Kapitel 21

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Ich rannte.
Auch wenn ich nicht darüber nachdachte, wohin mich meine Füße trugen, wollte ich nur weg.
Weg von Gladion, weg von den Feuerfingern, weg von Jenna, weg von dem Schatten, der sich meiner bemächtigte.
Letzterem jedoch konnte ich nicht davonlaufen, egal wie schnell ich war.
Ziemlich spät erst realisierte ich, dass ich den Weg zu den Drachengruben eingeschlagen hatte.
Es war schwer zu erklären, was mich zu den übernatürlichen Kreaturen zog, doch das war der Ort, zu dem es mein Herz zog.
In meinem Kopf spielte sich mein Gespräch mit Gladion wie in Dauerschleife ab und ich konnte das Bild seines schneeweißen Gesichts nicht vertreiben und hatte seine entgleisten Gesichtszüge noch genau vor Augen, als ich ihm an den Kopf warf, dass Drake und ich miteinander geschlafen hatten.
Verdammt, Drake durfte ich auf keinen Fall wieder begegnen. Allein bei dem Gedanken wurde mir schlecht.
Mit eiligen Schritten und bis zum Hals pochendem Herzen kam ich endlich bei den Unterbringungen der eindrucksvollen Schuppentiere an.
Ich hörte das Zischen der Drachen, sah die Rauchwolken über den Gruben und konnte für einen Sekundenbruchteil einen Blick auf das Aufflattern ledriger Flügel erhaschen.
In meinem Gedächtnis kramend, versuchte ich mich daran zu erinnern, in welcher Grube Vlathyst, der rotorangene Drache, auf dem Drake und ich vor nicht allzu langer Zeit geritten waren, sich befand.
Madeline hätte gewusst, wo die schöne Drachendame zu finden war.
Es waren immerhin auch Madelines Drachen.
Doch die arrogante Zicke konnte mir ebenso wie jeder andere Feuerfinger gestohlen bleiben.
Vielleicht, überlegte ich; Könnte ich es schaffen, mit Vlathyst abzuhauen und auf ihrem Rücken in die Freiheit zu fliegen.
Ich stellte mir vor, wie ich sie und mich von diesem nahenden Krieg retten würde. Dieser versprach, blutig zu werden, und er hatte sich schon einen der drei Flammenprinzen - Prinz Nathan - geholt und unzählige Menschen und Feuerfingerleben.
Nein, der Krieg hatte schon früher begonnen, mit der Invasion der Schatten in das Reich der Menschen, wobei die Feuerbändiger nicht einen Finger gerührt hatten und mein Vater getötet wurde.
Dann hatten sie auch noch meine Heimat, Fost, mitsamt aller meiner Kindheitserinnerungen abgebrannt.
Alles machten die Feuerfinger kaputt. Doch ich würde nicht zulassen, dass sie mich zerstörten.
Nein Gladion würde mich nicht zerstören, sein Feuer würde mich nicht holen. Der Schattenprinz hatte ältere Ansprüche.
Urplötzlich stach mir ein scharfer Schmerz ins Herz und ich presste erschrocken die Hände auf die Brust.
Doch es war eher ein befreiender, denn ein quälender Schmerz, und ich spürte, wie das Geschwür sich in meiner Seele zusammenzog.
Der Schatten verschwand aus meinem Blut, knurrte, fauchte, und zog sich tief in mein zerbrochenes Inneres zurück.
Mich ließ befreite er dadurch von der Dunkelheit - vorerst.
Ein lautes, verrücktes Lachen entstieg meiner Brust. Mein Herz wehrte sich doch tatsächlich gegen die Dunkelheit.
Vielleicht war es doch nicht so schwach und kaputt, wie ich immer gedacht hatte.
Vielleicht war es ein Kämpfer, furchtlos und entschlossen.
Kopfschüttelnd ballte ich meine Hände zu Fäusten und presste sie gegen meinen Brustkorb, worin mein Herz kraftvoll hämmerte.
"Lass mich nicht im Stich.", flüsterte ich.
Sollte es bezwungen werden, war alles verloren.
Ich begann, zwischen den Drachengruben umherzuwandern. Die farbenfrohen, rauchausstoßenden Wesen ignorierten mich großteils, nur hin und wieder richtete sich ein neugieriges grünes Paar Augen an mich.
Oh bei den Göttern, diese Augen erinnerten mich so sehr an Drakes. Wohin ich auch ging, ich konnte ihm nicht entkommen.
Dann sprang sie mir ins Auge.
Vlathyst, sanftrot wie ein Sonnenuntergang.
Ich hauchte ihren Namen, den Namen, des ersten Drachens, auf dem ich bewusst geflogen war. Mit ihr würde ich abhauen.
Ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden, was ich da gerade tat, sprang ich in die Drachengrube.
Smaragdgrüne Augen, heißer Atem und verärgertes Zischeln begrüßten mich, aber einen Aufstand unter den Drachen gab es nicht.
Solange ich mich vorsichtig verhielt, war ich mehr oder weniger sicher.
Mit langsamen, bedachten Bewegungen bahnte ich mir einen Weg zu dem großen, schönen Tier, das ich im Visier hatte.
Gerade streckte ich die Hand nach Vlathyst aus, da durchschnitt eine messerscharfe Stimme die Luft.
"Was zur Hölle tust du hier?"
Madeline. Verflucht.
Langsam wandte ich den Kopf zu der Drachenflüsterin, die flink wie eine Katze in die Grube gehüpft kam und beiläufig ein paar kleinen Tierchen über die schuppigen Köpfchen strich.
Ich konnte ihr wohl kaum erzählen, dass ich vorhatte, einen ihrer heiß geliebten Drachen zu entführen.
"Ich ... Entspannen", redete ich mich heraus; "Die Ruhe genießen. Zumindest bis gerade eben."
Madeline verzog die Lippen zu einem merkwürdigen Lächeln und ihre stahlgrauen Augen blitzten intelligent.
"Interessanter Ort zum Entspannen für einen Menschen.", merkte sie an.
"Ich brauche einfach mal eine Auszeit von euch ätzenden Feuerfingern.", hielt ich dagegen.
Zu meinem Bedauern entfernte Vlathyst, die mich noch nicht einmal bemerkt hatte, sich von mir und schubste mit ihrem Drachenschweif ein dürres, blassgrünes Ungetüm beiseite.
Madeline lächelte weiterhin ihr seltsames, schwer deutbares Lächeln, derweil sie vorbeistreifenden Drachen liebevoll streichelte und im Gegenzug von manchen sogar liebkost wurde.
"Fühlst du dich neben uns schlecht, Mensch?", provozierte Madeline mich, doch es klang irgendwie müde.
Die Aufregung der letzten Zeit war auch an ihr nicht spurlos vorbeigezogen.
Als ich nicht antwortete, hakte die Drachenflüsterin dennoch weiter nach.
"Gladion sagt, du hast eine Nummer mit unserem Drake geschoben, stimmt das?"
Unverständlich fluchte ich vor mich hin, aber Madeline wusste genau, was sie davon zu halten hatte.
Sie lächelte nur noch breiter und gab einem rauchschwarzen Drachen neben ihr sogar einen kleinen Kuss auf die breite Schnauze.
"Schöne Tiere", sagte Madeline; "Drake ist fast so vernarrt in sie wie ich. An seinen Anblick muss man sich erst gewöhnen, aber im Grunde ist er ja ganz gescheit."
Ich hatte keine Lust mit einer wie ein lauerndes Reptil wirkenden Madeline über Drake zu plaudern.
"Gladion hat mir aber noch etwas viel Interessanteres anvertraut.", fuhr sie fort; "Wir stehen uns nämlich ziemlich nahe, musst du wissen. Näher als Dante und ich, wenn du verstehst, was ich meine."
Ich verdrehte die Augen.
"Gladion sagt, du bist von seinem Feuer geprägt.", verkündete Madeline fast schon triumphierend; "Schade eigentlich wegen des Krieges, aber egal. Genieß noch die letzten Wochen deines Lebens."
Ich war versucht, die fiese Schlange mit dem Messer in meiner Jackentasche zu erstechen.
Es war in diesem Moment schwer zu entscheiden, wer schlimmer war - Jenna oder Madeline.
Und für wen ich den ersten Todesstoß mit meinem Messer aufsparen sollte.
Nein, ich verbot mir diese düsteren Gedankengänge, damit beschwörte ich nur den Schatten wieder herauf.
Angestrengt brachte ich meine vor Wut zitternden Hände unter Kontrolle und schluckte den bitteren Zorn hinunter.
"Schade", echote ich die Feuerbändigerin mit den stechenden metallischen Augen; "Schade, dass unsere Arten nicht befreundet sein können. Alles wäre so viel einfacher. Aber das ist wahrscheinlich nicht in unserer Natur. Es kommt vermutlich nicht von ungefähr, dass Menschen nur Kinder von Menschen bekommen können. Es soll wohl so sein. Trotzdem schade."
Mein Leben wäre so anders verlaufen.
Madeline betrachtete mich mit einer nachdenklichen Miene und ich meinte, zum ersten Mal seit unserer ersten Begegnung etwas wie Respekt in ihrem Blick zu erkennen.
Dann nickte sie und ich war verblüfft, dass sie keinen hämischen Kommentar dazu abgab.
Da schlummerte wirklich ein Funken Vernunft in der Drachenflüsterin.
Baff wie ich war, erwiderte ich bloß das knappe Nicken von Madeline.
Es war das erste Mal, dass wir die andere und deren Ansichten irgendwie anerkannten und auf irgendeine Art und Weise berührte dieser Moment etwas tief in mir - auch wenn es Madeline war, die mir hier gegenüber stand.
"Madeline! Madeline!"
Der Schrei zeriss die ungewohnte - mehr oder weniger ausgeprägte -  Eintracht.
"Madeline, wo steckst du? Du sollst sofort kommen!"
Madeline runzelte die Stirn, bevor sie zurückrief: "Ich bin hier! Was ist denn?"
"Es ist jemand aus deiner Truppe, aus der Spezialeinheit! Sie sagen, jemand wurde von Schatten angegriffen!"
Madeline und ich wechselten einen Blick.
Eine gespenstische Stille hing über uns, bevor die verhängnisvollen Worte ausgesprochen wurden.
"Tot! Sie sagen, einer aus eurer Einheit ist tot!"

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt