H a r p e r

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Wie erstarrt blickte er mich an. Seine Lippen standen einen Spalt offen und sein Blick schien sich nahezu in mich zu bohren. Hatte ich was Falsches gesagt?

»Danke«, würgte er dann mit brüchiger Stimme hervor, während ein undefinierbarer Glanz in seinen Augen aufglühte. Was es war, wusste ich nicht, doch es ließ mich zusammenzucken und den Blick abwenden.

Ich konnte ihn im Augenwinkel nicken und sich den nächsten Bissen in den Mund schieben sehen.

Meine Ohren pochten und die Gedanken in meinem Kopf begannen sich zu drehen. Sully hatte ein Geheimnis.

Ich schluckte.

Ein Geheimnis. So wie ich auch meins hatte. Aber hütete er seins genauso sorgfältig wie ich meins oder war ich nur nicht die richtige Person für sein Geheimnis? Hatte er es anderen erzählt oder niemandem?

Mein Herz wummerte gegen die Innenseite meines Brustkorbs und brachte mich dazu meine Augen für einen Moment zu schließen. Ich durfte mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Es war Sullivans Angelegenheit und nicht meine.

Ich atmete durch, öffnete wieder meine Augen und schob mir eine weitere Gabel des Schulessens in den Mund. Für den Bruchteil einer Sekunde vergaß ich Sullys Anwesenheit; aber nur bis er sich räusperte.

»Das Angebot fürs Schlittschuhfahren steht übrigens immer noch.«

Ich erstarrte.

»Also, wenn du noch willst.« Er blickte mich aus seinen wachen Augen an, lächelte und ließ mir ganz übel werden. Ich konnte ihm nicht zusagen, aber ich konnte ihm noch weniger die Wahrheit verraten.

»Äh...«

Er legte den Kopf schräg und sah mich abwartend an. Aber selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nichts erwidern können. Mein Hals war staubtrocken und meine Zunge schien an meinem Gaumen festzukleben.

»Weißt du was«, meinte er dann und setzte sich auf, nur um mir kurz darauf ein geckes Grinsen zu schenken. »Wir gehen erst in die Bibliothek, sprechen nochmal mein Referat durch und dann gehen wir runter in die Eishalle und ich zeig dir wie du dich so elegant auf dem Eis bewegen kannst wie ich. Was hältst du davon?«

In jeder anderen Situation hätte ich mir vielleicht ein Lachen verkneifen müssen, doch jetzt... jetzt war mir einfach nur zum Heulen zumute. Mein Hals schien zuzuschwillen und meine Hände zitterten wie Espenlaub.

»Ic–ich... ich hab aber keine Schlittschuhe«, entgegnete ich und versuchte meine Stimme ruhig zu halten. Er sollte nicht wissen, dass mir allein bei dem Gedanken daran eine Eisfläche zu betreten der Angstschweiß den Rücken hinunterlief.

»Kein Problem, du kannst dir in der Halle welche ausleihen.«

Und in der nächsten Sekunde hatte ich schon zögerlich genickt und in Sullivans Plan eingewilligt. Ich konnte selbst kaum fassen, wie dumm ich war.

Nach der Mittagspause verabschiedeten wir uns voneinander. Ich ging zu meinem letzten Kurs und Sullivan setzte sich schon einmal in die Bibliothek. Als ich zwei Stunden später dort ebenfalls eintraf, begannen wir Sullys Referat ein letztes Mal durchzugehen und zu besprechen. Im Gegensatz zu Sullivan konnte ich mich jedoch kaum konzentrieren. Meine Gedanken wanderten immer wieder zur Eishalle und dem Grauen, was mich dort gleich erwarten würde. Allein bei dem Gedanken daran verfiel ich fast in Panik.

Als wir dann in die Eishalle gingen, fühlten sich meine Füße wie Blei an. Ich ließ mich von Sully mitziehen, lief hinter ihm die Treppenstufen nach unten und blickte angsterfüllt auf die riesige, weiße Eisfläche vor mir.

»Hier«, hörte ich Sully sagen. Mein Blick wanderte zu ihm und entdeckte das Paar Schlittschuhe, dass er mir entgegenhielt. Ohne ein Wort zu sagen nahm ich sie ihm ab und setzte mich auf die Bank, um sie anzuziehen. Während Sully in seinen nach drei Minuten drin steckte, brauchte ich gefühlte Stunden. Meine Hände zitterten noch immer, wodurch mir die Schnürsenkel immer wieder durch die Finger glitten.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt