Kapitel 31

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Erst als ich mich auf den Rücken des grasgrünen Drachen, Haeos, geschwungen hatte und er seine überdurchschnittlich großen Flügel ausbreitete, ließ ich zu, dass mir die Erschöpfung in die Glieder sickerte.
Meine Arme sowie mein Kopf schmerzte, das nasse Blut an meinem gesamten Körper begann festzukleben und ich war mir nicht sicher, ob ich meine Beine noch spüren konnte.
Meine Gedanken kamen nicht zur Ruhe und kreisten wild in meinem pochenden Kopf herum.
Ich spürte einen schrecklichen Kloß im Hals, wenn ich an meinen Bruder dachte und daran, was die Schatten ihm wohlmöglich gerade antaten und die Stimme meiner Mutter in meinem Ohr verursachte, dass mir die Galle die Kehle hochkam.
Ich beugte mich zur Seite und übergab mich im Flug an Haeos' schuppigem Körper vorbei.
Zittrig wischte ich mir mit dem Handrücken den Mund ab.
Glücklicherweise achtete niemand der anderen auf mich, da sie alle mit dem schwer verletzten Dante beschäftigt waren.
Vor mir hatte Madeline ihre Arme um den blutüberströmten Oberkörper des Flammenprinzen geschlungen und hielt ihn so auf dem Rücken ihres rabenschwarzen Drachens.
Gladion hatte die Führung übernommen und Ace und Drake flankierten Dante von beiden Seiten; bereit, zur Rettung zu eilen, sollte der Prinz von seinem Reittier rutschen.
Müde stierte ich vor mich hin und umklammerte mit den entkräfteten, schwarz verschmierten Händen Haeos' festen Stachel hinter seinem großen Kopf.
In meinem Kopf hallte das Gebrüll der Schatten wider, die Kampfschreie und immer, immer wieder die Anklage meiner Mutter.
Sie hasste mich, mit abgrundtiefer Abscheu, daran hatte ihr Blick keinen Zweifel gelassen.
Seit Jahren hatten wir uns nicht gesehen, ich hatte meine halbe Lebenszeit ohne sie verbracht und nun, da ich mich ganz anders entwickelt hatte, als sie es sich vorgestellt hatte, verleugnete sie mich.
Natürlich war sie diejenige gewesen, die verschwunden war und Lucas und mich zurückgelassen hatte, doch es tat trotzdem unglaublich weh, von der eigenen Mutter verstoßen zu werden.
Und wenn Lucas tot war ...
Wenn er tot war, dann würde sie mir erst recht niemals verzeihen.
Die Flugdauer fühlte sich gleichzeitig wie wenige Minuten und eine quälende Ewigkeit an.
Als wir endlich unweit des Trainingslagers bei den Drachengruben landeten, machten sich zuerst einmal alle daran, Dante sicher auf den Boden zu befördern.
"Ich kann zum Lager laufen und einen Medicus holen.", bot Drake an.
Der Dreck und das Blut in seinem Gesicht ließen die dicken Narben fast unscheinbar wirken.
Gladion, der neben Dante kniete und leise auf den Prinzen einredete, hob das Kinn.
Sein strenger Blick schweifte über uns alle und in Kombination zu dem schwarz verklebten Haar gab er ein ganz schön furchteinflößendes Bild ab.
"Dann könnte es schon zu spät sein.", knurrte der blauäugige Feuerfinger.
Madeline, die an Dantes anderer Seite kniete, berührte sanft dessen schönes, jedoch alarmierend farbloses Gesicht.
"Hey", sagte sie zu dem verletzten Prinzen; "Nicht einschlafen, hörst du mich?"
Die Augenlider des Flammenprinzen flackerten und auf Madelines Gesicht zeichnete sich ein angespanntes Lächeln ab.
Sie griff nach seiner Hand und drückte sie.
Ace meldete sich zu Wort.
"Meine Großmutter ist mit der Heilkunde vertraut.", erklärte er auf seine typisch unsichere, nervöse Art; "Sie lebt im Wald, nicht weit von hier."
Mein Kopf schnellte nach oben und ich blickte den rothaarigen Jungen überrascht an.
"Ich weiß, wen du meinst.", sagte ich; "Ich bin ihr mal begegnet, vor ein paar Wochen. Sie hat mich für eine Nacht bei sich schlafen lassen."
Damals hatte mich die Frau vor meinem inneren Dämon gerettet, mir Grießbrei gemacht und erzählt, dass ihr Enkel ein Soldat war.
"Dann bringt sie her!", verlangte Gladion, deutlich angespannt.
Ace sprang mit großen Augen auf, tauschte einen Blick mit mir aus und huschte dann auf flinken Beinen davon.
Schweigen legte sich über uns; Madeline streichelte regelmäßig über Dantes Haar, Gladion überprüfte seine Atmung und Drake und ich saßen tatenlos daneben.
Hilflos mussten wir zusehen, wie Dantes Hautfarbe immer fahler wurde und sich langsam die Nacht über die Drachengruben senkte.
Der Flammenprinz atmete zwar weiterhin, doch die unausgesprochene Wahrheit hing in der Luft: Es war die Sache der Götter, wie lange das noch so blieb.
Und ich bezweifelte, dass die Götter der Menschen besonders viel für einen Feuerfinger übrig hatten.
Dann, endlich, näherten sich uns Schritte.
Mit klopfendem Herzen und an allen Stellen schmerzendem Körper drehte ich mich um und sah mich tatsächlich Ace und seiner Großmutter gegenüber.
Ihr kluger Blick lag auf mir und ein Mundwinkel hob sich wie zu einem halben Lächeln.
"Na, wir kennen uns doch, Mädchen.", schmunzelte sie.
"Es ist keine Zeit für sowas!", unterbrach Gladion die alte Frau ungehalten.
Sie nickte und kam dann näher, um sich an Dantes Seite niederzulassen.
Mit ihren alten, fleckigen Händen prüfte sie seinen Puls und seine Reaktionen.
Konzentriert kniff sie die Augen in ihrem von Falten durchzogenen Gesicht zusamnen,derweil ihre Finger geübt über Dantes Brust wanderten und sie schließlich sein Hemd aufriss und den Stoff beiseite schob, um die Haut und alle Verletzungen genau betrachten zu können.
Ace' Großmutter tastete den Feuerfprinzen zuerst ab, dann nahm sie eine lange Wunde, offenbar von den Krallen eines Schattens entstanden, in Augenschein.
Sie griff in die Tasche, die sie mitgenommen hatte und durchsuchte sie nach etwas, während sie beiläufig anordnete: "Ace, du assistierst mir. Ihr anderen, ich brauche Abstand und Ruhe. Es nutzt unserem Prinzen nichts, wenn ihr hier dicht gedrängt herumsteht."
Wir sahen uns an und ich zuckte die Achseln.
Drake ergriff die Chance und wandte sich mir zu.
"Wollen wir uns ein bisschen die Beine vertreten? Ich würde da gerne etwas mit dir bereden."
Ich fing einen kritischen Blick seitens Gladion auf, ignorierte den Feuerfinger jedoch und nickte Drake zu.
Gemeinsam setzten wir uns in Bewegung und überließen unseren verletzten Freund dem Wissen und der Erfahrung von Ace' Großmutter.
Ich glaubte daran, dass sie den Flammenprinzen retten konnte, irgendwie hatte ich Vertrauen in sie aufgrund dieser Stunden, die ich in ihrer Hütte verbracht hatte und durch unser Gespräch. Sie wusste, was sie tat.
Als Drake und ich uns weit genug von den anderen entfernt hatte, ergriff der grünäugige Feuerfinger das Wort.
"Unser letztes Gespräch lief ja nicht so toll.", meinte Drake, während wir locker nebeneinander hergingen.
Ein erschöpftes Lachen entwich meiner Kehle.
"Ja", stimmte ich ihm zu; "Seitdem ist vieles nicht ganz optimal verlaufen."
Er nickte.
"Ja, vor allem das Wiedersehen mit deinem Bruder und deiner Mutter ... Das muss heute echt hart für dich gewesen sein.", vermutete er.
Sein Verständnis war angenehm und ich war froh, seinen Vorschlag, ein Gespräch zu führen, nicht ausgeschlagen zu haben.
"Ja, es ist nicht einfach.", gab ich zu; "Aber hey, mir sind schon schlimmere Sachen passiert."
Drake schaute mich auf eine Art und Weise an, die mir klarmachte, dass er mir diese Unbeschwertheit nicht abnahm.
"Du bist stark.", fand er; "Wir alle sind stark, auch Prinz Dante - der wird es schaffen; ganz sicher."
Ich seufzte.
"Es tut mir leid", entschuldigte ich mich; "Wegen dem, was ich zu dir gesagt habe. Das war nicht richtig."
"Mir tut es auch leid", sagte Dante; "Ich war wütend, weil ich merke, dass da irgendwas ist zwischen dir und Gladion. Und, na ja, du weißt ja, was in der Vergangenheit alles zwischen ihm und mir schief gegangen ist. Größtenteils meine Schuld, muss ich leider sagen."
Er blieb stehen und auch ich verharrte, wo ich war.
Leicht drehte ich mich Drake zu, damit wir uns gegenüber standen und in die Augen sehen konnten.
"Da ist nichts zwischen Gladion und mir.", beteuerte ich Drake; "Er und Madeline haben etwas laufen. Auf mich ist er sauer, weil ich ... naja, mit dir geschlafen habe, obwohl ich eure Vorgeschichte kenne."
Vielleicht log ich mir da selbst etwas vor, doch ich wollte es so gerne glauben. Es wäre so schön, wenn ich nichts für Gladion empfand, und wenn ich es mir immer wieder sagte, würde es vielleicht irgendwann wahr werden.
Drakes leuchtend grüne Augen gruben sich tief in meine und ich lächelte unwillkürlich über das, was ich in seinem Blick fand.
Ja, er war ein Feuerfinger, doch er war noch mehr.
Ein ehrgeiziger junger Mann, der viel von dem bereute, was er in der Vergangenheit getan hatte und in dem dennoch so viel Wut, Stolz und Leidenschaft brannte.
Ich erinnerte mich an unsere gemeinsame Nacht, daran, wie er mich gehalten und geküsst hatte und hob meine Hand.
Sanft berührten meine Fingerkuppen Drakes Wange und ich strich sachte über eine seiner wulstigen Narben.
Die Spannung zwischen uns war mit Händen zu greifen, während meine Finger über seine Narben wanderten und ich seine Haut streichelte.
Er war faszinierend, fand ich und mein Blick begegnete seinem.
Seine grünen Augen glühten und ich glaubte, dass er etwas sagen wollte.
Plötzlich, vollkommen unerwartet, näherten sich uns Schritte und diese Blase, in der Drake und ich uns befanden hatten, zerplatzte brutal.
Gladion, ausgerechnet Gladion, unterbrach diese Szene, von der ich nicht genau wusste, was für eine Bedeutung ich ihr beimessen sollte.
Rasch ließ ich meine Hand sinken und sah dem hellblonden, ziemlich unerfreut aussehenden Feuerfinger entgegen.
Sein kantiger Kiefer war angespannt und sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er sich gerade im Geiste einen besonders grausamen Tod für Drake ausmalte.
Ich räusperte mich.
"Gladion?"
Undurchdringlich starrte er mich mit seinen eisblauen Augen an.
"Prinz Dante... Er ist stabilisiert, auch wenn er die ganze Zeit von Liliane redet.", teilte Gladion uns monoton mit; "Ace' Großmutter ist sich sicher, dass er durchkommen wird."
Ein unangenehmes Schweigen folgte seinen Worten, bis ich nach ein paar Sekunden die Schultern straffte und Drake zunickte.
"Dann gehen wir wohl ins Trainigslager zurück.", schlussfolgerte ich; "Schön, ich habe dringend eine Wäsche und eine gute Mütze Schlaf nötig."
Ohne noch einmal zurückzublicken, setzte ich mich in Bewegung.
Hinter mir hörte ich, wie die zwei Feuerfinger mir schnell folgten.
Ach, was sollte ich bloß mit den beiden anfangen?

Blazing - Feuriges BandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt