Normalerweise würde ich mich jetzt auf den Fahrersitz meines Wagens pflanzen, nur tragischerweise war dieser zur Zeit in der Werkstatt und wurde wieder instand gesetzt. Vor wenigen Tagen war mir nämlich ein ziemlich dämliches Malheur passiert. Auf dem Weg nach Hause hatte ich einen Briefkasten mitgenommen, welcher mir den rechten Außenspiegel abgerissen sowie den Lack zerkratzt hatte. Ich war außer mir vor Ärger gewesen, da ich das Auto gerade seit einem halben Jahr besaß und dafür mein gesamtes Erspartes auf den Kopf gehauen hatte. Zudem war es der Briefkasten meiner Lehrerin Mrs. Keller gewesen, welche wenig erfreut darüber gewesen war und mir prompt aufgetragen hatte ihr einen neuen Briefkasten zu zahlen. Zähneknirschend hatte ich es hinnehmen müssen.
Da ich also zur Zeit kein Auto besaß, musste ich wohl oder übel zu Fuß zu Conall laufen. Allerdings war das kein großes Problem da er nur eine Viertelstunde Fußmarsch von mir entfernt wohnte.
Ein eisiger Wind blies mir ins Gesicht, weshalb ich die Kapuze überzog und tief ins Gesicht zog.
Conall und ich waren schon beinahe ein Jahrzehnt befreundet. Er war damals, mit zehn, mit seinen Eltern und seinem jüngerem Bruder hierher gezogen. In ein altes Farmerhaus, etwas abseits der Stadt. Sein Vater hatte den Posten als Pfarrer angeboten bekommen, nachdem der alte Pastor verstorben war.
Da sie ursprünglich aus Irland kamen, war Conall zu anfangs enorm wegen seines Akzents aufgezogen worden. Er war ausgelacht, herumgeschubst und niedergemacht worden. Als ich das damals beobachtet hatte, hatte ich nicht anders gekonnt als dazwischen zu gehen und Conall zu verteidigen. Schließlich konnte er nichts für seinen Akzent – völlig davon abgesehen, dass ein Akzent kein Grund war jemanden zu hänseln. Er war kein Makel, sondern ein Teil seiner eigenen Persönlichkeit. Deswegen sollte man sich dafür auch nicht schämen, egal was die anderen sagten. Genau diese Worte hatte ich damals Conall gegenüber geäußert und augenblicklich war ein Lächeln auf seinem Gesicht erschienen. Er war dankbar für jedes Einzelne gewesen.
Nach diesem Ereignis haben wir uns dann angefreundet. Wir wurden Freunde, die durch dick und dünn gingen und niemand anders brauchten – und das hielt bis heute. Auch wenn er mich manchmal in den Wahnsinn trieb, weil er mich aus dem Schlaf klingelte.
Völlig in Gedanken versunken bemerkte ich erst jetzt, das ich die Hälfte des Weges bereits hinter mir hatte. Das kleine Waldstück hatte ich schon hinter mir gelassen. Stattdessen lief ich nun am Waldrand entlang, überbrückte die kleine Holzbrücke des Mountain River und bog um einen kleinen Hain.
Unweigerlich sprang mein Blick in die Ferne. Dorthin, wo sich die Silhouetten zweier Gestalten abbildeten – die eines Hundes und die eines Mädchens.
Interessiert stoppte ich und beobachtete wie das Mädchen einen Ball warf und der Hund hinterher rannte. Sobald er ihn hatte, machte er kehrt und raste zurück zu seinem Frauchen, welches er jedes Mal beinahe über den Haufen rannte.
Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht.
Erneut flog der Ball, doch statt hinterherzulaufen, drehte der Hund seinen Kopf in meine Richtung. Er achtete nicht mehr auf den fliegenden Tennisball, sondern rannte stattdessen auf direktem Weg zu mir.
Verblüfft sprangen meine Augenbrauen nach oben, als der Hund schwanzwedelnd vor mir stehen blieb und mich beschnüffelte. Lächelnd ging ich in die Knie, fuhr mit meinen Händen durch sein langes Fell und kraulte ihn hinter den Ohren.
»Du bist aber ein lieber Kerl«, sprach ich zu ihm und ließ meine Hände zu seinem Hals gleiten. Dabei stießen meine Finger klimpernd mit einem metallischen Gegenstand zusammen, der unter dem Fell bislang verdeckt gewesen war.
Ein Halsband mit einem Anhänger. Neugierig nahm ich diesen genauer unter die Lupe.
»Ruf meine Mom an, sie ist verloren ohne mich.«
Unweigerlich stahl sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht, gefolgt von einem leisen Grunzen. Der Humor gefiel mir.
Noch immer breit grinsend drehte ich die Marke herum und las die darin verzeichneten Ziffern. Eine Telefonnummer und...
»Buttons«
So musste der Schlawiner wohl heißen.
Hechelnd stieß er mich mit seiner Schnauze an und ließ meinen Blick damit wieder hinauf zu seinem Kopf wandern.
»Buttons!«, ertönte mit einem Mal eine wütende Stimme. Überrascht hob ich meinen Blick und begegnete unweigerlich dem Mädchen, dem dieser Hund gehören musste. Mit einem verärgerten Ausdruck auf dem Gesicht stampfte sie durch den Schnee auf uns zu.
»Du kannst doch nicht einfach so davonlaufen!« Sie kam bei uns an und beugte sich verärgert zu ihrem Hund hinunter. Mein Blick schweifte musternd über sie und saugte jedes kleine Detail in sich auf. Ich wusste nicht warum, doch ihre Haare zogen meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Sie waren hellbraun, eine Art haselnuss-Ton und schimmerten leicht golden in der Vormittagssonne. Ich legte meinen Kopf schräg und ließ meine Augen über den Rest ihres Körpers gleiten. Sie war nur wenige Zentimeter kleiner als ich, recht zierlich und trug eine Jeansjacke mit Teddybärfutter.
»Hey, ich bin Sullivan«, stellte ich mich vor und lächelte sie freundlich an. Doch statt ihren Kopf zu heben und mich anzugucken, ruhte ihr Blick auch weiterhin auf ihrem Hund. Sie griff nach seinem Halsband und hielt ihn daran fest.
»Schön«, entgegnete sie mürrisch. Bei ihrer Stimme sprangen meine Augenbrauen überrascht nach oben. Sie war relativ tief für die einer Frau, etwas rau und triefte beinahe vor Skepsis. Doch irgendwas daran ließ mich schmunzeln.
»Und du?«, hakte ich nach und versuchte ihren Blick einzufangen. Und endlich schaute sie hoch zu mir.
»Harper.«
Sofort hafteten sich meine Augen auf ihre und ließen binnen weniger Sekunden meine Hirnzellen dahin schwinden. Nahezu im gleichen Ton wie ihre Haare schimmerten sie mir entgegen. Sie strahlten und glitzerten im Schein der Sonne. Ich war völlig baff.
Doch ich schien sie einen Hauch zu lange anstarrt zu haben. Zumindest zog sie skeptisch ihre Augenbrauen zusammen und runzelte ihre Stirn. Der Glanz in ihren Augen verschwand und wich einem düsteren und trüben Schimmer.
»Freut mich«, meinte ich und streckte ihr freundlich meine Hand entgegen – in der Hoffnung das Glänzen in ihren Augen würde zurückkehren. Doch statt meine Hand zu ergreifen und meine Hoffnung zu erfüllen, warf sie nur einen abfälligen Blick darauf und richtete sich auf.
»Mhmhhh«, machte sie, ehe sie sich von mir abwandte und in die Richtung zurückkehrte, aus der sie gekommen war.
»Vielleicht sieht man sich ja mal wieder!«, rief ich ihr nach, während sie sich mit zügigen Schritten und ihrem Hund im Schlepptau von mir entfernte.
Sie würde ich so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommen...
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Greatest Pretenders
Teen Fiction* E I S H O C K E Y - R E I H E | B A N D 1 * »Weißt du eigentlich, dass ich dermaßen auf dich stehe, Harper? So dermaßen.« Während Harper Dewey ihrem Golden Retriever Rüden all ihre Geheimnisse verrät und aus Comicbüchern vorliest, ist Sullivan...