H a r p e r

3.9K 286 12
                                    

Es war Wahnsinn, wie stark man von einer noch so winzig kleinen Sache abgelenkt werden konnte. Wie schnell sich die eigenen Gedanken im Kopf drehen konnten, wie es sich anfühlen konnte als wäre man nicht mehr Bestandteil der Welt, als würde man selbst auf Pause drücken, aber alle anderen zogen weiter.

Selbst jetzt, wo ich mit Sully im Auto saß, er mich nach Hause brachte und mir irgendeine lustige Geschichte von seinen Teamkollegen erzählen wollte.

Er lachte, doch ich konnte mir nicht mehr als aufgesetztes Grinsen abringen. Seit Tagen konnte ich nur an das Spiel am Samstag denken und je mehr ich darüber nachdachte, desto größer wurde die Panik in mir. Die Erinnerungen an das letzte Mal, wo ich die Eishalle betreten hatte, schwebten genau vor meinem inneren Auge und spielten sich immer und immer wieder ab. Unermüdlich, bis ich vor lauter Erschöpfung kaum noch konnte.

»Wegen morgen«, schnitt Sully das Thema prompt an. Zögerlich blickte ich zu ihm hinüber und zog fragend meine Augenbrauen nach oben. »Ich würde gerne schon früher da sein, um den anderen noch ein bisschen Beistand zu leisten... ich weiß nicht, ob du dann... also, ob du dann mit willst oder nachkommen willst?«

Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und biss sich dabei auf die Unterlippe.

»Ich komm nach«, erwiderte ich, wobei meine Stimme einem fürchterlichen Krächzen ähnelte. Er schien es jedoch entweder nicht zu merken oder nicht drauf eingehen zu wollen. Denn er nickte nur und schenkte mir ein kurzes Lächeln.

Ich blickte hinunter auf meine im Schoß verschränkten Hände und ehe ich es überhaupt bemerkt hatte, hielten wir schon vor meinem Haus.

Der Tag der Wahrheit war gekommen. Viel zu schnell und dabei furchtbar langsam ging die Sonne auf, wanderte über den Horizont und ließ die Stunden wie Jahre wirken. Sie rasten und ließen dabei jede Sekunde unermüdlich wirken. Jeder Moment war eine Qual, das Warten die reinste Tortur.

Kurz vor zwei setzte ich mich in Dads Wagen, startete den Motor und rollte den Feldweg entlang. Eine Stunde noch, dann würde das Spiel beginnen. Spätestens in einer Stunde würde Sully merken, dass ich nicht da war.

Es war absurd, dass ich mich auf den Weg machte, um meiner Zusage zu folgen, und dabei eigentlich genau wusste, dass ich keinen Fuß in die Eishalle setzen würde. Ich würde davor stehen wie ein Eisklotz und von der blanken Furcht geplagt sein.

Aber ohne einen Versuch wollte ich das Feld nicht überlassen. Wenigstens einer, wenn auch ein ziemlich trostloser.

Ich atmete tief durch und klammerte meine Finger noch enger um das lederne Lenkrad.

Seit fast einer Woche spielte sich dieses Szenario nun schon in meinem Kopf ab. Auf Dauerschleife und mit den unterschiedlichsten Ausgängen. Die Tatsache, dass es auch gut verlaufen könnte, schien utopisch und in unerreichbaren Dimensionen.

Allein wenn ich daran dachte, was das letzte Mal in der Halle passiert war, schoss mir die Galle wieder hoch und mein Magen begann zu rumoren. Ich hätte ohne Probleme die Kloschüssel umarmen können.

Doch stattdessen versuchte ich gegen den dicken Pfropfen in meinem Hals anzukämpfen, versuchte ihn hinunterzuwürgen und trieb mir damit nur die Tränen in die Augen.

Würde ich jetzt den Mund aufmachen, würde kein Ton herauskommen.

Ich blinzelte ein paar Mal, doch das Brennen blieb. Es kämpfte sich einen Weg in meinen Brustkorb, befiel meine Lungenflügel und machte jeden Atemzug um ein Zehnfaches schwerer.

Die Nacht über hatte mich wieder ein Albtraum nach dem nächsten heimgesucht. Immer und immer wieder war ich voller Panik aus dem Schlaf hochgeschreckt, nur damit mir wenige Sekunden später die Augen wieder vor lauter Erschöpfung zufielen und mich der nächste Albtraum plagte. Ich fühlte mich als hätte ich gar nicht geschlafen.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt