Kapitel 47

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Ein Blick in Kianos düstere, fast schwarze Augen und ich hätte am liebsten kehrt gemacht und mich wieder ins Bett verkrochen.
Doch die Sonne war schon seit Stunden aufgegangen und ein Gespräch mit dem Kronprinzen, der im Trainingslager der Feuerfinger anscheinend das Kommando von seinem verletzten Bruder übernommen hatte, war überfällig.
An seinem steinernen Gesichtsausdruck konnte ich nicht viel ablesen, doch es war offensichtlich, dass Kiano meine noch schläfrige, leicht zerrupfte Erscheinung nicht sonderlich schätzte.
Das kleine Zimmer, in das der Flammenprinz mich zitiert hatte, stand bis auf einen blitzeblanken Tisch leer und unter Kianos erdrückender Präsenz bekam ich fast schon klaustrophobische Anwandlungen.
"Wie ich sehe, hast du deine Erholung als wichtiger empfunden als dich bei mir zu melden.", bemerkte Kiano missbilligend.
Seine hoch aufragende Gestalt und das unattraktive Gesicht verrieten, wie wenig sympathisch ich ihm war.
Einen Augenblick lang wollte ich ihm an den Kopf werfen, was für schreckliche Dinge ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte, doch ich schluckte meinen Ärger und die Verbitterung herunter.
Mein Gejammer hätte den kühlen Prinzen wenig beeindruckt.
"Verzeihung", sagte ich nur; "Jetzt bin ich hier."
"Das ist mir auch aufgefallen, vielen Dank.", meinte Prinz Kiano sarkastisch und stützte sich mit den Händen auf den Tisch vor ihm, der zwischen uns stand.
"Wie geht es Dante? ... Ich meine, Prinz Dante?", erkundigte ich mich und rieb nervös meine Fingerknöchel, von denen manche noch geschwollen waren.
In den letzten zwei Tagen hatte ich meine Mutter und Dutzende weitere Menschen umgebracht, war selbst fast zu Tode gekommen und in letzter Sekunde von Madeline gerettet worden. Es gab kaum eine Stelle an meinem Körper, der unversehrt war.
Von meiner Seele ganz zu schweigen.
"Mein Bruder ist auf dem Weg zur Besserung.", teilte Kiano mir mit, ohne jegliche Emotionen zu zeigen; "Solange seine Genesung noch nicht vollzogen ist, habe ich den Oberbefehl über die Armee und somit auch über dieses Lager."
Ich atmete erleichtert auf, als ich von Dantes sich besserndem Zustand erfuhr. Trotz allem, was geschehen war, war mir der Flammenprinz wichtig und ich konnte nicht anders, als mir Sorgen zu machen.
Nach Drake und Gladion, diesen idiotischen Streithähnen, fragte ich vorsätzlich nicht. Die zwei, die sich am Abend zuvor geprügelt hatten, konnten von mir aus in der Hölle schmoren.
Auch wenn Drake mich nicht wie Gladion verraten hatte, hatte es dennoch wehgetan, ihn mit Jenna zu sehen. Es fühlte sich schrecklich an, so einfach ersetzt zu werden.
Jenna, die eingesperrte Wasserbändigerin, würde wohl bis in alle Ewigkeit darauf warten müssen, dass ich mit Neuigkeiten über Drakes Zustand zu ihr kam.
Ob ich sie außerdem aus der brutalen Gefangenschaft der Feuerfinger befreite, war mir nicht klar.
Allerdings - Versprochen war versprochen.
"Zudem habe ich beschlossen, eure kleine Spezialeinheit - oder was auch immer mein Bruder mit euch vorhatte - aufzulösen.", eröffnete Kiano mir und lehnte sich auf den Schreibtisch gestützt leicht vor; "Die gestrigen Geschehnisse haben mich zusätzlich darin bestärkt. Ich habe neue Pläne. Nichts gegen meinen kleinen Bruder, aber Dante ist kein ausgeklügelter Taktiker. Für den nahenden Krieg brauchen wir Erfahrung und strukturierte Pläne."
Ich war wenig überrascht.
Unsere kleine Einheit - Gladion, Drake, Madeline, Ace, damals noch Liliane und ich - war schon seit Lilianes Tod am Zerfallen gewesen.
Nun würden wir uns ganz sicher niemals wieder zusammenraufen können.
Vor allem nicht, da ich Gladion töten würde und er angeblich noch immer durch diese Prägung dazu bestimmt war, mich umzubringen.
"Gladion und Drake werden aufgrund der gestrigen Auseinandersetzung diszipliniert und danach wie auch Madeline und Ace an geeigneteren Posten in der Armee eingesetzt.", erläuterte Kiano mit seinem beängstigend berechnenden Blick; "Was dich betrifft - und dieses Geschwür in dir, diesen Schatten - du stellst ein Risiko dar. Doch ich habe dich aus gutem Grund zurückbringen lassen. Denn es gibt eine Aufgabe in diesem Krieg, die du am besten erfüllen kannst."
Kiano presste die schmalen Lippen zusammen und ich hatte das Gefühl, dass das Folgende schwere Kost für mich sein würde.
Ich wappnete mich innerlich für was auch immer kommen würde und als der Kronprinz mir schließlich erklärte, welche Funktion er für mich vorhergesehen hatte, schlang ich die Arme um den Oberkörper und versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
Es war wie ein Schlag in den Magen und der eindringliche dunkle Blick des Prinzen machte mir bewusst, wie real das alles war.
Ich musste zugeben: Dieser Feuerfinger war wirklich genial.
Genial und skrupellos.
"Und, erklärst du dich einverstanden?", fragte Kiano mit blitzenden Augen.
Es war meine Wahl.
Ich nahm einen tiefen Atemzug.
Ohne zu blinzeln erwiderte ich den Blick des Flammenprinzen.
"Einverstanden."

Als ich den kleinen Raum verließ, in dem ich soeben mein Schicksal besiegelt hatte, musste ich mich erst einmal an der Wand im Gang abstützen.
"Hey, Kate!"
Madeline tauchte neben mir auf und ein schiefes Grinsen klebte auf ihrem Gesicht. Ihre eisengrauen Augen glitten kurz an mir herab, bevor sie locker die Arme vor der Brust verschränkte.
Sofort richtete ich mich wieder auf.
"Rate mal, wer die neue Kommandantin der Lufteinheit ist!", grinste Madeline und der blaue Stein über ihrer Oberlippe glitzerte.
Es war ungewohnt, dass sie so vertraut und quasi freundschaftlich mit mir redete, doch es störte mich nicht, sondern zauberte nur ein winziges Lächeln auf mein verkrampftes Gesicht.
"Glückwunsch", brachte ich hervor und strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr.
Meine Gefühle sowie mein Aussehen waren ein einziges Chaos.
"Ja, Kiano hat alles, was Dante für den Krieg vorbereitet hat, umgeschmissen.", sagte die braunhaarige Drachenflüsterin; "Ich war gerade bei ihm und Dante ist nicht gerade erfreut, aber er kann ja auch nichts tun. Wie dem auch sei, ich muss jetzt irgendwie den Respekt all dieser erfahrenen Känpfer der Lufteinheit gewinnen. Die sehen mich immernoch bloß als das kleine Mädchen, das unter Dantes Fittiche steht."
Seufzend schüttelte Madeline den Kopf.
Ich dachte bei mir, dass es Madeline mit ihrer offensiven, selbstsicheren Art nicht schwerfallen würde, den Respekt anderer zu bekommen. Zudem war da noch ihr außergewöhnliches Talent im Umgang mit den Drachen.
"Bald ist wirklich Krieg. Ich kann es mir kaum vorstellen; ich meine, so richtige Schlachten.", fand ich und erschauderte.
Das Bild des zerstörten Lagers der Menschen und all der Toten, deren Blut ich vergossen hatte, tauchte in meinem Kopf auf, doch ich schob es mühsam beiseite.
"Ja und ob sich die Piraten einmischen ist auch noch ungeklärt.", ergänzte Madeline nachdenklich;" Die Allianz mit den Menschen ist ja zumindest geplatzt."
Ich nickte.
"Oh, weißt du schon, dass Kiano diese Wasserbändigerin, Jenna, laufen gelassen hat?", fragte Madeline; "Er hat sie mit einer Nachricht zurück zu ihren Leuten auf die Pirateninseln geschickt. Ich vermute, dass er Verhandlungen mit den Wasserbändigern erwägt. Ist das nicht unglaublich, nach allem, was zwischen Feuerbändigern und den Piraten vorgefallen ist?"
Ich schüttelte verblüfft den Kopf.
In diesem Krieg veränderte sich alles.
Bündnisse, Verrat, Intrigen - all das sponn Kiano fleißig wie eine alles kontrollierende Spinne.
Was entschied überhaupt noch dessen Vater, der König?
Ich dachte an die mir zugedachte Rolle im Krieg, an den Plan, den ich laut Kiano niemandem weitererzählen dürfte. Auch das konnte alles verändern.
Zumindest musste ich mein Versprechen nicht mehr einlösen und Jenna nicht mehr befreien, was es mir einfacher machte, mich auf das zu konzentrieren, was ich zu tun hatte.
"Hast du Lust, mit mir zu trainieren?", schlug Madeline dann vor und lächelte mich ungewohnt aufrichtig an.
Ich bejahte, konnte ein Schmunzeln aber nicht unterdrücken.
Es veränderte sich wirklich alles.


Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt