So gut der Tee auch schmeckte, den Hana mir angeboten hatte und von dem ich ehrlich gesagt nicht wissen wollte, woraus er bestand (braune Brühe mit Kraut und schleimigem Sonstwas drin), ich konnte nicht ewig bei der alten, ziemlich einsamen Frau verharren.
Ja, erst im weiteren Gespräch mit Hana wurde mir klar, wie einsam sie sein musste. Schon früher war sie eine Außenseiterin gewesen, am Rande unserer Stadt und halb verspottet von den verzogenen Kindern, und nun, da die Überlebenden des Brandes in Fost in die anderen großen Städte geflohen waren, war die große Einsamkeit gewährleistet.
Mich erdrückte dieses Gefühl der Verlassenheit, der Ungeschütztheit, schon nach ein paar Stunden, doch ich trank Hanas Tee und hörte mir an, was sie zu sagen hatte. Sie war eine unglaublich weise, aber auch noch scharfsinnige alte Frau.
"Ich werde hier über kurz oder lang sterben", erklärte Hana mit einer beachtlichen Gelassenheit; "Aber wenigstens wird mich niemand auf einen Haufen aberhunderter, blutüberströmter Kriegsleichen werfen. Das Ende vieler von sich überzeugter Helden."
Mir lief ein Schauder über den Rücken und ich schlürfte hastig die letzten Schlucke Tee aus. Fast verschluckte ich mich an dem zähen Getränk, aber ich fasste mich noch und bekam ein halbwegs freundliches Lächeln zustande.
"Danke für den Tee", sagte ich höflich; "Und vor allem für den Ratschlag mit dem Drachenblut. Ich werde mir alles zu Herzen nehmen, was du mir gesagt hast."
Mit diesen Worten erhob ich mich auf meine steifen Beine und streckte die müden Glieder.
Hana musterte mich mit einem undurchsichtigen Blick. Die Stockfrau blieb auf dem Steinboden sitzen und nickte leicht, wohl eher zu sich selbst als zu mir.
Dann nuschelte sie etwas in sich hinein, bevor sich ihre durchdringenden Augen wieder auf mich fixierten.
"Gute Reise, Kleine", meinte sie dann; "Ein Mädchen wie du braucht auf ihrem Weg alle guten Wünsche, die sie kriegen kann."
Da konnte ich ihr nur beipflichten.
Nachdem ich noch ein letztes Mal den Kopf vor der älterlichen Stockfrau neigte und ein letztes Mal ihre dünnen, umherhuschenden Finger besah, drehte ich ihr den Rücken zu und verließ ihr Heim aus Stein.
Dem Stand der Sonne und der Höhe der Temperatur nach zu schließen, stand die Welt inzwischen in den Nachmittagsstunden.
Ich richtete mich auf, sodass die Sonne in mein Gesicht strahlte und mein Haar hinten auf den Rücken fiel, und der Beutel mit der Kleidung und den Waffen hing an seinem angestammten Platz zwischen meinen Schulterblättern.
Mein Körper war zwar geschwächt von dem langen Marsch ins Menschenreich, jeder Muskel tat weh und ich hätte dringend eine Wäsche nötig gehabt, aber ich hatte einen Entschluss gefasst.
Ich würde zu den Feuerfingern zurückkehren. Nicht für Gladion oder Dante oder Drake, nein, für meine Seele. Denn die verlangte es nach Blut.
Drachenblut.Die Nacht lag wie Blei über den Wäldern. Ich konnte kaum etwas sehen und jedes Rascheln von Blättern, jeder Schrei einer Eule versetzte mich in höchste Alarmbereitschaft.
Mein langer Dolch lag vertraut in meiner schwitzigen Hand und das Herz klopfte mir bis zum Hals, während ich mir meinen Weg durch Gestrüpp, Steine, umgestürzte Bäume und Büsche bahnte.
Ein dünner Schweißfilm überzog meine gesamte Haut und ich fröstelte und schwitzte zugleich.
Eine schreckliche Anspannung lag auf meinem völlig überlasteten Körper und alles in mir schrie lautstark nach dem wohlverdienten Schlaf.
Nicht jetzt, ermahnte ich mich.
Nicht mehr lange, dann hätte ich das Trainingslager erreicht.
Oder?
War ich vielleicht auf dem völlig falschen Weg?
Schwer zu sagen in der stockdusteren Nacht.
Meine Willenskraft und pure Instinkte trieben mich voran, hielten mich auf den Beinen und ließen mich einen blasenübersäten Fuß vor den anderen setzen.
Dumm, schalt ich mich; Dumm, dumm, dumm.
Wie auf dem Präsentierteller fühlte ich mich, da konnte ich auch gleich herumbrüllen: Hier bin ich, tötet mich!
Kopfschüttend umklammerte ich den Dolch fester, meinen einzigen Schutz.
Unter meinen Füßen knackten tote Zweige und mein Atem klang in meinen Ohren übertrieben laut.
Dann hörte ich es.
Direkt hinter mir.
Vor Schreck erstarrte ich und hielt die Luft an, bevor mir bewusst wäre, dass Wegrennen eventuell die klügere Option darstellte.
Ich rannte los und auch hinter mir vernahm ich wilde Bewegungen.
Fauchen, Knurren, Zischen - Schatten!
Der Schattenprinz lachte in meinem Kopf und feuerte meine Verfolger an, derweil ich fast schon panisch durch den Wald preschte.
Oh bei allen Göttern, warum war ich nur so dumm gewesen?
Meine Beine würden jede Sekunde vor Erschöpfung unter mir wegknicken und auch das Aderenalin, das durch meine Adern jagte, würde mich nicht lange in diesem Tempo weitersprinten lassen.
Ich weigerte mich, einzusehen, dass ich so gut wie tot war.
Der Schattenprinz kreischte vor Begeisterung über das immer näherkommende Fauchen seiner Artgenossen in meinem Rücken.
"Halt die Schnauze!", japste ich zornentbrannt.
Früher oder später würde mich die Kraft verlassen und ich würde mich den Schatten stellen müssen. Im blutigen Kampf, in dem sie ihren Prinzen in mir entfesseln würden. Und ich, Kate Rowinth, würde verloren sein.
Weiter, immer weiter hastete ich zwischen den Bäumen hindurch, ungeachtet der an mir zerrenden Zweige und der Finsternis um mich herum.
Überall war die Dunkelheit, nur ich, ich war noch da und ein Funke in mir war noch nicht erloschen.
Nur du kannst dich retten, hörte ich Hanas Stimme in meinem Kopf und vor meinem geistigen Auge tauchte Liliane auf, sie, die für mich Stärke und Ruhe und Sicherheit symbolisierte.
Meine Beine flogen über den Waldboden, immer weiter und weiter, bis ich mich gar nicht mehr fühlte, als wäre ich in meinem Körper.
Es war mehr, als würde ich mir selbst bei der Flucht vor den Schatten zusehen.
Plötzlich jedoch lichtete sich der Wald wie durch ein Wunder.
Ich konnte das Mondlicht scheinen sehen und merkte, dass mich die Götter auf irgendeine Art doch zum Trainigsplatz geführt hatten.
Wie eine Verrückte stürzte ich mich auf das vertraute Terrain und konnte es kaum fassen.
Doch, tatsächlich, es war real. Der Mond leuchtete als blasse Scheibe auf mich herab wie ein Wink der Götter und ich hatte wirklich zurückgefunden.
Das Blut rauschte so sehr in meinen Ohren, dass ich die Schatten hinter mir gar nicht mehr hörte.
Und als dann meine Beine unter mir wegsackten, waren da zwei muskulöse Arme, die mich auffingen.
Blinzelnd sah ich hoch und schaute in ein vollkommen verdattertes Gesicht, das ebenso weiß wie der Mond über uns war.
Zwei grellblaue Augen schauten ungläubig auf mich hinab.
"Kate?"
Ich brauchte eine Sekunde, bis mir sein Name wieder in den Sinn kam.
Er drückte mich an seinen trainierten Körper und hob mich dann kurzerhand auf seine Arme.
"Gladion?", fragte ich kaum hörbar.
Ich zitterte am gesamten Körper.
"Lässt du mich bitte runter?"
Der Feuerfinger schnaubte nur und machte keine Anstalten, meiner Bitte nachzukommen.
"Wo sind die Schatten?", wollte ich atemlos wissen.
Gladions Griff um meinen Körper wurde fester und er runzelte die Stirn.
"Welche Schatten?", fragte er, während er mit mir in den Armen auf das Gebäude vor uns zuhielt.
Mein Kopf schwirrte.
"Lass mich runter!", verlangte ich nun mit mehr Nachdruck.
Noch immer keine Reaktion seinerseits.
Er würde mich doch nicht bis ins Bett tragen, oder doch?
Überhaupt, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach dieser Verfolgungsjagd Gladion direkt in die Arme lief? Und er die Schatten nicht bemerkte?
Nichts machte mehr Sinn in meinem Kopf, bis mein geschundener Körper auf den gefühlt weichesten Laken überhaupt abgelegt wurden.
Noch ein letzter Blick in diese eisblauen Augen, die so ungewohnt zärtlich auf mir ruhten, bevor ich mich der überwältigenden Erschöpfung hingab und mein verwirrter, überforderter Geist in weit entfernte Sphären abdriftete.
Aber natürlich fand ich noch nicht einmal dort Frieden.
Blut, Schatten und das Gesicht meines Bruders und Lilianes suchten mich heim und ich hatte da so meine Zweifel, ob diese jemals meine Traumwelten verlassen würden.
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Blazing - Feuriges Band
FantasyFeuer. Liebe. Schicksal. In einer Welt von Feuerbändigern, Schatten, Drachen und Geheimnissen versucht eine bis in die Seele gezeichnete Kämpferin, ihren Weg ins Licht zu finden. ~ Meine Lippen waren rissig, das Haar fettig und die Augen rot. Und w...