines Ventils für all meine aufgestauten Emotionen, die nun aus mir herausbrachen.
"Wie süß!", höhnte ich; "Ehrlich Jenna, ich glaube, du hast den Idioten echt rumgekriegt! Schade nur, dass sein Feuer nicht mehr als ein absolut lächerliches Funkeln ist. Ich könnte mit zwei Feuersteinen gegen ihn antreten und würde gewinnen!"
"Ich werde dir gleich zeigen, wie mächtig mein Feuer ist!", brauste Drake auf, das narbenüberzogene Gesicht noch weiter verzerrt.
Seine grünen Augen, diese Drachenaugen, schauten auf mich herab, als wollte Drake mich mit ihnen bei lebendigem Leibe rösten.
In diesem Moment schaltete sich auch wieder Gladion ein, der anscheinend die Szene aus der Entfernung mitverfolgt hatte.
Zu meiner Verärgerung baute sich der blauäugige Feuerfinger neben mir auf und hob das kantige Kinn.
"Wir wissen alle, dass du einen Komplex hast, weil deine Kräfte ein Witz sind. Im Gegenteil zu den wirklich begabten Leuten in diesem Lager.", griff Gladion Drake an.
Die Feindseligkeit in der Luft war zum Greifen.
Diese beiden hassten einander wie die Pest, Drake als Schuldiger am Tod von Gladions Eltern und Gladion als Verunstalter von Drakes Gesicht.
Dieser tiefgreifende Konflikt, der noch immer zwischen den beiden Feuerfingern schwelte, lenkte für den Moment von mir ab.
"Oh, du bist ja so ein toller Kerl, Gladion", verhöhnte Drake den anderen; "Du hast schon immer viel zu viel von dir selbst gehalten. Frag dich vielleicht mal, warum dich momentan jeder hasst, selbst Madeline, die dir vor kurzem noch wie ein Schoßhündchen überall hin gefolgt ist."
So sehr es mich auch störte, ich konnte Drake in dem Punkt nur zustimmen.
Gladion war ein von sich selbst eingenommener Mistkerl, ein Verräter, Lügner und was nicht alles noch.
Mir kämen hunderte Beleidigungen für Gladion DeVerris in den Sinn.
"Weil du ja so ein Goldjunge bist", schoss Gladion zurück; "Alles, was du kannst, ist herumzukriechen und anderen zu deinem Vorteil in den Rücken zu fallen wie ein rückgratloser Feigling! Gib es doch zu, du bist einfach ein Versager und warst es auch schon immer!"
Das war der Punkt, an dem der Streit eskalierte und die seit Jahren verfeindeten Krieger aufeinander losgingen.
Nicht mit Feuer und Magie, sondern mit bloßen Fäusten wie gewöhnliche Menschen.
Es entwickelte sich ein brutales Handgemenge, bis Drake und Gladion schließlich ineinander verkeilt zu Boden gingen.
Während sich die muskulösen Kerle auf dem Boden wälzten, schlagend, schreiend wie kleine Kinder, versuchte Jenna, die zwei auseinander zu bekommen.
Ein sinnloses Unterfangen, bei all der Wut, die im Raum stand und der rohen, niederen Gewalt, die aus den Feuerfingern herausbrach und sie menschlicher machte, als sie vermutlich je gewollt hätten.
Reglos beobachtete ich, fast schon verwundert, wie der Hass in den eisblauen und grellgrünen Augen durch die wilden Schläge Form annahm.
Es war ein von animalischen Trieben beherrschtes Schauspiel, das mich stark in seinen Bann zog.
Die fliegenden Fäuste, das raue Gebrüll - man könnte meinen, man beobachte einen Affenkampf.
Erst später wurden andere Feuerfinger auf die Prügelei im Gefangenentrakt aufmerksam und eilten herbei, um die kämpfenden Feuerfinger voneinander zu trennen und Jenna zurück in ihre Zelle zu drängen.
Meine Anwesenheit wurde in all dem Aufruhr großteils ignoriert.
"Kate!", rief nur Jenna aus ihrer Zelle, die Hände um die Gitterstäbe geklammert; "Kate, geht es Drake gut? Kannst du bitte schauen, ob es Drake gut geht? Du schaust doch, ob es ihm gut geht, oder? Und du kommst wieder und sagst es mir, richtig?"
Ich schnaubte nur als Entgegnung zu ihrer Verzweiflung.
"Ihr könnt mich alle mal! Ich gehe jetzt schlafen!"

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt