Kapitel 37

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Das Bild, das ich abgab, als Gladion mich fand, musste jenseits von grauenvoll sein.
Dickes, rotes Blut verunzierte mein Gesicht, tropfte von meinen Wangen und tränkte meine Kleidung und den staubigen Boden der Drachengrube.
Und inmitten der immer größer werdenden Lache von purpurrotem Blut lag der ausgeschaltete Drache, still und starr und tot.
Den bluttropfenden Dolch in meiner Hand warf ich mit aller Kraft von mir, wie, als könnte ich damit meine schreckliche Tat ausradieren.
Klirrend traf die Klinge den Fels, der die Drachengrube begrenzte, und ich schlug mir die Hände vors Gesicht.
Ich kam mir vor wie ein Kleinkind, das sich auf diese Art verstecken wollte.
Doch hiervor konnte ich mich nicht verstecken. Das hier war kein Spiel, sondern Mord.
Ich hatte einen von Madelines kostbaren Lieblingen umgebracht.
Galle stieg mir den Hals empor, doch als ich würgte, kam nichts heraus, und auch der Tränenfluss waren schon wieder versiegt, kaum, dass er sich aus meinen Augen ergossen hatte.
Ich fühlte mich einfach leer, hohl wie eine faule Nuss. Selbst der parasitäre Schattenprinz schien nicht mehr zu existieren.
Mir wurde erst langsam klar, was ich da eben fast gemacht hätte.
Oh, bei allen Göttern.
Ich hatte mich beinahe umgebracht.
Diese eiskalte Erkenntnis sickerte träge zu mir durch und schüttelte mich dennoch durch wie eine Explosion.
"Kate!"
Da war er wieder, Gladion, diesmal ganz nah.
Eine Sekunde später war er in die Drachengrube gesprungen und eilte zu mir herüber.
Was auch immer es war, das ich in seinen Augen entdeckte, es hatte nichts Gutes zu bedeuten.
Dieses helle Blau flog von dem toten Flugtier bis hin zu meinem jämmerlichen, zitternden Selbst und wieder zurück.
Gladion stieß einen Fluch aus.
Seine muskulöse Brust hob und senkte sich hektisch, während es hinter seiner gefurchten Stirn zu rattern schien.
So viel Blut, dachte mein lahmgelegtes Hirn; Überall, alles rot. Tot.
Mein Arm streckte sich aus und ich deutete wie in Trance auf den toten Drachen, mein Mund war offen wie bei einem Fisch.
Gladion legte seine blasse Hand auf meinen ausgestreckten Arm und drückte ihn sanft, aber bestimmt herunter.
"Beruhige dich", redete er leise auf mich ein; "Atme tief durch und beruhige dich."
Doch ich konnte mich nicht beruhigen, nein, seine Worte sorgten nur dafür, dass sich meine Atmung beschleunigte und ich fest seine Hand packte und umkrallte.
Ich stand kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch, aber der hellblonde Feuerfinger starrte mich nur eindringlich an, sein Körper ganz dicht an meinem.
"Beruhige dich, okay?", fuhr er unbeirrt fort; "Wir gehen dich jetzt waschen, in Ordnung?"
Sein Geruch nach Wald und Schweiß wehte mir in die Nase und ich atmete tief ein.
So roch ich wenigstens das metallische, würgenerregende Blut nicht mehr und der Geruch nach arrogantem, gutaussehendem Feuerfinger stellte sich als deutlich tröstlicher heraus, als man denken würde.
Ich erwiderte seinen Blick.
"In Ordnung"

Leise plätscherte es, als Gladion den Stofflappen aus dem Eimer mit Wasser hob und helle, glitzernde Tropfen nach unten fielen.
Der Feuerfinger hatte irgendwen über den toten Drachen informiert - zumindest ging ich davon aus; mitgekriegt hatte ich nicht viel - und nun saßen wir in meinem Schlafzimmer und Gladion den Lappen durchnässte, um mich von der Schicht Blut befreien zu können, die meine Haut überzog.
Mit einer Leichtigkeit, die ich seinen großen, starken Händen nicht zugetraut hätte, führte Gladion den Waschlappen an meine Wange und begann sachte, das Blut abzureiben.
Wir schwiegen die ganze Zeit und ich stierte vor mich hin, genoss, wie Gladion mich sorgfältig und verblüffend einfühlsam mit dem Lappen abwusch und von dem Blut - und der Sünde - befreite.
Er hatte keine einzige Frage gestellt, seine Augen blickten fokussiert, derweil er mit dem Lappen sanft meinen Hals hinabfuhr.
Ich bekam eine Gänsehaut.
Gewissenhaft führte Gladion den Lappen über mein gesamtes Gesicht, Schlüsselbein, Schultern, Arme und Rücken.
Bei meinen Händen angekommen, bedachte der Feuerfinger die blutigen Schrammen und fuhr leicht mit seinen schwieligen Fingerkuppen darüber.
Wie eine Puppe ließ ich es geschehen, doch im Inneren spürte ich zwischen all der Fäulnis und dem Entsetzen einen heißen Funken in der Brust.
Nach einer Weile hielt Gladion inne.
Meine Haut war mehr oder weniger von den schrecklichen Blutströmen gereinigt, das blonde Haar hing mir nass über den Rücken.
"Kate", hob er an; "Du hast diesen Drachen getötet, nicht wahr?"
Zuerst reagierte ich nicht.
Ich verschloss die Ohren, stellte mich taub. Es auszusprechen, würde dieses Verbrechen umso abartiger machen.
"Du warst es."
Diesmal war es keine Frage.
"Warum?", verlangte Gladion zu wissen.
Der Ton in seiner Stimme ließ mich zusammenzucken, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihm in die Augen zu schauen.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, der Moment, in dem der blonde Feuerfinger mich als das Monster sah, das ich war.
Warme Finger legten sich unter mein Kinn und drückten es hoch.
Gezwungenermaßen schaute ich nun in die eisblauen Augen meines Gegenübers. Die Arroganz in seinem Blick war verflogen.
Da war etwas anderes ...
Unsere Münder waren sich so unvorstellbar nah. Ich spürte seinen warmen Atem und sah diese Lippen direkt vor mir, die ich im Geiste schon so oft geküsst hatte.
Gladion lehnte sich vor ...
"Ich habe den Drachen getötet, weil ich für mich kämpfe, auch wenn es sonst keiner tut.", sagte ich endlich, nach einer schier ewig langen Zeit des Schweigens.
Verwirrt sah Gladion mich an. Er begriff es nicht; natürlich begriff er es nicht.
"Seit Jahren führe ich einen Kampf an jedem Tag, zu jeder Stunde, in jeder Sekunde. Ich kann nicht atmen, ohne, dass das Dunkle nicht versucht, von mir Besitz zu ergreifen.", führte ich meine Erklärung fort; "Gladion."
Entschlossen hielt ich seinen Blick fest. Es war an der Zeit, mit den Geheimnissen aufzuräumen. An der Zeit für die Wahrheit.
"Ich bin seit Jahren von einem Schatten besessen. Einem Schattenprinzen.", erklärte ich; "Er gibt mir Stärke und Schnelligkeit, aber macht mich grausam und blutdürstig. Und er wird mächtiger. Wenn der Schatten gewinnt, Gladion, bin ich verloren."
Der Feuerfinger war keinen Zentimeter zurückgewichen.
Er betrachtete mich bloß aus seinen wundersamen Augen und ich ließ ihm Zeit, meine Worte zu verdauen.
"Verstehst du?", fragte ich; "Da ist eine Dunkelheit in mir, etwas Böses, und eigentlich sollte das Drachenblut mir helfen, es zu bekämpfen. Aber ... ich konnte es nicht trinken. Ich konnte einfach nicht."
Noch immer hatte Gladion keinen Ton zu meiner Offenbarung gesagt.
Ein riesiger Kloß bildete sich in meinem Hals.
Würde er die Prägung vollziehen und mich einfach verbrennen, um so den Schatten zu beseitigen?
War das nicht vielleicht sogar das Beste?
"Ich weiß, du denkst, ich bin ein Monster und das stimmt ja auch, aber ..."
Gladion machte einen Schritt vor und tat das, womit ich niemals, nicht in tausend Jahren, gerechnet hätte.
Er legte die Hände auf meine Hüften und beugte sich zu mir herunter, bis sich unsere Münder trafen.
Der Kuss, zu dem unsere Lippen verschmolzen, war besser als alles, was ich mir ausgemalt hatte.
Ein heißes Feuer entbrannte in meinem Herzen und strahlende Funken wurden durch meinen gesamten Körper geschickt.
Überwältigt ließ ich es zu, dass Gladion mich näher an seinen mit Muskeln bepackten Körper zog.
Im perfekten Einklang bewegten sich unsere Zungen und ich küsste den Feuerfinger, als würde es kein morgen geben.
Vielleicht war das ja auch so.
Nur kurz zog ich mich zurück und flüsterte schwer atmend: "Madeline?"
Gladion schüttelte nur den Kopf und verschloss meinen Mund wieder mit seinem.
Ich verlor mich in seinem Kuss, in dem Gefühl seines Körpers an meinem, in seiner wunderbaren Körperwärme.
Und in diesem Augenblick war der Schatten, all meine Probleme und das endlose Leid in meinem Leben und auf dieser gesamten verkorksten Welt nicht existent.
Es gab nur Gladion und mich und diesen Kuss, aus dem, ehe ich mich's versah, mehr wurde.
Da waren seine Hände unter meinem durchsogenen Shirt und dann fuhren mir seine lagen Finger durchs Haar, während ich ihm voller Eifer das Shirt über den Kopf zog und mich am Anblick seines durchtrainierten Oberkörpers weidete.
Oh, diese weiße Haut, wie Seide, wie Marmor, über seine Muskeln gespannt.
Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, als Gladion begann, meinen Hals zu küssen.
Oh ja, an diesem Tag konnte er mich alles vergessen lassen und dafür sorgen, dass ich in der Hitze und all der Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, verloren ging.
Was der nächste Tag jedoch mit sich brachte, konnte von keinem noch so innigen Kuss aufgewogen werden.
Denn egal, wie sehr ich in diesen Stunden mit Gladion vergessen konnte, mein Leben war noch immer ein einziger Scherbenhaufen.
Entweder ließ ich ihn, wie er war, oder ich versuchte, die Scherben aufzuheben und zusammenzusetzen und verblutete jämmerlich mit zerschnittenen Händen.







Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt