Tess
„Ich darf die Schwester spielen, die die Hochzeit sprengt.", erläutert Ellie mir näher und stochert mit ihrer Gabel in dem Stück Kuchen herum,„Weißt du, ich mag die Rolle nicht. Ich kann mich irgendwie nicht in sie hineinversetzen und bis jetzt hat es immer irgendwie mit meinen Rollen klick gemacht, aber jetzt? Ich kann aber auch nicht ablehnen, das ist ein Schulprojekt." Sie stützt ihr Kinn an ihrer Hand ab und senkt den Blick auf den Schokoladenkuchen.
„Vielleicht könntest du deine Rolle tauschen.", meine ich und sie verzieht ihr Gesicht. „Bezweifle ich. Alle lieben ihre Rollen und würden sicherlich nicht tauschen wollen.", sagt sie und stöhnt ratlos auf.
Es ist Samstag und ich bin schon seit vier Tagen zuhause, besser gesagt in meinem Zimmer gewesen, aber Ellie hat sich dazu entschieden an ihrem freien Mittag zu mir zu kommen und mich aus den vier Wänden für einen Tapetenwechsel zu ziehen. Wir sitzen zwar nur eine Etage weiter unten in unserer Bäckerei, aber auch das ist etwas, denn hier kommen Leute ein und aus und hier ist was los, ganz im Gegensatz zu meinem Zimmer.
„Tess..?", beginnt Ellie und ich schaue von meinem Zitronenkuchen auf. Sie streicht ihre braunen Haare hinters Ohr und zum Vorschein kommen lange Ohrringe, die leicht transparente Herzen in verschiedenen Rottönen haben. „Was ist?", frage ich und sie schaut mich zögerlich an, dass ich schon merke, dass ich diese Konversation nicht weiter ausführen möchte. Kann ich ablenken?
„Also.. Du hast ja gesagt, dass das passiert ist, weil du die Treppen gestürzt bist.", führt sie aus und ich nicke langsam als sie sich räuspert und eine ernste Miene aufsetzt,„Ist ja schön und gut... Also nein, es ist nicht schön und gut, aber du weißt was ich meine, oder?" Ahnungslos zucke ich mit den Schultern. „Ich schätze mal." Sie mustert mich und legt den Kopf schräg. „Wenn wir mal annehmen, dass du von selbst gefallen bist... Warum war meine Nachttischlampe in unserem Zimmer hinter der Tür und nicht auf meinem Nachttisch?", hakt sie nach und ich stocke. Mist. Ich kratze mich hinterm Ohr und schaue hinter die Theke auf den Fliesenboden, der glänzt.„Bitte sag mir die Wahrheit. Ich weiß es fällt dir schwer und alle, die wissen, was dir passiert ist wissen es nur, weil es versehentlich oder ungewollt passiert ist, aber du kannst das nicht in dich hineinfressen. Das wird dir nicht gut tun und auf Dauer macht es dich krank.", redet Ellie sanft und leise auf mich ein. Sie streckt die Hand aus und legt sie über meine, dass ich zu ihr aufsehe und sie mich aufmunternd anlächelt. Sie ist meine beste Freundin in dem knappen halben Jahr geworden, das wir uns kennen und ich habe mit Ellie mehr erlebt und geredet als mit sonst jemandem. Sie verdient die Wahrheit. Aber es ist so schwer. Ich will es nicht sagen und darüber reden. Es ist erniedrigend und peinlich, was mir passiert ist und auch immer bin ich die Idiotin, weil ich nicht vorsichtig genug war oder nicht gehandelt habe wie es andere getan hätten.
„Na gut. Wenn du nicht reden willst, dann musst du nicht, aber ich hoffe du tust das richtige. Und falls Brian dir das angetan hat, dann ist die Polizei der erste richtige Schritt.", flüstert sie und die Küchentür fliegt auf, weil mein Vater schwungvoll mit einem Tablett voller frischer Törtchen hineinkommt und sie in die Vitrine stellt.
„Am liebsten würde ich sie jetzt essen statt zu verkaufen, aber von irgendwas müssen wir ja leben.", gesteht er und Ellie lacht, nimmt die Hand von meiner und lehnt sich wieder zurück. „Guten Tag!", begrüßt eine ältere Dame meinen Vater und schaut zu den Törtchen,„Hm.. Sieht aber lecker aus." Er nickt zustimmend und ich wende mich meinem Kuchen zu während mein Vater vier Törtchen verkauft und die Kasse macht.
„Sag mal, Spätzchen, kommt Nate heute wieder her?", fragt mein Vater nachdem die Kundin gegangen ist und stützt sich auf der Theke vor uns ab. Ich zucke mit den Schultern und stochere nun in meinem Kuchen rum. „Er meinte er kommt heute vorbei, aber ich weiß nicht wann.", antworte ich und er nickt. Ellie lehnt sich vor und schaut meinen Vater neugierig an.„Was hältst du von ihm, Jerry?", fragt sie und er hebt die Unterlippe hervor als er den Kopf an die Seite schwingt. „Weiß ich noch nicht.", gesteht er und kratzt sich an dem blonden Bart als er nachdenklich hochsieht,„Er ist der Freund meiner Kleinen und bis jetzt hat er keinen schlechten Eindruck hinterlassen. Oh, doch warte.. Als Tess mit seinem Bruder aufgekreuzt ist hat er einen winzigen Minuspunkt gemacht, weil er meiner Tochter seinen Bruder aufdrückt-.." „Das stimmt nicht. Ich habe von mir aus angeboten auf Wren aufzupassen.", korrigiere ich ihn und verdrehe die Augen,„Nate hat mich nicht um Hilfe gebeten und selbst wenn, wäre es nicht verwerflich, weil Nate mir nie Dinge aufbürdet." Mein Vater schaut mich missbillig an. „Verteidige ihn nur weiter.", kommentiert er und widmet sich wieder Ellie. Ich schiebe mir ein Bissen des glasierten Kuchens in den Mund und höre ihm dabei zu wie er über Nate spricht. Bis jetzt habe ich auch noch keine Rückmeldung von ihm erhalten.
„Naja, jetzt ehrlich gesagt ist Nate kein schlechter Junge. Der Kerl hat zwar wie ein Baby geweint, weil Tess nicht laufen kann, aber das ist wohl was gutes, schätze ich. Nerven kann es nur dich, Spätzchen, aber mich beruhigt es ehrlich gesagt.", widmet er an mich und konzentriert sich wieder auf die Brünette,„Er wirkt vernünftig, hat Respekt, ist bis jetzt fast jeden Tag aufgekreuzt um nach Tess zu sehen und auf mich wirkt es als hätte er ernste Absichten. Was will ich mehr für mein kleines Mädchen als jemanden wie ihn?" Lächelnd sehe ich ihn an und ich glaube mein Herz quillt über vor Liebe und Freude. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es mir so wichtig ist, was mein Vater von Nate hält, doch jetzt wo ich es höre bin ich mehr als nur froh, dass er ihn mag.
Ellie gestikuliert wild. „Du wirst es nicht bereuen so einen Schwiegersohn zu haben! Nate ist ein purer Mädchentraum.", beschwichtigt sie und er nickt schulterzuckend. „Ich hoffe es. Ich will sie nicht hergeben und dann heulend zurückbekommen.", sagt mein Vater und ich runzle die Stirn.
„Plus, deine Enkelkinder werden fantastisch aussehen mit Tess als Mom und Nate als ihren Dad. Stell dir diese Kinder doch mal mit seinen Augen und Tess goldenen Haaren vor. Und.. sorry, Tess, aber du bist echt blass, und seiner sonnengeküssten Haut. Du wirst die schönsten Enkelkinder der Stadt haben.", verspricht Ellie und ich reiße die Augen weit auf. „Schalt mal einen Gang runter.", fordere ich sie auf und kneife die Augen enger zusammen,„Und ich bin nicht blass!"
Beide schauen auf meine Arme, die entblößt sind, da ich ein kurzärmliges Shirt trage. „Du bist blass, Schatz.", erklärt mein Vater und ich schaue ihn entsetzt an, dass er abwehrend die Hände hebt,„Hey, das ist doch nichts schlimmes!" Beleidigt verschränke ich meine blassen Arme vor der Brust und Ellie lacht. „Das ist deine Schuld, Jerry. Du hättest nicht auf Farbsparmodus gehen sollen als du sie kreiert hast.", scherzt sie und lacht noch mehr.
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FROZEN PROMISE
Teen FictionTess hat es endlich aus einer schrecklichen Beziehung geschafft und schwört sich eine lebenslange Pause von Männern zu nehmen. Oder auch nur bis sie mit dem College fertig ist, doch diese Rechnung hat sie ohne das Leben gemacht, welches sie geradewe...