8|die rotgeschminkten Lippen

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Tess

Müde reibe ich mir vorsichtig über mein Augenlid und atme tief durch. Meine Dozentin geht vorne herum, redet und schaut jeden einzeln an. Sofort sehe ich sie hellwach und interessiert an, dass ich keine Standpauke erhalte.
„Verstanden?", fragt sie mit fester Stimme und es beginnt viel Gemurmel. Sie seufzt und schüttelt den Kopf. „Meine Lieben, Ihr solltet langsam aus dem Ferienmodus kommen.", behauptet sie mit warnender Stimme und geht zu ihrem Pult hoch,„Also nochmal?"
Sofort nicken alle, ich eingeschlossen.
„Ich möchte, dass Sie eine Kurzgeschichte aus der Perspektive des auktorialen Erzählers schreiben. Ihre Aufgabe soll sich auf die Gefühle ihrer Protagonisten konzentrieren. Die Handlung ist mir völlig egal. Der Fokus liegt in den Gedanken und Gefühlen. Ich möchte kein dahingeklatschtes Herunterrattern, das wäre beschämend für Sie und mich.", erklärt sie, anscheinend erneut, und von draußen sind die Kirchenglocken zu hören, was bedeutet, dass es zehn Uhr ist. „Die Kurzgeschichten möchte ich nächste Woche Dienstag haben. Nutzen Sie das Wochenende mit Lernen statt Partys. Es wird bewertet. Schönen Tag noch."
Damit entlässt sie uns und ich packe alles schnell zusammen, dabei liebe ich den Literaturkurs normalerweise. Als ich aus der Reihe treten will knalle ich gegen den Jungen, der auf der anderen Seite saß. „Oh Schuldige.", kommt es mir sofort über die Lippen und er wirft mir einen Seitenblick zu. „Kein Problem."
Kaden Hayes. Er ist ein Jahr älter als ich dennoch im selben Semester und bereits ein Star auf dem Eis. Alle lieben ihn -besonders die Mädchen. Kaden sieht -total überraschenderweise- genauso gut aus wie alle anderen Eishockeyspieler mit seinen braunen Haaren, die an den Seiten kürzer sind und dem stoppeligen Bart, den er sich wohl gerade wachsen lässt. Soweit ich es beurteilen kann ist Kaden der Typ von Mann, der ruhiger, distanzierter und gemeiner ist. Also genau die Sorte, die ich meide. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber für die Zeitung haben wir schon diverse Interviews mit vielen Sportlern gehabt und alle, die wir fragen bieten gerne an Fragen zu beantworten, aber Kaden? Er lebt abgeschottet mit den klassischen Bad oder auch Sunny Boys wie Cameron, Luke, Mitchell und Hunter. Sie sind wie die Nachfolger der Jungs, die momentan die volle Aufmerksamkeit bekommen und genießen. Und zu diesen Jungs gehört Nate. Himmelherrgott! Dieser Mann wird wohl für immer in meinem Kopf spuken.

Kopfschüttelnd gehe ich hoch und verlasse den Hörsaal. Während ich in meine Tasche greife um das gekaufte Sandwich herauszuholen überlege ich, wo ich hin könnte. Für die Kurzgeschichte habe ich dreieinhalb Tage Zeit und gerade eine halbe Stunde bis zu meiner nächsten Vorlesung. Hungrig beiße ich in mein Hühnchen Sandwich und rechne mir aus wie lange es dauert bis ich in einer Bibliothek sitze und wie lange ich arbeiten könnte. In der Nähe der literarischen Fakultät gibt es zwei kleine Bibliotheken und ein Lernzentrum. Bis zum Lernzentrum könnte es acht Minuten dauern und die Nordbibliothek liegt praktischerweise auf meinem Weg zu Informatik. Ich schnaube. Ich hasse Informatik, aber ich brauche diesen Kurs für meine Credit Points und mein Laptop ist problematischer als eine gerechte Welt. Da kann es helfen zu wissen, wie ich damit umzugehen habe.
Erneut beiße ich von meinem Sandwich und beeile mich um in die modernisierte Bibliothek zu kommen.

Sobald die Türen sich automatisch an die Seite schieben spüre ich eine warme Luftwelle, die mich wohlig schaudern lässt und schaue mich um. Der junge Bibliothekar lächelt mich kurz an und fokussiert sich wieder auf seinen Laptop. Es ist viel los heute. Zwischen beinahe allen Bücherregalen stehen Studenten, einige sitzen mit ihren Laptops und Heften an den gläsernen Tischen und arbeiten konzentriert während andere sich mit einem Buch auf die Sitzpuffer gesetzt haben. Am liebsten würde ich auch einen Roman zur Hand nehmen und in den anderen Welten versinken statt mich nun auf Aufgaben zu konzentrieren. Apropos Aufgabe, welche Handlung soll ich denn beschreiben und auf welches Gefühl eingehen? Schwer unterdrücke ich ein Ächzen und schlendere zu einem freien Tisch gegenüber von einem, an dem ein rothaariges Mädchen sitzt. Sie hat dicke Kopfhörer aufgetragen und würdigt mich keines Blickes als ich mich setze und meine Sachen aufschlage.
Um eine Übersicht zu bekommen schaue ich auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass ich noch ganze zwanzig Minuten habe bis ich los muss. Tief durchatmend senke ich den Blick auf das leere Blatt Papier vor mir und überlege.
Liebe? Ein schrilles Lachen entkommt mir und sofort presse ich die Hand auf den Mund. Auf keinen Fall. Was weiß ich schon von Liebe? Mein Freund hat mich geschlagen und der davor war eher eine Bekanntschaft für einige Monate. Die einzige Liebe, die ich kenne ist die zu meinen Eltern und Freunden. Begeistert weite ich die Augen. Das ist es. Ich schreibe über Freundschaft.

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