Kapitel 1

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„Liam, Sam! Kommt ihr bitte?", rief Frau Wagner die Treppe rauf. Sam und ich lagen auf unseren Betten in unserem Zimmer und schauten uns mit fragenden Blicken an. „Hast du etwas angestellt?", fragte Sam. „Wieso denkst du immer gleich ich hätte etwas angestellt?!", rief ich vorwurfsvoll und stand auf. „Naja es kommt eben sehr häufig vor.", entgegnete Sam und stand ebenfalls auf. Ich schnaubte und verließ das Zimmer als erster, Sam folgte mir.

Als wir die Treppe herunterkamen, stand Frau Wagner neben einer Dame die wir nicht kannten. Sie sah sehr jung aus, war ca. 1,80cm groß, hatte lange blonde Haare die sie sich zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt hatte. Sie lächelte, aber ihre Augen verrieten das es kein echtes Lächeln war. Sie trug eine weiße Bluse und darüber einen grauen Blaser, dazu in der passenden Farbe einen Rock der ihr bis zu den Knien ging. In ihrer linken Hand hielt sie eine Art Mappe, nur, dass sie dicker und aus Leder war. Außerdem konnte man sie mit einem Reißverschluss verschließen. Sam und ich stellten uns den beiden Damen gegenüber und schauten Frau Wagner verwirrt an. Diese begann sofort damit uns aufzuklären: „Sam, Liam, dass ist Frau Paragur. Sie möchte einen von euch beiden adoptieren." Frau Wagner strahlte uns mit ihrem Ist-das-nicht-mega-super-Blick an und wartete auf eine Reaktion. Sam strahlt zurück, doch ich verzog nur das Gesicht und wiederholte: „Sie will also nur EINEN von uns adoptieren?" Ehe Frau Wagner antworten konnte begann Frau Paragur zu reden: „Ich weiß ihr beide seid Brüder und eigentlich reißt man Brüder nicht auseinander, vor allem, wenn sie so ein Schicksal erleiden mussten wie ihr beiden, aber ich kann leider nur einen von euch beiden mitnehmen. Ich werde gleich in Einzelgesprächen näheres erklären, woher ich komme und was ich mache, aber bitte versteht, dass es einfach nicht anders geht." Ich schnaubte und verdrehte nur die Augen, aber Sam hingegen nickte aufgeregt und grinste. Ich schaute ihn geschockt an: „Du hast kein Problem damit?!" „Liam, dass ist endlich eine Chance hier herauszukommen. Ich ertrage das Leben hier einfach nicht mehr... versteh das doch bitte...", Sam schaute traurig zu Boden und flüsterte die letzten Worte nur noch. Mir klappte geschockt die Kinnlade runter. Wütend drehte ich mich um und rannte nach draußen. „Liam!!", rief Sam mir nach, aber ich rannte immer weiter.

Das kann doch nicht sein Ernst sein! Wie kann er nur so ein Arsch sein! Ich dachte wir würden für immer zusammenbleiben! Wir sind doch das einzige was wir noch haben! Tränen liefen über mein Gesicht. Nach dem Tod unserer Eltern kamen wir schon als Säuglinge ins Waisenhaus. Das ist nun schon fast 18 Jahre her. Wir waren bisher unzertrennlich gewesen, obwohl wir charakterlich das genaue Gegenteil voneinander waren. Sam war ein freundlicher, aufgeschlossener Junge der sich mit allen verstand und viele Freunde hatte. Er war sehr hilfsbereit und liebte es unter Menschen zu sein. Ich hingegen war sehr in mich gekehrt und abweisend. Ich war sehr leicht reizbar, was mir schon des Öfteren ziemliche Probleme bereitet hatte. Die meisten Leute mieden mich inzwischen, was mir sehr recht war. Das einzige was wir gemeinsam hatten war unser Aussehen und unsere extreme Klugheit. Doch selbst diese Klugheit setzen wir beide anders ein. Während ich sie immer zu meinem eigenen Vorteil nutzte, nutzte Sam sie um so vielen Leuten zu helfen wie er konnte.

Inzwischen war ich schon am Wald angekommen, dieser lag etwa 1km entfernt vom Waisenheim. Ich blieb stehen. Dieser Wichser! Er wird schon sehen was er davon hat! Ich ballte die Hände zu Fäusten und rannte wieder zurück zum Waisenheim. Als ich dort ankam hatte Sam schon seine Sachen gepackt, welche bereits in einen Lieferwagen verfrachtet wurden. Als er mich sah wurde sein Blick traurig und er lief auf mich zu. Als er mich erreichte blieb er vor mir stehen und schaute mich mit glasigen Augen an. „Es tut mir leid", flüsterte er und wollte mich umarmen, doch ich wich zurück. Das war zu viel für Sam und er begann wie ein Baby zu weinen. Ich verdrehte die Augen und nahm meinen Bruder in den Arm. „Psst, ist schon gut.", sagte ich sanft und tätschelte seinen Rücken. Ich drückte meinen Bruder nach einer Weile von mir weg, legte einen Arm um seine Taille und sagte liebevoll: „Komm wir gehen zurück. Sie sind bestimmt bald fertig." Sam nickte nur stumm und wir liefen Arm in Arm zurück.

Als wir vor dem Waisenhaus ankamen stand Frau Wagner auch vor der Tür und schüttelte Frau Paragur gerade die Hand. Als sie uns bemerkten lächelten sie. „Bist du bereit Sam?", fragte Frau Paragur. Sam drehte sich zu mir um und drückte mich ganz fest an sich. „Nun geh schon! Aber wehe du kommst mich nicht jede Woche besuchen!", sagte ich lachend. Sam sah mich an und lachte mit. „Pass auf, ich komm dich sogar jeden Tag besuchen!", versprach er. Dann ging er grinsend zum Auto und stieg ein.

Als sie vom Hof gefahren waren verschwand augenblicklich das Grinsen aus meinem Gesicht. Ich drehte mich in Richtung Eingang des Heims und ging darauf zu. Als ich neben Frau Wagner stand blieb ich stehen und sagte eiskalt: „Ich will sofort in ein anderes Heim verlegt werden!" Dann ging ich nach drinnen und ließ Frau Wagner mit offenem Mund zurück.


Dangerous Love | BoyxBoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt