Su l l i v a n

4.9K 325 32
                                    

Vorsichtig lugte ich zu Harry hinüber, die neben mir saß und stumm in die Ferne starrte. Der Wagen stand am Straßenrand, während wir am Hang daneben saßen und uns anschwiegen. Zu unseren Füßen plätscherte der Fluss, die langen Grashalme bewegten sich langsam zum Wind und aus der Ferne war Vogelgezwitscher zu hören. Es hätte kaum idyllischer sein können, wenn sich mein Herz nicht so furchtbar schwer anfühlen würde.

Ich verfluchte mich für mein Verhalten und versuchte mir gleichzeitig einzureden, dass ich alles Recht dazu hatte sauer auf Harper zu sein. Sie hatte mich hängen lassen und war mir danach aus dem Weg gegangen. Ich durfte mich so verhalten – das war nur gerecht. Und doch fühlte mich schlechter denn je.

Betrübt blickte ich hinunter auf meine Hände, die friedlich ineinander ruhten, während sie sich eigentlich mit aller Kraft aneinander klammerten. Meine Beine waren aufgestellt und meine Unterarme lagen auf meinen Knien.

Ich räusperte mich. »Willst du mir davon erzählen?«

Mein Blick wanderte zu ihr, doch entgegen meiner Hoffnungen ließ sie ihren Blick starr in der Ferne verweilen. Sie regte sich nicht und ließ den Anschein in mir erwecken, dass sie meine Worte nicht gehört hatte.

»Harry?«

Sie schluckte und wandte ihren Blick auf ihre Schuhe, die im Schneidersitz verhakt vor ihr lagen.

Ich konnte spüren, wie es in ihr ratterte. Wie sie versuchte über ihren eigenen Schatten zu springen. Wie... wie sie mir versuchte zu vertrauen. Und als mir dieser Gedanke durch den Kopf raste, schossen mir beinah die Tränen in die Augen. Jemanden zu vertrauen, war das Schwerste auf der Welt. Man konnte es sagen, aber um es tatsächlich zu fühlen oder danach zu handeln war eine ganz andere Sache. Wenn man vertraute, konnte man nicht lügen. Man musste ehrlich sein. Nicht nur zu seinem Gegenüber, sondern vor allem zu sich selbst.

»Ich hab gelogen...« Ihre Stimme war nur der Hauch eines Tons. So zaghaft, leise und voller Wehmut, dass es mir für wenige Sekunden die Luft abschnürte. Ihre Stimme vibrierte und war für jeden Moment bereit zu brechen. »Ich hab gelogen, als ich gesagt hab, ich könnte nicht Schlittschuh fahren.«

Irritiert runzelte ich die Stirn.

»Eigentlich kann ich es sogar ziemlich gut.« Sie gab ein undefinierbares Grunzen von sich, das furchtbar traurig klang. Ihr Blick schwang wieder in die Ferne, während sie mit ihrem Zeigefinger die Falten am Knie ihrer Jeans nachzuzeichnen begann.

Bei mir taten sich gefühlt tausend Fragezeichen im Kopf auf. Wenn sie es eigentlich konnte, warum hatte sie gesagt sie könnte es nicht? Warum hatte sie zugesagt, als ich vorgeschlagen hatte es ihr beizubringen?

Ein unangenehmes Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Das Gefühl des Belogenwerdens. So fühlte es sich also an, wenn man bewusst vom jemanden im Dunkeln gelassen wird. Wenn man dort herumtapste, obwohl der andere die Wahrheit wusste.

Ihr entfuhr ein tiefer Atemzug. »Ich hab früher Eishockey gespielt.« Sie drehte ihren Kopf zu mir und blickte mir mitten in die Augen. »Und ich habe es geliebt, genauso wie du.«

Es war dämlich, das wusste ich, aber in dem Moment – hier und jetzt – verfiel ich ihr mit allem, was ich zu bieten hatte. In meinem Bauch tobten die Schmetterlinge, in meinem Kopf waberten die Wolken und für einen kurzen Moment vergaß ich, warum wir hier saßen. Warum sie mir das erzählte und warum sie dabei absolut nicht glücklich aussah.

Sie drehte ihren Kopf wieder weg und blickte zurück in die Ferne.

»Mit drei Jahren stand ich das erste Mal auf dem Eis.« Sie schluckte, bevor sie ihre Augen schloss, das Kinn ein Stück in die Höhe reckte und zu lächeln begann. »Mein Dad hat es mir gezeigt und ich konnte von der ersten Sekunde an nicht genug kriegen.«

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt