H a r p e r

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Unten angekommen gesellte ich mich zu meinem Dad an den Küchentisch, gab Buttons sein Frühstück und verpflegte mich selbst mit einer großen Portion Müsli, das wohl durchaus bis zur Mittagspause in der Schule anhalten sollte.

»Soll ich dich gleich mitnehmen?«, fragte Dad und blickte von seiner Zeitung auf.

»Eben im Radio haben sie gesagt, dass die Wege vereist sind und ehe du dich auf die Nase legst...«

Als ob ich so ein Angebot ausschlug.

»Sehr gerne.« Ich lächelte ihn dankend an und stopfte mir den nächsten Löffel Müsli in den Mund.

Bequem auf dem Beifahrerplatz in Dads Auto zu sitzen war um Längen besser als bei den eisigen Temperaturen mit den Fahrrad zu fahren und dabei zu hoffen, dass man den Weg überlebte ohne auf die Fresse zu fliegen.

Nachdem Dad seine Tasse Tee leer getrunken und ich noch eine Scheibe Toast in mich hinein gestopft hatte, erhoben wir uns vom Frühstückstisch und machten uns jeweils für die Schule beziehungsweise die Arbeit fertig.

Dad arbeitete im Büro unseres Rechtsanwalts. Das Gebäude gehörte zur alten Weberei, die während der Industrialisierung des letzten Jahrhunderts einen Hotspot der umliegenden Städte gebildet hatte. Doch mit der Entwicklung der Technik war sie letztendlich zugrunde gegangen und wurde nun größtenteils für Veranstaltungen oder eben auch für Bürogebäude genutzt. Die Kanzelei war mit seinen sechs Angestellten verhältnismäßig groß für unsere kleine Stadt. Allerdings war sie auch in anderen Städten bekannt und wurde gerne zu Rate gezogen. Daher hatte sie über die Jahre hinweg expandiert, wobei Dad von Anfang an dabei gewesen war, denn der Leiter der Kanzlei war sein damaliger Highschool-Freund. Als dieser die Kanzlei hatte gründen wollen, hatte er Dad um Hilfe gebeten und letztendlich eine Zusabe von ihm bekommen. Auch wenn Dad nicht ganz das Klischee eines Büromenschen verkörperte ging er voll und ganz in seiner Arbeit auf. Er half seinem ehemaligen Freund wo er konnte.

Dank dieses guten Verhältnis hatten wir uns auch nie Gedanken darüber machen müssen, was mit Buttons geschah, während Dad und ich in der Arbeit beziehungsweise der Schule waren. Denn Dad konnte ihn einfach zur Arbeit mitnehmen, solange er sich benahm und keinen Unfug anstellte – für Buttons nicht immer die einfachste Aufgabe. Doch bisher war er nicht negativ aufgefallen, weshalb er auch nun Dad und mir nach draußen folgte und auf die Rückbank sprang, als ich ihm die Beifahrertür öffnete. Er sprang zwischen den Sitzen hindurch und machte es sich hechelnd auf der hinteren Bank bequem.

Bezüglich Buttons war es definitiv ein Vorteil, dass wir in einer Kleinstadt lebten. Jeder kannte sich und damit auch dessen Hund, wodurch es zu keinem Problem wurde den vierbeinigen Gefährten mit zur Arbeit zu nehmen.

Also saßen wir zu dritt in Dads altem Truck und fuhren Richtung Stadtmitte – dorthin, wo sich sowohl die Schule als auch Dads Büro befand.

Dad hielt am Straßenrand, als die Schule vor unseren Augen auftauchte. Sie war teilweise umgeben von einer niedrigen Mauer sowie von Bäumen und Büschen, die den Schulhof von der Straße abschirmten. Am Eingang prangte ein Torbogen, auf welchem in großen Lettern ›Mountain High‹ geschrieben stand.

Seufzend löste ich den Gurt und stieß die Beifahrertür auf. Ich winkte Dad zum Abschied, wobei mir Buttons plattgedrückte Nase an der Scheibe ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberte.

Ich atmete tief durch und legte meine Hände um die Gurte meiner Tasche. Dann wollten wir mal.

Ich setzte einen Fuß vor den anderen und marschierte geradewegs durch den Torbogen und aufs Schulgelände. Überall standen Schüler herum, in Kreisen, in Grüppchen, zu zweit... In welcher Konstellation sie auch vorzufinden waren, sie unterhielten sich angeregt und begrüßten sich mit freudigen Umarmungen als hätten sie sich Monate nicht gesehen. Dabei waren es gerade einmal drei Wochen, in denen sie sich zumindest in der Schule nicht angetroffen hatten. Was würde ich dafür geben, die Weihnachtsferien noch ein wenig zu verlängern.

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