Win-Win or Lose

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Fast die kompletten Ersparnisse gingen so an die Erbengemeinschaft der Vorbesitzer, Makler, Notar, Steuer etc. Der Plan war jetzt, das aktuell von Paul bewohnte Haus zu verkaufen und mit dem Erlös den Neubau zu finanzieren. Problem war nur, solange das neue Haus nicht stand, wollten oder mussten sie zunächst im alten bleiben, andrerseits würden sie während der Bauphase einen Großteil der Kosten vorfinanzieren müssen, also einen entsprechenden Kredit aufnehmen, absichern mit Grundbucheintrag, Notar und Gebühren. Da bot sich die Chance durch das Angebot eines von Pauls Sportskameraden, einen Teil der Kaufsumme schon bei einem bald vorzunehmenden Vertragsabschluss zu erhalten, aber noch bis zu einem festzusetzenden Übergabetermin im alten Haus mietkostenfrei wohnen zu können. Wenn die Terminplanung geklappt hätte, wäre das eine Win-Win Konstellation geworden. Das Risiko, das Paul bezeichnender Weise von Anfang an gesehen hatte, bestand nur in der Festlegung des Übergabetermins. Bei dessen Überschreiten wurden erhebliche, von ihm zu leistende Strafzahlungen vereinbart. Selbst das wäre immer noch kein allzu schlechter Deal gewesen, wäre nicht noch hinzugekommen, dass, was jeder wusste, die Preise genau in dieser Phase, nach fast 10-Jähriger Stagnation, im Zuge der durch die weltweite Finanzkrise einsetzenden Flucht ins Betongeld, beträchtlich steigen würden.

 Wie oben bereits angedeutet, trat jetzt genau der von Paul befürchtete Fall ein. Der Bau verzögerte sich, sie mussten Miete für ihr noch eigenes Haus bezahlen, Besitzübergabe und Restpreiszahlung war erst bei Räumung vereinbart, und sie konnten zusehen, wie sie bei Aufnahme eines Zwischenkredits in aller Ruhe die erheblichen Preissteigerungen hätten abwarten können und beim Verkauf nach Einzug ins neue Haus wahrscheinlich einen wesentlich besseren Preis hätten erzielen können. Aber zu hundert Prozent richtig ist solch eine Entscheidung wohl nie möglich, und hinterher ist man sowieso immer schlauer.

 Dieser kleine Ausflug in die damals wie auch heute noch aktuelle weltmarktwirtschaftliche Entwicklung und Pauls persönliche Betroffenheit davon trägt zwar direkt nicht so viel zum eigentlichen Thema der Geschichte bei, war aber sicher einer von mehreren wesentlichen Faktoren für den weiteren Gang der Dinge in Pauls Gemütsverfassung. Die Situation hatte zwangsläufig zur Folge, dass die Eheleute noch mehr als sonst schon permanent am Streiten waren. Der eine machte den anderen für Fehlentwicklungen, echte oder vermeintliche Verluste verantwortlich. Jede kleine Verzögerung, und davon gab es reichlich, kostete die beiden so bares Geld. Bei derart sparsam veranlagten, den aktuellen Missstand auch noch selbst zu verantwortenden Menschen, die sonst jeden Euro, so wie früher auch schon die Mark, vor jeder Ausgabe zweimal umdrehten, wird so das Selbstverständnis untergraben, nimmt existenzielle Dimensionen an.

 Bei jedem sich neu abzeichnenden Ruhen der Bautätigkeit setzten die beiden immer wieder Himmel und Hölle zur Wiederaufnahme in Bewegung, womöglich oft mit gegenteiligem Effekt, so rieben sie sich teilweise einfach nur nutzlos auf. Sie waren beide schon immer Menschen gewesen, die sich ständig selbst und auch gegenseitig noch zusätzlich unter Druck setzten. Die Gefahr, dass es irgendwann zu viel werden könnte, lag also in der Luft.

 Zu dieser Hausgeschichte soll vorerst mal nichts mehr gesagt werden, dazu gibt es genügend einschlägige Fachliteratur. Das Hauptthema sollte ein anderes sein, aber die Dinge lassen sich nicht ganz trennen. Es sollte, wie eingangs gesagt, nur Pauls Umfeld, seine aktuelle Situation, etwas beleuchtet werden. Eine ganz andere, schon sehr viel eher ungewöhnliche, vor allem auch längere Geschichte ist die von Pauls Großem, dem an Weihnachten sechzehn gewordenen Patrik.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt