Kapitel 33

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Scheiß auf Gladion; Scheiß auf Madeline; Scheiß auf Kiano; Scheiß auf alle Feuerfinger.
Und auch auf Jenna und ihre verfluchten Piraten.
Wütend stürzte ich in das Zimmer, das ich die letzten Wochen bewohnt hatte und riss den Schrank, mit dem Bett das einzige Mobiliar, auf.
Neben meinen Messern und Dolchen in allen Längen und Formen schnappte ich mir ein paar der eintönigen Hemden und Hosen, dazu zwei dicke Wollhemden und Unterwäsche.
Den ganzen Kram stopfte ich achtlos in einen Lederbeutel, bis auf einen mehr als dreißig Zentimeter langen Dolch, den ich am Mantel befestigte, welchen ich mir überwarf.
Mein ungekämmtes, dunkelblondes Haar warf ich über die Schulter nach hinten und spazierte schließlich aus dem Zimmer, ohne einen Blick zurück zu werfen.
Raschen Schrittes verließ ich die Schlafstätten und entfernte mich immer weiter von dem Gebäudekomplex, das das Trainingslager bildete.
Ich wusste nicht genau, wo mein Zielort sich befand, doch als ich an den Drachengruben vorbei auf die schwarzen, rauchenden Umrisse der Schwelenden Stadt vor mir zuhielt, fand ich, was ich suchte.
Etwa einen halben Kilometer vor den Toren der Hauptstadt der Feuerfinger befanden sich die Steintafeln, jene riesigen Steinfelder, in die jeder Name eines ehrenvoll gestorbenen Kriegers der Feuerbändiger eingeritzt war.
Eine kurze Zeit irrte ich in dem tristen grauen Steinfeld herum, bis ich den neuesten Namen fand, welchem Aberhunderte - oder eher Tausende - vorausging.
Liliane Grayson
Das war alles, was von der tapferen Kämpferin übrig war. Das und ihre Asche, welche der Wind bei ihrer Beisetzung verweht hatte.
Wie angewurzelt stand ich da und stierte auf den Namen der Frau, welcher ich so viel Respekt und Bewunderung entgegengebracht hatte.
Vertraute Gefühle der Trauer, Wut und Bedrücktheit stiegen in mir auf und ich bückte mich und presste meine Handfläche auf ihren in Stein gemeißelten Namen.
Eine einsame Träne entwischte meinen Augen und kullerte meine Wange hinab, bevor sie auf den grauen Stein tropfte.
Ich betrachtete meine Hand auf Lilianes Namen und erkannte dort, wo mein Ärmel hochgerutscht war, die dünne, weiße Narbe vom Kampf gegen die Schatten, welche sich unter dem Shirt über den gesamten Unterarm zog, und dasselbe auf dem anderen Arm.
In Zeiten wie diesen waren das die zwei einzigen Optionen: Der Tod oder das Überleben mit Narben auf dem Körper und der Seele.
"Ich werde überleben.", sagte ich; "Für dich, Liliane, und für all die anderen Toten, die es nicht verdient hätten. Für meinen Vater."
Er hatte mir alles beigebracht, was ich konnte und wusste, und war mir gegenüber zwar streng, aber niemals gewalttätig geworden.
Nur Lucas, oh den armen kleinen Lucas, hatte er misshandelt, den traurigen Jungen gebrochen.
Und dennoch konnte ich meinen toten Vater nicht hassen; noch immer überwogen meine positiven Erinnerungen an ihn, auch wenn ich wusste, was er Lucas angetan hatte.
Ich war eine miserable Schwester.
Doch was war das jetzt noch wert, wo Lucas doch mit großer Wahrscheinlichkeit von den Schatten getötet wurde?
Fast zärtlich strich ich mit meinen rauen Fingern über Lilianes Namen und senkte dann den Kopf, um ein kurzes Gebet an die hundert Götter des Lebens und die hundert Götter des Todes zu richten.
Erst dann erhob ich mich wieder und straffte die Schultern.
Ich hatte einen weiten Fußmarsch vor mir.
Solange ich den Feuerfingern ihre Drachen ließ, so dachte ich, würden sie mich ziehen lassen.

Blasen waren nicht schön, doch der Schmerz hielt mich wach, während ich mitten in der Nacht durchs Unterholz wanderte.
Stundenlang war ich ohne Pause gelaufen und hatte erst angehalten, als ich nach der Dämmerung in die Nähe der Grenze zum Reich der Menschen gekommen war.
Dort suchte ich mir einen geschützten Platz hinter einem umgestürzten Baum, an dem ich die Nacht verbringen würde.
Meine Beine fühlten sich vom weiten Laufen an wie Pudding und mein Rücken schmerzte vom Gewicht des Lederbeutels mit meinen Habseligkeiten.
Gerade noch spürte ich die Erleichterung, die mich überkam, bevor ich zu Boden sank und mir sofort die Augen zufielen, unbeachtet aller Gefahren, die das in diesem kritischen Gebiet für mich mit sich bringen könnte.
Madelines stahlgraue Augen waren mit einer alles einnehmenden Häme gefüllt, während sie Gladion ganz langsam und ausführlich die Zunge in den Hals steckte.
Tatenlos sah ich zu, wie sich ihre langen Finger in seinen hellblonden Haaren vergruben und sich ihr Körper seinem entgegenwölbte.
Gladions blaue Augen waren vollständig auf sie fixiert und seine starken Hände fuhren über Madelines Rücken, derweil er sie näher zu sich heran zog.
Ich konnte Madelines hellrosa Zunge genau erkennen, wie sie sich den Weg tief in Gladions Mund bahnte und sich verhielt, als wollte sie ihn verschlingen.
"Ich liebe dich", hörte ich den weißblonden Feuerfinger flüstern.
Und dann war das Paar plötzlich verschwunden und Dante trat an ihre Stelle.
Sein verboten gutaussehendes Gesicht schaute mich traurig an wie eine starre, kummervolle Maske und ich machte einen Schritt nach vorne, um die Trauer aus dem Gesicht des Flammenprinzen verschwinden zu lassen.
"Du hast mich im Stich gelassen.", klagte der Prinz; "Ich habe dir vertraut und du bist einfach weggegangen, während ich im Krankenbett um mein Leben kämpfe. Ich dachte, wir wären Freunde."
"Du hast mich im Stich gelassen.", echote eine neue Stimme - Lucas.
Ich konnte ihn nirgendwo sehen, doch was er sagte, war klar verständlich.
"Ich habe dir vertraut. Du hast mich im Stich gelassen."
Und als wäre das nicht genug, gesellte sich eine dritte Person zu den enttäuschten Jungen.
"Es ist deine Schuld. Alles deine Schuld." - Mutter.
"Wegen dir haben sie mich gefoltert und festgehalten. Du hast mir nicht geholfen - und jetzt werden die Feuerfinger mich töten." - Jenna.
"Alles deine Schuld"
Die anklagenden Stimmen schwollen zu einem regelrechten Chor an, der mir den Verstand zu rauben drohte.
Ich hörte auch Drake und Liliane heraus, die mir mein Versagen vorhielten und dazwischen immer, immer wieder die Worte meiner Mutter.
"Alles deine Schuld."
"Alles meine Schuld.", wiederholte ich verzweifelt.
Das Stimmengewusel wurde lauter und immer unerträglicher, bis ich glaubte, mein Kopf stünde kurz davor, zu explodieren.
Dann auf einmal, wie auf ein für mich nicht ersichtliches Signal hin, brach der Chor der Vorwürfe ab.
Entsetzliche, atemlose Stille ersetzte die lauten, gepeinigten Rufe.
Es war kalt - mir war so schrecklich kalt.
"Katharina"
Ich erschrak.
"Katharina, tu es."
Ich kannte diese Stimme, diesen tiefen, durchdringenden Bass.
"Jetzt tu es, verdammt nochmal!"
"Vater", hauchte ich.
Seine Augen blitzten vor Wut und er hielt mir voller Nachdruck den metallischen Dolch hin.
Ich erinnerte mich ganz genau.
Er wollte, dass ich den Schatten tötete. Meinen Ersten.
"TU ES!", brüllte er.
Blut.
Schwarzes Blut. Oh, so viel Blut ...
Was hatte ich getan? Was hatte ich bloß getan? Was ...
Ich zuckte zusammen und war mit einem Mal aus diesem grauenvollen Traum hinauskatapultiert worden.
Stoßweise entkam mein Atem meiner Brust und ich umklammerte mit den Armen meinen völlig verschwitzten Oberkörper.
In meinem Nacken klebten Haarsträhnen und mein Herz pumpte wie bei einer Hetzjagd das Blut durch meine Adern.
Rotes Blut, erinnerte ich mich.
Ich war kein Schatten, kein bösartiges Ungeheuer.
Ich war nur ein Mensch.
Mit dieser Erkenntnis kämpfte ich mich auf meine wackeligen Beine und klopfte den Dreck des Waldes von meiner Kleidung.
Als ich zum Himmel aufsah, merkte ich, dass die Sonne schon mit ihrem Aufstieg begonnen hatte und allmählich die Wipfel der Bäume erklomm.
Der Schrecken des Albtraums saß mir noch in den Gliedern, nichtsdestotrotz warf ich mir den Lederbeutel über die Schulter und setzte meinen Weg fort.
Mit ein bisschen Glück würde ich heute noch die alte Dame finden, die mich einst über die Macht des Blutes aufgeklärt hatte.
Ja, dachte ich, als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht berührten; Heute ist ein guter Tag.





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