S u l l i v a n

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Wenige Minuten später betraten wir die Eishalle, wo der Couch bereits ungeduldig auf mich wartete. Schweigend ließ ich es über mich ergehen, dass er mich zusammenstauchte. Es war nicht das erste Mal. Um genau zu sein war es eine Art Routine, die mich nahezu jedes Mal erwartete, wenn ich die Halle betrat. Denn Pünktlichkeit war definitiv keine meiner Stärken.

Demnach war es auch kein Wunder, dass ich weniger als zehn Minuten benötigte, ehe ich dem Couch in voller Montur wieder gegenüberstand und bereit zum Spielen war. Denn wenn ich eins durch meine Unpünktlichkeit gelernt hatte, dann war es das schnelle Überwerfen der kompletten Eishockey-Montur.

Der Couch hob nur unbeeindruckt eine seiner Augenbraue, ehe er die übrigen Kameraden vom Eis pfiff und uns sein heutiges Vorhaben erklärte. Dass seine Sätze mal wieder vor vulgären Begriffen überquollen, ließ mich schmunzeln.

»Und an die Arschgeigen, die es noch nicht verstanden haben: Die Saison hat begonnen! Also, reißt euch mal euren Hintern auf und spielt nicht wie Pussis, die Angst vor dem Puck haben!«

Er klatschte in die Hände und deutete uns an aufs Eis zu verschwinden.

»Ich will bessere Spielergebnisse sehen, als beim letzten Mal!«

Augenverdrehend folgte ich dem Rest des Teams und setzte meine Schlittschuhe auf die Eisbahn ab. Sofort glitten sie über das Eis und brachten mich an meine Spielposition.

»Na, Sully? Hast du dein Frauchen wieder mitgebracht?«, vernahm ich Chesters feixenden Tonfall, dicht gefolgt von seinem schmutzigen Lachen.

Mein Blick sprang zu Conall, welcher inzwischen die Tribüne erklommen und einen der Sitze eingenommen hatte.

Ich schüttelte nur Kopf und konzentrierte mich lieber auf den Puck, welcher nun mithilfe des Bullys ins Spiel kam und hinüber zu Maxwell geschossen wurde. Chesters Team war im Puckbesitz.

Und sofort schoss ich los. Ich flog über das Eis, schlängelte mich an den anderen vorbei und gelang binnen weniger Sekunden an den Puck. Ein Stechen ging durch meine rechtes Bein und zog sich entlang der Innenseiten meines Oberschenkels. Ein weiterer Nachteil meines Zuspätkommens: Ich war nicht aufgewärmt. Ich riss jeden meiner Muskel abrupt aus dem Schlaf und konnte lediglich hoffen, dass ich mir keine ernsthafte Verletzung zuzog.

Ich schoss an Chester vorbei, schnitt ihm den Weg ab und sorgte absichtlich dafür, dass er sich der Länge nach hinlegte. Innerlich breitete sich ein hämisches Grinsen auf meinem Gesicht aus. Wer mich aufzog, bekam seine gerechte Strafe zurück.

Doch kaum hatte ich die blaue Linie überschritten tauchte mit einem Mal wie aus dem Nichts Chesters Teamkollege vor mir auf und versperrte mir jeglichen Weg. Ich reagierte schnell und schoss den Puck hinüber zu Lionel, welcher ihn abfing und zu mir zurückspielte, sobald ich mich frei gekämpft hatte.

Mein Kopf sprang hoch zum Tor. Dann wieder zurück auf den Puck vor mir. Tor. Puck. Tor! Puck! Und ich holte aus, traf den Puck und pfefferte ihn in aller Manier zwischen den Beinen des Torhüters hindurch.

Jubelnd streckte ich die Arme in die Höhe und warf Chester einen süffisantes Lächeln zu.

Ha! Das hatte er davon!

Meine gute Laune ging jedoch in dem Gebrüll des Couch unter.

»Roalstad! Das Tor hätte selbst meine sechsjährige Nichte hinbekommen!«

Irritiert wandte ich meinen Kopf in Richtung von Coach Norris.

»Kein Grund solch ein Theater zu veranstalten!«

Meine Arme sanken hinunter an meinen Körper. Auf meinem Gesicht breitete sich währenddessen ein amüsiertes Grinsen. Ich würde nur zu gerne sehen, wie sich seine Nichte zwischen den Riesen entlang kämpfte und das Tor schoss. Vermutlich würde sie einfach zwischen den Beinen hindurchfahren. Die Vorstellung entlockte mir ein unübersehbares Grinsen, das mir sofort eine Abmahnung vom Couch einhandelte.

Keine Minute später waren wir schon wieder mitten ins Spiel verwickelt und jagte dem Puck hinterher. Nach einer halben Stunde unterbrach Coach Norris unser ›Herumgekurve‹ – wie er es nannte – und setzte gezielt bei unseren Problemzonen an. Er übte mit uns die Verteidigung und ging mit uns in allen Einzelschritten die Strategie durch.

Nach zwei weiteren Stunden wurden wir dann endlich erlöst und durften zurück in die Umkleide kehren. Um ehrlich zu sein, ich war unglaublich froh, dass diese Tortur nun endlich ihr Ende gefunden hatte. Mir schmerzte der ganze Körper und vor allem meine rechte Seite würde spätestens morgen früh von Blutergüssen übersät sein. Denn Chester hatte mich nicht nur einmal mit voller Wucht gegen die Band gedrückt. Selbstverständlich hatte ich gegen diesen Kollos an Eishockeyspieler keine Chance. Er besaß diese typische Statur. Breite Schultern, muskulöse Arme und knapp einsneunzig Stockmaß. Eine Höhe, die ich selbst auf Zehenspitzen nicht erreichte.

»Gut gespielt, Sully.«

Chester reichte mir die Hand und schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln. So gerne er mich auch aufzog, er war trotz alledem ein verdammt guter Captain. Er traf stets faire Entscheidung und schaffte es das Team selbst nach einer miserablen Niederlage wieder aufzubauen. Zudem kannte er die Schwächen und Stärken jedes Einzelnen von uns und beriet sich daher nicht selten mit Coach Norris.

»Du auch, Chester«, grinste ich und ließ von seiner Hand ab. So brutal wir uns während des Training gegenüber verhielten, solch ein eingespieltes Team waren wir, wenn es tatsächlich um etwas ging.

»Chester!«

Mein Blick ließ von dem Dunkelhaarigen ab und richtete sich stattdessen auf Maxwell, welcher mit einem breiten Grinsen zu uns aufschloss.

»Geht das mit der Party am Freitag noch klar?«

Maxwell stieß den Captain gegen den Oberarm und grinste dabei von einem Ohr zum andern. Und da hätten Chester Anhängsel. Maxwell Camden-Shane. Der strohblonde Junge stand immer und überall auf Chesters Seite und kroch ihm dabei so tief in den Arsch, dass ich jedes Mal aufs Neue Angst hatte, dass er stecken bliebe. Tat er aber nicht. Leider.

Ich wandte mich Augenverdrehend von den Beiden ab und fuhr vom Eis. Oder zumindest wollte ich das. Denn bevor ich die Bande erreicht hatte, landete mein Blick auf haselnussbraunen Haaren. Voller Verblüffung sprangen meine Augenbrauen nach oben. Ich kniff die Augen zusammen, öffnete den Mund, blinzelte ein weiteres Mal und schloss den Mund dann doch wieder. Täuschte ich mich oder war es tatsächlich Harper, die dort oben auf der Tribüne saß und sich nun ertappt wegdrehte.

Und wie das Harper war.

Wie durch Zauberhand wurden meine Mundwinkel nach oben gezogen bis zwischen ihnen ein Schlittschuh Platz gefunden hätte.

Ich stieß meine Schuhe ein letztes Mal vom Eis ab und landete letztendlich auf dem Gummiboden außerhalb der Eisfläche.

Ihr Blick traf meinen und unweigerlich sprang sie von ihrem Platz auf.

»Du musst dich gar nicht beeilen. Ich hab dich schon längst entdeckt.«

Meine Worte hallten durch die ganze Halle, doch Harper schienen sie nicht zu interessieren. Stattdessen richtete sie ihre Mütze auf dem Kopf und schwang sich ihre Tasche über die Schulter.

»Komm schon, Harry!«

Mit jedem meiner Worte wurden ihre Bewegung schneller, hektischer. Nur mit Mühe konnte ich mir ein Lachen verkneifen. Es war süß wie sie versuchte der Situation zu entfliehen. Nur leider war es auch völlig hoffnungslos.

»Harry!«, rief ich ein letztes Mal. Und endlich wandte sie ihren Blick zu mir. Doch nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie sich wieder wegdrehte und die Treppenstufen nach oben eilte.

»Du magst mich.«

Ihre Schritte wurden schneller, während ich heimlich in mich hinein lachte.

»Ich habe recht.«

Und damit war sie aus der Halle verschwunden. Schade.

Doch obwohl sie nun weg war, wich das breite Grinsen nicht von meinem Gesicht. Stattdessen schien es mit jeder Sekunde zu wachsen und bald noch Timbuktu reichen zu können.

Ich wandte mich von Harpers Fluchttür ab und drehte mich zurück zu den anderen. Diese hatten sich jedoch längst wieder ihren eigenen Sachen gewidmet und schenkten mir keine Aufmerksamkeit.

Bis auf einen. Conall.

Ich begegnete seinem Blick mit meinem breiten Grinsen und erzeugte augenblicklich ein fassungsloses Kopfschütteln seinerseits.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt