Startsprungübung

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Startsprungübung

Zu Small Talks haben Thea und Paul es nie gebracht. Dabei konnte er sie immer wieder beobachten, wie sie dies gerne mit fast allen anderen Mitgliedern seiner Gruppe tat, was ihn irgendwie fuchste. Dass sich einige seiner Gruppe zum Kreissportfest zu einer Lagenstaffel mit Thea verabredet hatten, natürlich ohne ihn überhaupt nach einer möglichen Teilnahme zu fragen, wurmte ebenso. Wenigstens hatte er eine gute Ausrede, nicht zu dieser Veranstaltung zu gehen, da eines seiner Patenkinder an dem Tag Hochzeit feierte. Man kann nicht auf mehreren Hochzeiten tanzen, heißt es. Im Gedanken geht das zwar, aber auch dann ist man jeweils nur halb dabei, wie Paul feststellen musste. Bei diesem Kreissportfest schien sich seit Jahren schon regelmäßig die Schwimmerszene zu treffen. Bisher war er noch nie auf den Gedanken an eine Teilnahme daran gekommen. In den Jahren davor gab es genau an dem Wochenende meist eine Triathlonveranstaltung, womöglich sogar die, da ihm immer besonders gut liegend, ihm seine ersten Siege eingebracht hatte, von denen er heute noch zwei kleine Pokale habe. Die waren lange beliebtes Spielzeug seines Kleinen, Tani wollte sie am liebsten bei einer ihrer Entsorgungssäuberungen aus den Augen und aus dem Haus schaffen.

Trotzdem hatte es mit der Staffelvorbereitung noch eine besondere Bewandtnis. In einer der Trainingsstunden davor war gegen Ende eine Startsprungübung angesetzt. Paul hat das ganze Prozedere etwas belustigt. Was kann da groß geübt werden? Man springt flach rein, gleitet so lang, bis man fast wieder langsamer ist, als man schwimmen könnte und setzt dann die Arme ein. Kein Fehler ist wohl auch, sich vorher zu lockern, um genau beim Sprung und Eintauchen eine maximale Körperspannung zu halten. Entweder man kann’s, oder man kann’s nicht, mehr oder weniger. Besonders daran schleifen, ob sich das groß lohnt?

Paul stellte sich mit seinen Mitstartern also an den Blöcken auf und fing an sich zu lockern, erst die Arme mit den Händen schütteln, dann die Schultern mit dem ganzen Oberkörper. Dann denkt er noch, ‚wo ist denn jetzt die Thea? Macht die nicht mit oder was?’ und schaut in die Runde. Da sieht er Thea, etwas abseits, schaut ihm beim Ausschütteln zu und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Wieder so ein unglaublicher, magischer Moment. Da sind sie doch wieder, die Signale, von denen die Rede war, die ihn so durcheinander gebracht hatten. Thea muss wohl seine Gedanken gelesen haben, fühlte sich ertappt und schaute blitzartig so erschrocken und dauerhaft zu Boden, als ob sie genau darin versinken wollte. Die Szene wirkte auf Paul so verstörend, war womöglich sogar nicht nur von ihm zu erkennen, dass Thea ihm in dem Moment richtig leid tat.

Das Dumme war, dass diese Reaktion bei ihm einen schlimmen Rückfall auslöste. Natürlich war er über dieses unerwartete Anlächeln tief beglückt. Da waren doch Emotionen im Spiel zu erkennen gewesen, an die er immer geglaubt hatte, sonst hätte es ihn sicher nicht so gewaltig gepackt gehabt. Er hatte jetzt wieder ein Bild mehr, welches sich bei jeder Gelegenheit ihm in den Sinn drängte und ihn erfreute. Besonders in irgendwelchen langweiligen Meetings sich zurücklehnen, diese Bilder hervorrufen, war einfach großartig. So konnte er das noch über Monate halten, bis es anfing zu schmerzen. Er sagte zu Tani noch an dem Abend, er hätte die Kontrolle über seine Emotionen zurück, ihm geht es wieder richtig gut. Er war auf guten Weg dazu gewesen, aber genau in dem Moment habe er sie wieder bis auf weiteres verloren.

Pauls Midlife Crisis / zeitlose Leiden des fast jungen W.  / Emotion und Verstand - Gleichklang oder GegensatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt