H a r p e r

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Der Grad zwischen Enttäuschung und Wut ist so gering, dass wir ihn manchmal vergessen.

Ich war enttäuscht von Sully und hatte wütend reagiert. Mit meinen Worten hatte ich ihm absichtlich vor den Kopf gestoßen und war dann einfach gegangen. Dabei hätte ich einfach mit ihm reden müssen, vernünftig und ruhig.

Mir entfuhr ein Seufzen.

»Dad!«, rief ich quer durchs Haus und bekam postwendend vom oberen Geschoss eine Antwort.

»Ja, Beanie?« Er trat aus dem Schlafzimmer, stopfte sich noch sein Hemd in die Hose und blieb am Treppenabsatz stehen. Ich lächelte.

»Ich bin weg.«

Er nickte und rief ein Pass-auf-dich-auf, bevor ich mir meinen Rucksack schnappte und mir auf den Rücken zog. Ich drückte Buttons noch einen Kuss auf den Kopf, streichelte ihm kurz durch sein Fell und gab ihm einen Klaps auf den Hintern, damit er sich von der Tür wegbewegte. Er drehte sich um die eigene Achse und ich schlüpfte durch die Haustür nach draußen, ehe er sich durch den Türspalt quetschen konnte.

Ein Motorengeräusch drang an meine Ohren. Überrascht drehte ich mich um und erkannte Sullys Wagen, der vor der Veranda hielt. Ich presste die Lippen zusammen und zog die Tür fest hinter mir zu, bevor ich auf ihn zulief. Er kurbelte das Fenster herunter und lehnte sich ein Stück heraus.

»Hey«, begrüßte er mich und lächelte mich zögerlich an. Ich erwiderte es nicht.

»Kann ich dich zur Schule fahren? Ich möchte mit dir reden.«

Ich zögerte. Dabei wusste ich genau, dass ich Sullys Bitte nicht abschlagen konnte. Wenn er reden wollte, hatte ich kein Problem damit. Die Frage war nur, ob er das sagen würde, was ich auch gerne von ihm hören wollte.

Bevor ich begriff was ich tat, nickte ich bereits und lief um den Wagen herum, um auf der Beifahrerseite einzusteigen. Sully öffnete die Tür und hielt sie von innen auf bis ich sie selbst zu greifen bekam. Ich zog sie hinter mir zu und Sully fuhr los.

»Also?«, brach ich das Schweigen und sah zu Sully, als wir nach rechts abbogen und den Feldweg verließen.

»Es tut mir leid, Harper.« Er blickte mich an und ich vergaß sofort, warum ich sauer auf ihn gewesen war. In seinem Blick lag etwas Flehendes, etwas Kleines und stark Verletztes. Es ließ mich schlucken.

»Es war nicht okay, dass ich dich angefahren habe und deine Angst vor dem Eis runtergespielt habe. Ich kann nicht gut damit umgehen, wenn mich jemand...« Er seufzte. »Wenn mich jemand auf meine Eltern anspricht. Ich seh dann immer rot.«

Ich ließ meinen Kopf gegen die Rückenlehne fallen. Mein Blick lag unverändert auf Sully und saugte jedes Detail von ihm in sich auf. Er fuhr sich durch seine zerzausten Haare, stieß einen Seufzer aus und kratzte sich im Nacken. Es war beinah in der Luft zu schmecken, wie verzweifelt er war. Wie sehr er sich selbst hasste für das, was er mir nicht sagen konnte.

Der Anblick brach mir beinah das Herz.

»Ich hab dir gesagt, ich müsste das erst mit mir alleine klären, bevor ich dir davon erzählen kann, aber... ich kann es nicht. Ich komm nicht damit klar und ich weiß auch nicht wie ich das schaffe. Ich hatte es mir vorgenommen mich damit auseinander zu setzen, aber getan hab ich es nie. Irgendwas kam immer dazwischen. Das Eishockey, dann du, der Unfall, unser Date... Ich war mit den Gedanken immer woanders, immer abgelenkt. Oder besser, ich hab mir die Ablenkung gesucht.«

Er warf mir einen flüchtigen Blick zu.

»Ich krieg das nicht alleine hin, ich muss darüber sprechen. Auch wenn ihr mich danach vielleicht nicht mehr so seht wie jetzt.«

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt