Greatest Pretenders

H a r p e r

Es war verrückt, wie unfassbar wir uns manchmal wünschten bestimmte Momente einfach zu vergessen. Sie aus unserem Gedächtnis für immer zu löschen, sodass sie nie wiederkamen. Doch wenn wir dann Jahre später auf diese Augenblicke zurückschauten, wurde uns erst bewusst, wie sehr das damalige Geschehen uns geprägt hat. Uns wurde bewusst, dass wir uns ohne diesen Moment heute anders verhalten würden. Und letztendlich waren wir dann froh, ihn nicht aus unserem Gedächtnis gelöscht zu haben.

Mir entfuhr ein leises Seufzen, während ich meinen rechten Arm beugte und ihn unter meinen Hinterkopf legte.

Ich lag nun schon seit über einer Stunde wach in meinem Bett und grübelte darüber in welcher Hinsicht die gestrigen Geschehnisse zu solch einem prägenden Moment werden könnten. Ich wollte sicher gehen, dass er keine wichtige Lektion beinhaltete, bevor ich den Augenblick verfluchte und verdrängte. Aber wie lange ich mir auch den Kopf darüber zermaterte, mir wollte kein triftiger Grund einfallen. Ich fand keinen Sinn darin, um Buttons Leben zu fürchten.

Und mit einem spürte ich einen kleinen Stups in meine Seite. Lächeln wandte ich meinen Blick zur Seite und konnte prompt Butttons Konturen in der Dunkelheit ausmachen. Seit Gestern war er mir nicht einen Schritt von der Seite gewichen. Er klebte an mir und hatte sich auch beim Einschlafen enger an mich gedrückt als sonst. Ich wollte gar nicht wissen wie er die Geschehnisse verarbeitete. Für ihn musste es ein richtiges Trauma sein.

Lächelnd strich ich ihm über den Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren.

Wieder warf ich einen Blick auf den beleuchteten Wecker und stieß kurz darauf ein frustriertes Stöhnen aus. Es war gerade einmal halb fünf. In der Früh. Und ich konnte partout nicht einschlafen. Ich hatte immer und immer wieder nur die Bilder von gestern vor Augen und dieses beklemmende Gefühl, das meinen gesamten Körper still gelegt hatte.

Ich schüttelte entschlossen den Kopf und richtete mich auf. Ich wollte nicht länger an gestern denken. Ich wollte die Gedanken verbannen und da gab es nur ein Mittel.

Ich schwang meine Beine aus dem, zog mir meine Sportsachen an und band mir meine Haare zu einem Zopf zusammen. Dann zerrte ich Buttons an seinem Halsband aus dem Bett und lief mit ihm nach unten. Bei der Uhrzeit nahm ich ihn lieber mit. Kaum hatte ich meine Laufschuhe an den Füßen, verließ ich das Haus und lief los. Wohl bemerkt mit einem großen Bogen um den See, was Buttons offensichtlich ganz recht war.

Ich bog nach links, überquerte die kleine Brücke des Mountain Rivers und lief am Waldrand entlang. Und im nächsten Moment schoss ein Gedanke durch meinen Kopf, der meine Füße augenblicklich in den Boden rammte. Die Geschehnisse gestern hatteneinen Sinn. Sie... Sie hatten dafür gesorgt, dass ich Sully umarmt hatte. Dass ich–

Ich stockte. Es war das erste Mal gewesen. Zuvor hatte ich nie einen Jungen umarmt. Ich hatte noch nie die Initiative ergriffen und das jagte mir irgendwie Angst ein. Denn auch wenn ich wusste, dass es gut war neue Erfahrungen zu sammeln, breitete sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. Mit ziemlicher Sicherheit klang es dumm so viel in eine Umarmung hinein zu interpretieren, doch ich wusste, dass ich dadurch den ersten Schritt in eine Richtung gegangen war, die ich mehr als alles andere fürchtete. Nicht weil ich es nicht wollte, sondern weil ich nicht glaubte, dass ich mich besonders klug dabei anstellen würde.

Ich wusste, dass es früher oder später so weit sein würde, dass ich einen Jungen küssen, dass mit ihm schlafen würde. Um ehrlich sein, freute ich mich darauf auch. Eigentlich konnte ich es gar nicht erwarten all diese Dinge zu erleben. Aber so sehr ich mir diese Dinge auch wünschte, so sehr fürchtete ich sie auch. Wenn ich mich bei anderen in meinem Alter umschaute, war ich mit meinen achtzehn Jahren eigentlich schon ein wenig drüber für den ersten Sex. Und wenn es so gut wie jeder schon einmal getan hatte, dann rechnete auch kaum einer damit, dass jemand in dieser Richtung noch keine Erfahrung hatte.