H a r p e r

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Noch Stunden später saßen wir in dem Waffelhaus und unterhielten uns wohl so ungezwungen wie noch nie. Sully erzählte mir mehr von seiner Großtante Eddie und wie Thomas und er sich früher immer heimlich gegen sie verschworen hatten. Seine leuchtenden Augen und die Freude in ihm steckte mich an. Sie sprang auf mich über und so dauerte es nicht lange bis ich jedem seiner Worte voller Euphorie lauschte.

»An meinem siebten Geburtstag hat Eddie sich ein halbes Bein ausgerissen. Sie hat den ganzen Garten geschmückt mit Luftballons, Girlanden und Lichterketten. Sie hat Stunden in der Küche gestanden, um mir meinen Kuchen zu backen, hat ihn wie ein Kunstwerk behandelt. Er war mit Abstand der Beste und Leckerste, den sie bis heute gebacken hat. Der Nachbarshund schien das aber irgendwie auch zu finden...«

Er versuchte ein Grinsen zu unterdrücken und ich ahnte schon wohin das Ganze führen würde.

»Wie aus dem Nichts ist er gekommen, einfach so über den Zaun und hat sich über den Kuchen auf dem Tisch hergemacht. Als Eddie das gesehen hat, ist sie geradezu ausgerastet. Sie hat den armen Hund durch den halben Garten gejagt, ihn lautstark verflucht und dabei die ganze Zeit mit ihrem Geschirrtuch gewedelt.« Er gluckste und auch mir entfuhr ein leises Kichern.

»Tatsächlich sind wir an dem Tag noch hierher ins Waffelhaus gefahren.«

»Du kommst ziemlich oft hierher, oder?«, meinte ich und nahm einen Schluck aus meiner Tasse. Zu den Waffeln hatten wir jeweils noch eine Tasse Kakao bekommen.

»Ohja«, lachte Sully und strich sich seine Haare aus der Stirn. »Und weißt du was ich dabei am meisten gelernt habe?«

Irritiert und zugleich neugierig wartete ich darauf, dass er weitersprach.

»Wie man durch Waffeln zu praktisch jedem Tier werden kann.«

Was?Ungläubig runzelte ich meine Stirn.

Er grinste nur, hielt seinen Zeigefinger hoch und deutete mir an abzuwarten. Er halbierte seine Waffel, schnitt aus den Teilen jeweils zwei Halbkreise heraus und hielt sie sich an den Kopf.

»Siehst du?« Er gab fiepende Geräusche von sich, wackelte mit der Nase und blickte hektisch umher. Ich konnte nichts weiter tun als ihn sprachlos anzustarren.

»Oder warte.«

Er ließ die Halbkreise zurück auf seinen Teller sinken und griff zur nächsten Waffel. Von ihr schnitt er zwei lange Stiele ab und stopfte sie sich hinter seine Oberlippe.

Ich verschluckte mich bei dem Anblick beinah an meinem Kakao und musste mir die Hand vor den Mund halten, um nicht alles wieder auszuspucken.

»Erkennst du's?«, nuschelte Sully, wobei die Waffelstücke beachtlich wackelte. Mir entfuhr ein Grunzen.

»Ich bin ein Walross.« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, brach eins der Waffelstücke ab und fiel mit einem leisen ›Plopp‹ zurück auf seinen Teller.

Ich konnte nicht länger an mich halten und brach in schallendes Gelächter aus. Mein Kopf flog in den Nacken, meine Augen presste ich zusammen und aus meiner Kehle kam lautstarkes Gelächter.

Als es wieder verebbte, blickte ich zu Sully und musste feststellen, dass sein Blick bereits auf mir lag. Seine braun-grünen Augen, das schimmernde Funkeln und das leicht schwummrige Gefühl, das sich in meinem Magen breit zu machen begann. Es ließ die Gedanken in meinem Kopf drehen und mich für einen kurzen Moment alles vergessen. Mein Hirn war leer, während sich Sullys Blick in mich zu bohren begann.

Meine Lungen schienen das Atmen verlernt zu haben.

»Mrhh«, räusperte sich Sully und ließ seinen Blick kurz abwandern, bevor er wieder zu mir schaute. Ich lächelte und klammerte meine Finger wieder um die Tasse vor mir. Meine Augen lagen dabei auf der braunen Kakaomasse, aus der kleine Dampfschwaden aufstiegen.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt