H a r p e r

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Früher hatte ich mich immer gefragt, ob nicht irgendwas mit mir falsch war. Denn im Gegensatz zu allen anderen hatte ich nie besondere Lust gehabt meine Zeit mit Freunden zu verbringen. Im Gegenteil. Es hatte sich immer ein unwohles Gefühl in meinem Magen ausgebreitet, wenn sie mich gefragt hatten. Ein Gefühl der Abneigung, das nie wirklich verschwand. Ich war ständig in der Versuchung gewesen einfach abzulehnen, aber... ich wollte sie auch nicht enttäuschen. Ich wollte nicht, dass meine Freunde sich von mir abwandten, denn ganz alleine zu sein war dann auch wieder komisch. Außerdem hätte sich mein Dad dann fürchterliche Sorgen gemacht, weil ich meine Zeit nur alleine verbrachte, und das wollte ich um jeden Preis verhindern.

Demnach überwand ich mich jedes Mal aufs Neue und sagte den Treffen zu. Aber egal wie viel Spaß es mit ihnen auch machte, am Ende war ich immer froh, dass es vorbei. Dass ich nun wieder Ruhe hatte und ohne jemand anderes sein konnte.

Irgendwann war ich es dann leid mich diesem Gefühl auszusetzen. Ich habe Ausreden erfunden, meine Freunde angelogen warum ich keine Zeit hätte und dann war eben der Kontakt abgeflacht. So weit bis mich letztendlich keiner mehr fragte, ob wir uns treffen könnte. Keiner, der mich in der Schule ansprach, und auch keiner, der mir schrieb.

Vielleicht mochten es nicht viele verstehen, doch für mich war das ein Segen. Ich war nun endlich nicht mehr dazu verpflichtet eine Freundschaft aufrecht zu erhalten, mit Leuten zu reden, mich mit ihnen zu treffen. Ich konnte meine Zeit so gestalten wie ich wollte und war dabei an niemanden gebunden. Für mich fühlte es sich einfach gut an.

Auch wenn sich darin bis heute nichts geändert hatte und ich meine Zeit am liebsten ohne jemanden verbrachte, spürte ich einen Hauch von Enttäuschung in mir aufsteigen, als ich von Sullivan auch am Ende der Mittagspause noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Eigentlich hätte ich schon nach Hause gehen können, da für mich die letzten beiden Unterrichtsstunden entfielen, aber ich war geblieben. Irgendwie in der Hoffnung Sullivan zu Gesicht zu bekommen. Es war absurd. Das wusste ich gut genug. Schließlich war ich es, die ihm die letzten Tage völlig aus dem Weg gegangen war. Ich hatte ihn gemieden, ihn ignoriert und war sogar vor ihm davongelaufen.

Doch jetzt wo wir letztes Wochenende gemeinsam im Kino gesessen hatten, wurde mir langsam bewusst wie dämlich das gewesen war. Schließlich hatte ich keinen triftigen Grund, um ihm aus dem Weg zu gehen. Er war stets freundlich gewesen, hatte mich nie bedrängt, sondern sich nur zu mir gesellt und geredet. Er hatte nichts Falsches getan und doch hatte ich ihm das Gefühl gegeben als hätte er.

Ich war so unglaublich dämlich gewesen.

Ich sah mich ein letztes Mal nach ihm um, bevor ich mich von meinem Platz erhob, mir meine Tasche schnappte und die Mensa verließ.

Ich hatte ihn nur gemieden, weil ich mir in all dem so unglaublich unsicher war. Angefangen bei einer simplen Freundschaft. Ich war grauenhaft darin Freundschaften zu pflegen, selbst wenn ich daran interessiert war sie aufrecht zu erhalten. Ich war in diesen Dingen einfach so unfassbar ungeübt, dass sie mir eine unbändige Angst einjagten.

»Hey, Harper.«

Verdattert blieb ich stehen und sah mich um. Doch als ich sah wer mich angesprochen hatte, wünschte ich mir mich einfach in Luft auflösen zu können.

»Hey«, entgegnete ich und blickte dabei in Lavinias ozeanblaue Augen. So wenig ich es leiden konnte wie sie sich immer in alles und jeden einmischte, ihre Augen waren beneidenswert.

»Dich habe ich ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wo hast du dich rumgetrieben?«

Ich startete gar nicht erst den Versuch ihr zu antworten, da ich bereits wusste, dass sie mich nicht zu Wort kommen lassen würde. Sie plapperte einfach munter weiter.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt